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„Es ist kein Spaß, in einer Kirche zu wohnen“

Seit elf Wochen leben Asylbewerber, die nach einem Überfall aus Greifswald geflüchtet sind, in der Schalom-Gemeinde in Norderstedt/ Die Kirchenleute wollen sie schon lange nicht mehr und fühlen sich unter „Besatzungsmacht“/ Die Flüchtlinge fordern Bleiberecht in Schleswig-Holstein  ■ Aus Norderstedt Bascha Mika

Es ist kalt in der Kirche. Durch die Glastüren des roten Backsteingebäudes ohne Turm und Glocke zieht es eisig. Der Mehrzweckraum der Schalom-Kirchengemeinde ist groß wie eine Turnhalle, nüchtern, nur mäßig hell. Sandfarbene Sessel stehen im Karree auf dem braunen Teppichboden, dazwischen liegen schlafende Menschen. Unter grünen und grauen Decken, in Schlafsäcken.

„Unser Boot ist noch lange nicht voll, wenn wir ein bißchen zusammenrücken“, schrieb der Kirchenvorstand letzten Oktober in den Gemeindebrief. Anfang November wurde er beim Wort genommen. Rund 70 Flüchtlinge standen nach einer wahren Odyssee vor der Kirche und forderten Aufnahme.

Am 12.September sollten sie von Neumünster in Wohnheime in der Ex-DDR gebracht werden. Aus Angst vor rechtsradikalen Angriffen weigerten sie sich und suchten Zuflucht in einer Neumünster Kirche. 45 Tage hielten sie aus. Dann hatte die Anschar-Gemeinde sie soweit: Am 28.Oktober siedelten sie nach Greifswald um. Am 3.November wurde ihr Asylheim von Hooligans angegriffen. Am nächsten Tag brachte sie ein Unterstützerkonvoi zurück in die Anschar-Kirche. Dort aber wollte man sie nicht wieder haben. Am 5.November um 11Uhr klopften Flüchtlinge und Unterstützer an die Tür vom Schalom.

„Meine erste Reaktion war: Scheiße!“ erzählt Elke Siedenburg vom Kirchenvorstand. „Keiner von uns hat sich dieses Problem gewünscht. Als sie anriefen, haben wir sie nicht eingeladen, nur gesagt: Wir werden unsere Tür nicht abschließen. Jetzt sind sie da und wir müssen darauf reagieren.“ Die Gemeinde rückte also zusammen, im Glauben, es wäre nur für ein paar Tage. Jetzt sind elf Wochen vergangen.

Ein Teil der Asylbewerber ist immer noch da und fordert weiter Bleiberecht in Schleswig-Holstein. Längst sieht die Gemeinde sie nicht mehr als Gäste; mit verhaltener Aggression werden sie nur noch geduldet. „Angespannt“ ist die Stimmung, sagt Andreas Meyer, Leiter der offenen Jugendarbeit. „Nicht doll“, bestätigen die UnterstützerInnen.

Im Kirchenraum kriecht einer nach dem anderen unter seiner Decke hervor, geht zu einem Tisch mit Kaffee und Milch. Eine leere Sektflasche wird weggeräumt, die vollen Aschenbecher, die überall herumstehen, ausgeleert, die Polster geradegerückt. Wenn die „Gäste“ aufgestanden sind, haben die Mitarbeiter der Gemeinde schon einige Stunden gearbeitet — und sich geärgert.

„Da kommt man morgens an, und der Arbeitsplatz ist weg“, schimpft Pastorin Anke Dittmann. „Unsere Putzfrau kam immer um sieben, um sauberzumachen. Die Flüchtlinge und Unterstützer schliefen noch oder haben sie angepöbelt.“

„Es ist kein Spaß, in einer Kirche zu wohnen“, sagt eine Unterstützerin und pellt sich aus ihrem Schlafsack. Im Schalom gibt es keine Duschen, zu wenige Toiletten, nur eine Küche. Im November lebten mehr als 100 Menschen unter diesen Bedingungen. Es war laut und alles verdreckt, die Räume konnten nicht mehr für die normale Arbeit genutzt werden. „Am Anfang waren die Kirchenleute so herzlich und offen, daß alles durcheinander ging“, berichtet Verena von den UnterstützerInnen. Die Gemeinde sammelte Spenden, organisierte Mahlzeiten und Duschfahrten in ein Schwimmbad. Immer mit der Hoffnung, daß es nicht mehr lange dauern könnte. Als die SPD- Landesregierung sich weigerte, die Flüchtlinge in Schleswig-Holstein aufzunehmen — schließlich sind im April Landtagswahlen — schlug die Haltung der Kirchenleute um. Sie wollten, daß die Asylbewerber und vor allem die UnterstützerInnen endlich das Feld räumten.

Ein Kurde aus der Türkei bringt Silke einen Kaffee. Sie gehört zu den UnterstützerInnen, die die Asylbewerber schon in Neumünster betreut haben und ihre Flucht aus Greifswald organisierten. Die engere Gruppe, die sich Tag und Nacht um die Flüchtlinge kümmert, besteht aus etwa zehn Leuten. Sie stammen aus der Antifa- und Autonomen-Szene von Neumünster und Norderstedt.

Für die Presse kochen die Unterstützer ihr politisches Süppchen auf Kosten der Flüchtlinge. Sie würden zum Werkzeug und Mittel degradiert. Pastor Helmut Frenz von der Schalom-Gemeinde sieht es ähnlich. „Ich bestreite den Unterstützern nicht das Recht auf politischen Kampf für das Asylrecht. Aber bei uns wird der Kampf mißbräuchlich geführt.“

Die Flüchtlinge allerdings fühlen sich nicht politisch mißbraucht. „Wir und die Unterstützer haben den selben Kampf“, sagt ein Algerier. Seine vier Landsleute, mit denen er in einem Nebenraum schläft, in dem sich früher die Alten der Gemeinde trafen, sind derselben Meinung. Eine junge Bulgarin, die gerade mit einer Unterstützerin zum Zahnarzt fahren will, findet ihre Helfer „sehr freundlich“. „Wir wissen, daß wir eine Belastung für die Gemeinde sind“, sagt sie, „aber was sollen wir machen. Hier sind wir sicher, in Greifswald nicht.“ Und auch Kirchenmitarbeiter Meyer sieht es „überhaupt nicht so, daß die Unterstützer die Flüchtlinge instrumentalisieren. Irgendjemand muß sich schließlich um sie kümmern.“

Zwei Wochen nach der Kirchenbesetzung empfahl der Kirchenvorstand den Flüchtlingen, nach Mecklenburg-Vorpommern zurückzugehen, so wie es die Landesregierung forderte. Vor Greifswald wollte man sie verschonen, aber die Ex-DDR mußte es sein. Ein großer Teil ließ sich in Gesprächen dazu überreden, andere kehrten in ihre Heimat zurück, einige Familien mit Kindern sind in Kirchengemeinden in Neumünster und Pinneberg untergebracht. Der Rest, rund 30 Menschen, blieb hart und im Schalom. Im Dezember kündigte ihnen die Kirche jede Hilfe, versorgt und betreut werden sie seitdem nur noch von den UnterstützerInnen.

Wenn Frenz, wie an diesem Morgen, zu seinem Büro auf der Empore hochsteigt, fühlt er sich unter „Besatzungsrecht“. „Wir sind hier alle psychisch am Ende“, sagt er, doch nicht alle MitarbeiterInnen teilen seine Meinung. Vor allem auf die UnterstützerInnen ist Frenz wütend. Sie führten sich rücksichtslos auf, lärmten bis spät in die Nacht hinein, ohne an seine und die zwei anderen Familien zu denken, die gleich über dem Gemeinderaum wohnten. Jugendarbeiter Meyer aber wirft seinem Chef vor, sich als Hausherr nicht richtig engagiert zu haben. „Viele Probleme könnten durch richtige Organisation gelöst werden. Aber es hat nie eine richtige Kommunikation zwischen den Flüchtlingen und den Unterstützern stattgefunden. Es wurde nur immer über sie geredet.“ „Unsichtbar machen können wir uns auch nicht“, ärgern sich die UnterstützerInnen. „Was ist das überhaupt für eine Gemeindearbeit, wo man Flüchtlinge nicht integrieren kann?“

Zwischen Pastor Frenz und seinen „Gästen“ ist der Kontakt völlig abgebrochen. „Die Situation ist für uns ausweglos“, klagt der grauhaarige Kirchenmann. Räumung wurde zwar schon diskutiert, aber noch will sie niemand so recht im Kirchenvorstand. Außerdem ist Frenz — der lange Jahre Bischof in Chile und später Generalsekretär bei amnesty Deutschland war — seiner Biographie verpflichtet. Nicht umsonst haben sich die Flüchtlinge und Unterstützer seine Gemeinde ausgesucht und große Hoffnung auf ihn gesetzt. Doch damit lagen sie falsch. Frenz sitzt zwischen allen Stühlen; oder, wie es die UnterstützerInnen ausdrücken: „Es ist seine härteste Prüfung.“ Er fühlt sich für die gesamte Gemeinde verantwortlich; seine Landeskirche läßt ihn allein und unterstützt lieber die Landesregierung. Die wiederum läßt sich nicht „erpressen“, und die Flüchtlinge lassen sich nicht abschieben. „Sie müssen einsehen, daß diese politische Schlacht verloren ist“, beschwört Frenz deren Einsicht. „Irgendwann werden die menschlichen Kosten zu hoch.“ Fast ähnlich ausweglos sehen es die UnterstützerInnen. Ständig diskutieren sie mit den Flüchtlingen die Situation. „Wir haben kaum noch Hoffnung“, sagt Silke und reibt sich die kalten Hände. „Aber nach so langer Zeit kann man auch nicht einfach aufgeben.“

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