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KARAvelle russe

■ Gemälde und Aquarelle von Vladimir Kara im »Anderen Ufer«

Als Teenager hatte er — wie die meisten seiner Altersgenossen — in dreimonatlichem Rhythmus beim örtlichen Bezirkskommando antanzen müssen, um seine Wehrhaftigkeit wider den westlichen Klassenfeind stählen zu lassen. Eine reale Schule für das wenig sozialistische Leben des 1956 in Moskau geborenen Künstlers Vladimir Kara. Spion habe er damals werden wollen. Ein nicht unzweideutiger Berufswunsch, der die geharnischte Einberufungskommission beinahe außer Gefecht setzte. Statt nach Afghanistan steckten die militanten Mumien den »verrückten« Querulanten daraufhin glatt in die Psychiatrie. Der drohenden Gehirnwäsche entging der rebellische Kunstenthusiast nur um Haaresbreite. Last Exit vom Kokon der Nomenklatura.

Die Malerei faszinierte Kara — wie er von seinen Freunden genannt wird — von klein auf. »Im Prinzip« stand dem Sohn eines angesehenen Akademieprofessors die weite Welt der schönen Künste offen, de facto allerdings brach die Geschichte der Kunst an der Moskauer Hochschule seinerzeit lehrplanmäßig mit dem Impressionismus ab, um mit dem sozialistischen (Ir-)Realismus unerschütterlich ins finale Stadium zu stürmen. »Formalistische« Abweichler etwa, wie Kandinsky, Malewitsch oder El Lissitzky, waren in den Jahrzehnten der Stagnation in ihrer Heimat Persona non grata.

Nach geglücktem Diplom in der Sektion Theatermalerei — ein Rayon, der das Fassungsvermögen massenwirksamer Gralshüterei leicht überforderte — stößt Kara zur oppositionellen Künstlergruppe um den heute in New York wirkenden Abraham Mitzberg. Die Lehrjahre in der Werkstatt des legendären Meisters schulen sein Talent, in klassischem Duktus zur eigenen künstlerischen Freiheit zu finden. So konsequent er sich offiziöser Vereinnahmung widersetzte, so unbefriedigend mußte auf die Dauer der Status des »Untergrund«-Künstlers bleiben. Wie viele seiner Mitstreiter unter den »Refuzniks« tritt Kara den Exodus gen Westen an. Seit Mitte der achtziger Jahre hat er sein Atelier in Paris.

Wie wenig die französische Kulturmetropole originärem Flair zugetan ist, bekam auch der frischgebackene Exilant zu spüren. Dennoch gewann der Nobody aus Moskau mit figurativen Reminiszenzen an italienische Fresken, orthodoxe Ikonen und antike Skulpturen unter Kennern rasch einen Namen und gelangte in prominente Galerien und Expositionen. Neben unvermindert regen Ausstellungaktivitäten tritt zunehmend das szenographische Engagement für klassisches Repertoire des Musiktheaters.

Sein Berliner Debüt mit Arbeiten aus jüngster Zeit — neben Aquarellen bevorzugt in Mischtechnik bzw. Acryl — zentriert Kara um das Motto Men And Time: ein dauernder Wandel des Kolorits, der die Spuren der Zeit zeichnet. Eine Patinierung, die Geschicke und Geschichte buchstäblich transparent werden läßt.

Mit gebändigter Farbpalette erzielt der perfekte Kolorist ungeahnte Intensitäten. Im erdigen Unter»grund« des Gardien du temps — ein Sinn-Bild auf Zeit und Vergänglichkeit — signalisieren allein weiche Anklänge von welkem Orange den möglichen interpretatorischen Spiel- Raum. Seinen SaintSebastian2 hüllt ein fahler Hauch bischofslila in das Gewand des Märtyrers.

Karas Stärke ist das kräftig konturierte Porträt, männliche Figuren, die, in sich ruhend, sicher den Raum behaupten, zuweilen an der Schwelle zu sakraler Strenge. Die kategorische Haltung des biblischen Abraham setzt gleichermaßen den heidnisch-temperamentvollen Turban rouge wie den beherrschten Marin ins Benehmen. Emblematisch taucht ein auf antikem Piedestal ruhendes Zifferblatt auf. Der Riß durch den Chronometer trennt die Wesen, die über der »stehengebliebenen« Zeit einander suchen. Roland Rust

Vladimir Kara: Men And Time — Ausstellung von Gemälden und Aquarellen. »Anderes Ufer«, Hauptstraße 157, nur noch bis Ende Januar.

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