: „Deutsche Lebenswelten“
Vergangenheitsbewältigung auf Festspielniveau ■ Von Gabriele Goettle
Zum 50.Jahrestag der „Wannsee- Konferenz“ wollte sich die neuerstandene Hauptstadt nicht lumpen lassen. Ein viertel Jahr lang läßt man Belehrendes und Gedenkendes zu „diesem schrecklichen historischen Datum“ veranstalten. In drei Monaten kann der Bürger mehr darüber hören und sehen, als in den vergangenen fünfundvierzig Jahren davor.
Auch der Ort der Wannsee-Konferenz, die Villa, wurde — anläßlich des runden Datums vielleicht — Dokumentationszentrum und Gedenkstätte des Völkermordes an den europäischen Juden. Bei der Eröffnungsveranstaltung fielen feierliche Worte, betulich und menschelnd quollen sie den Redenden aus den Mündern, die Bundestagspräsidentin forderte, daß „Barbarei und begangenes Unrecht“ auch weiterhin „unbeirrt“ beim Namen genannt werden müssen. Aber keiner nannte das naheliegendste beim Namen, die Frage nämlich, weshalb das Haus erst 1992 eröffnet wird. Niemand erklärte, weshalb der Berliner Senat jahrzehntelang die Einrichtung eines Dokumentationszentrums massiv verhinderte. Nur einer erinnerte ganz am Rande an den jüdischen Historiker Joseph Wulf, dessen Vorarbeiten sich die ganze Veranstaltung verdankt. Er, der „unbeirrt“ das Begangene beim Namen nannte, wurde mundtot gemacht. Daß man den politischen Widerstandskämpfer und Auschwitzhäftling, der sich von 1965 bis 1972 für eine Nutzung der Wannseevilla als Dokumentationszentrum abmühte, gegen eine Wand abweisender Behördenbeschlüsse anrennen ließ, erzählte niemand den zahlreichen in- und ausländischen Gästen. Ebensowenig, daß Wulf sich 1974 das Leben nahm. Unerwähnt bleibt selbstverständlich auch, daß es einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Wulfschen und dem jetzigen Konzept fürs „Haus der Wannsee-Konferenz“ gibt. Seines sollte heißen: „Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen“. An denen besteht hierzulande „unbeirrt“ Desinteresse.
Im Zentrum der Aktivitäten zum 50.Jahrestag steht aber nicht das Dokumentationszentrum, sondern das Kleinod deutscher Ausstellungskultur, die Präsentation Jüdische Lebenswelten. Im Martin-Gropius-Bau — ehemals Kunstgewerbemuseum in der Prinz-Albrecht-Straße 7. In Nummer 8 residierte die Gestapozentrale — hat man für zehn Millionen Mark eine „einzigartige kulturhistorische Schau“ zusammengestellt. „Die Jüdischen Lebenswelten kommen zur rechten Zeit hierher (zurück)“, schreibt Ulrich Eckert, ihr Veranstalter und Intendant der Berliner Festspiele. Er fährt fort: „Berlin an der Schwelle zu einem neuen Kapitel europäischer Geschichte vergewissert sich seiner Herkunft, seines Erbes, seines Auftrags, seines Versagens, seiner Gefährdungen, seiner Visionen. Das Gedenken ist aktuell.
An „der Schwelle zu einem neuen Kapitel europäischer Geschichte“ scheint die Hauptstadt vor allem ein neureiches Deutschland zu Schau stellen zu wollen, das sich festliche Opulenz dieser Art leisten kann; materiell und moralisch. Die Atmosphäre der protzigen Gesten überschattet und interpretiert alles, auch die vielgerühmte christlich-jüdische Zusammenarbeit, ohne die schließlich ein Großteil der Exponate gar nicht hätte beschafft, beurteilt und erklärt werden können.
Wäre eine solche Ausstellung in Paris, Amsterdam, London, oder besser noch Sofia zusammengestellt worden (Bulgarien hat sich als einziges Land erfolgreich mit Protestnoten und Bürgerdemonstrationen gegen die Auslieferung seiner jüdischen Bevölkerung an die Deutschen zur Wehr gesetzt), dann hätte sie ein ihr adäquates Publikum.
Daß Deutsche noch lange nicht soweit sind, als Schirmherren, Veranstalter und Konsumenten einer solchen Ausstellung aufzutreten, beweisen nicht nur geschändete jüdische Friedhöfe, in Brand gesteckte Zigeunerwohnwagen und Asylantenheime, die täglichen Überfälle auf Polen und „Menschen mit anderer Hautfarbe“, wie es im gesitteten Tonfall heißt. Man hat aus der eigenen Geschichte absolut nichts gelernt, außer sie zu ignorieren. Am Beispiel Berlins läßt sich gerade jetzt sehr schön beobachten, wie im Fest- und Gedenktrubel Juden als lebendige Beweise deutscher Wiedergutmachung benutzt werden. Dabei gibt man sich nicht mal Mühe beim Dreschen der hohlen Worte. So fand beispielsweise der CDU-Politiker und Berliner Bürgermeister Diepgen, daß diese Ausstellung ein „Signal der Hoffnung“ sei und ein „Bekenntnis zu einer deutsch-jüdischen Kultur, die wir verloren glaubten und die doch in Berlin eine faszinierende Renaissance erleben kann“. Und Festspielleiter Eckert schreibt in seinem Geleitwort zum Ausstellungskatalog: „Die Auseinandersetzung mit den Folgen des kulturellen Kahlschlags nach 1933 gehört seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Aufgaben der Berliner Festspiele.“ Da ihm diese Frustration jeder deutsche Kulturmensch nachfühlen kann, verstehen auch alle den eigentlichen Zweck der Ausstellung, sie soll einen „Kontrapunkt“ setzen „zu den Bildern der Zerstörung des Todes (...), die in vielen, sicherlich notwendigen Gedenkveranstaltungen wachgerufen werden“.
Die „sicherlich notwendigen“ prachtvollen Kataloge samt Führer sorgen dafür, daß sich der deutsche Mensch in den „einladenden Erlebnisräumen“ nicht vergeht, nachdem er sich am Subjekt der Kultur, die er betrachtet, so gründlich vergangen hat.
Die Kinder und Enkel von Deutschen, die nicht bei Juden gekauft, sondern sich nach allen Regeln des Raubmordes von ihnen geholt haben, was zu holen war, gehen nun in niveauvoller musealer Atmosphäre als kunstsinnige Völkerkundler von Vitrine zu Vitrine. Insgeheim ist wahrschelich gerade dieser Vorgang das international wirksamste an dieser spektakulären Ausstellung. Deutschland demonstriert aller Welt, wer hier das eigentlich auserlesene Volk ist, dasjenige nämlich, welches die heiligsten Kulturschätze des anderen vor sich hinbreiten und zur Schau stellen kann, wie der Jäger seine Strecke.
Deutsche haben eine „Judenfrage“ gestellt, eine „Zigeunerfrage“, eine „Krüppel- und Idiotenfrage“, und sie haben eine vernichtende Antwort ersonnen und praktiziert. Dafür zur Rechenschaft gezogen, haben sie sich aus der Verantwortlichkeit herausgewunden, wollten mit den Folgeerscheinungen und Verpflichtungen nichts zu schaffen haben, wußten die materielle Buße winzig klein zu halten. Heute scheint es ihnen so, als sei das Maß der Schuld mit der historischen Entfernung vom Tatzeitpunkt zusammengeschrumpft, als sei „Gedenken“ und „Mahnen“ an sich gar nicht erforderlich und nur noch Sache höflicher Pietät. Bei den jüngsten Umfragen am 20.Januar gab der Bürger, wie üblich seit Jahrzehnten, unumwunden zu verstehen, „daß irgendwann auch mal Schluß sein müsse mit dem ewigen Herumstochern in der Hitlerzeit“. Und dann gibt es natürlich noch die guten Menschen, die Ergrauten, die seit den sechziger Jahren einen jüdischen Leuchter besitzen und eine Schwäche für alles Jiddische haben.
Die Schätze der Inkas könnten kaum fremder erscheinen und bleiben in diesem Land. Da läßt sich ein „eindimensionales Bild von den Juden“ ganz sicherlich nicht durch solch eine Ausstellung widerlegen. Denn was nutzt es, wenn Ahnungslose eine goldene Torakrone aus einer Synagoge in Lemberg kennenlernen, ohne zu verstehen, was eine Torakrone ohne Torarolle, ohne betende Gemeinde, ohne Synagoge ist und weshalb einzig sie übriggeblieben sein könnte. Und ohne zu verstehen, was für verhältnismäßig minimale Voraussetzungen genügten und genügen, um eine Psyche zu formen, wie sie an diesem SS-Mann und Tagebuchschreiber zu sehen ist:
Was spricht also dafür, daß Deutsche sich auf viertausendfünfhundert Quadratmetern die „Vielfalt des Glaubens, Denkens und Arbeitens von Juden in den Kulturen der Welt“ vor Augen führen? Da will mir, angesichts dessen, was dagegen spricht, nichts einfallen. Auf den fast zwei Millionen Quadratmetern des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau wurden die meisten der antransportierten Juden systematisch vernichtet. Der „Vielfalt ihres Glaubens, Denkens und Arbeitens“ wurde umstandslos ein Ende gemacht. Am Reichtum „Jüdischer Lebenswelten“ interessierte nichts anderes als sein materieller Gegenwert, den man selbst noch aus Haut und Haaren der Opfer zu ziehen wußte. Deutschland ist bis heute Profiteur und Nutznießer des Massenmordes.
Ein sehr gutes Beispiel dafür bietet die „IG Farben AG i.A.“, die seit 1951 alle juristischen Mittel einsetzt, um die von den Alliierten erteilte Liquidierungsauflage zu unterwandern. Seit ducrh die „Wiedervereinigung“ die ehemaligen IG-Werke Buna, Leuna, Wolfen usw. in ungeahnt greifbare Nähe gerückt sind, steigen sowohl die Kurse als auch das Maß der schamlosen Dreistigkeit. Statt endlich zu liquidieren, hat man auf der Aktionärsversammlung, unlängst im November, beschlossen, zu expandieren und zwar „nach Osten“. Man hat sich umbenannt. Soviel ich gelesen habe, in „IG Beteiligungs- und Grundbesitz AG i.A.“.
Die IG Farben war die Erbauerin und Betreiberin der Buna Chemiewerke in Auschwitz/Monowitz, sie unterhielt auf dem Werksgelände ein eigenes KZ und erhielt jedes gewünschte Häftlingskontingent aus dem Lager geliefert, konnte die Arbeitssklaven nach Bedarf gebrauchen und verbrauchen. Das Buna- Werk Monowitz bezeichnete sich in einer historischen Selbstdarstellung als: „fester Eckpfeiler für ein gesundes Deuschtum im Osten“, Eckpfeiler der IG Farben. Eine der Farben dieses „gesunden Deutschtums“ schlägt bis heute immer noch durch jeden frischen Verputz in den Gaskammern, cyanfarben, schwarzblau.
Die IG Farben hat in den fünfziger Jahren, widerstrebend und als „einmaliger Akt“ gekennzeichnet, 30 Millionen Mark „Wiedergutmachungszahlungen“ an jüdische Organisationen entrichtet. Zigeuner, Zwangsarbeiter und zahllose andere Geschädigte bekamen keinen Pfennig.
Dafür kümmert sich die IG Farben um ihre eigenen Entschädigungsansprüche um so nachdrücklicher. Für die von der sowjetischen Regierung enteigneten Werke und Grundstücke (in der ehemaligen DDR, vorerst) hat man Entschädigung beantragt, in Höhe von insgesamt 800 Millionen Mark. Im Glauben, die Tatsachen dadurch entschärfen zu können, haben die „Liquidatoren“ fünf Prozent davon für den guten Zweck in Aussicht gestellt, um „nach früheren Leistungen zugunsten ehemaliger Zwangsarbeiter ein weiteres Mal ein Zeichen im Dienste humanitärer Hilfe zu setzen“.
Das prägnanteste Beispiel aber, wie sich Deutschland seit jeher, moralisch und materiell, vor den Folgeerscheinungen dessen drückt, was gern mit der Metapher „Auschwitz“ umschrieben wird, ist Auschwitz selbst. Das „Państwowe Muzeum w Oświecimiu“, das „Staatliche Museum in Auschwitz“, hat nie einen einzigen Pfennig von Deutschland bekommen, für Instandhaltung und was sonst alles notwendig ist auf einem derart großen historischen Gelände. Darauf kommt ein normal denkender Mensch eigentlich gar nicht, daß die frühere Bundesrepublik es wagen könnte, „Auschwitz“ zwar bei jeder feierlichen Gelegenheit wirkungsvoll einzusetzen, sich aber nicht die Spur darum zu kümmern, wie das ehemals überfallene Land sich mit diesem „Erbteil“ abplagt. Daß es so ist, habe ich dann auch ganz zufällig im November in Auschwitz erfahren. Die Polen sprechen darüber nicht. Wir wollten eigentlich ins Archiv und fanden es verschlossen. Staatsfeiertag. Also mieteten wir im Museumshotel ein Zimmer und verbrachten unsere Zeit damit, ins „Stammlager“ und nach Birkenau zu gehen.
Zu unserer Überraschung fanden wir im Krematorium auf der Backsteinrückwand der Verbrennungsöfen ein großes schwarzes Hakenkreuz aufgeschmiert. Im Raum der ehemaligen Gaskammer daneben fanden sich kleinere Hakenkreuze und merkwürdige, frisch verputzte Stellen auf der Wand. Dasselbe im Treppenhaus zum Keller des ehemaligen Todesblocks. Auch in Birkenau waren in einigen Blocks die Wände am Eingang und auch zwischen den Bettetagen beschmiert. In der Sauna lagen fast alle Fensterscheiben zerschlagen am Boden. Ein Jahr zuvor — es herrschte in Polen noch Visapflicht — war nichts dergleichen zu sehen gewesen. Wir beschlossen, uns zu erkundigen, seit wann es solche Schmierereien gibt und ob mehr darüber bekannt ist.
An der Informationsstelle rief man uns eine der Frauen heraus, die Führungen in deutscher Sprache macht, und sie wehrte unsere Anfrage derart heftig ab, daß wir Mühe hatten, noch weiter zu sprechen. Es stellte sich dann aber heraus, daß das polnische Museumspersonal, von der Direktorin bis zur Fremdenführerin, offenbar befürchtet, als antisemitisch zu gelten. Sie versicherte, man habe damit absolut nichts zu tun, das seien auch kleine Polen gewesen. Wer allerdings es gewesen sei, das wisse man auch nicht. Als wir vermuteten, daß es vielleicht Deutsche gewesen sein könnten, erwähnte sie sehr vorsichtig, es hätte da mal so eine Sache gegeben, darüber sollten wir aber lieber mit der Direktorin sprechen. Zum Schluß fragen wir, was Deutschland denn nun aufgrund der Verträge neuerdings bezahle für Auschwitz, und sie antwortete, etwas verunsichert, sie glaube, es bezahle nichts, aber auch darüber sollten wir lieber mit der Direktorin sprechen.
Am nächsten Morgen ging ich zur Direktorin und wurde, trotz Besucherstresses und Termindrucks, unangemeldet empfangen. Gerade als wir durchs Vorzimmer gingen und ihre Sekretärin den Telefonhörer auflegte, ging mit einem Schlag das Licht aus. „Da haben Sie sofort einen Eindruck davon, wie es hier zugeht“, sagte sie seufzend und erklärte, daß nun im gesamten Lager- bzw. Museumsgelände kein Strom sei. Das bedeutet, die Schaukästen sind dunkel, elektrische Heizgeräte sind aus, und selbst in der Kantine werden die Speisen und Getränke kalt.
Auf die Frage nach den Hakenkreuzschmierereien reagierte auch sie abwehrend mit einem: „Das kommt von außerhalb, wir haben so gut wie nie mit solchen Problemen zu tun.“ Nach kurzem Zögern erzählte sie aber dann doch folgende Geschichte: Vor einiger Zeit, als sie noch nicht Direktorin, sondern Führerin gewesen sei, hätten zwei junge Männer mit merkwürdigem Benehmen ihre Dienste in Anspruch genommen. Beim Rundgang seien sie gelangweilt neben ihr hergegangen und auf die Frage, weshalb sie sich herumführen lassen, wenn kein Interesse besteht, hätten sie geantwortet, sie seien Revisionisten. Daraufhin habe sie die Führung abgebrochen und das Geld zurückgegeben. Ein paar Tage später seien die beiden deutschen Neonazis wiedergekommen mit einem Kranz, um ihn am Galgen von Höß niederzulegen. Ein weiterer Begleiter habe die Szene gefilmt. Man konnte sie aber sofort hinauswerfen und hatte den Kranz entfernt.
„Ob Deutschland für Auschwitz bezahlt?“ wiederholt sie meine Frage und lacht. „Nein! Seit 1947 bezahlt das Ministerium für Kultur, der polnische Staat, für die Instandhaltung des Museums. Deutschland hat wohl jetzt bei den Verhandlungen über die Deutsch-Polnischen Verträge erwartet, daß Polen eine Bitte äußert wegen Auschwitz usw., aber Polen bittet nicht! Da blieb das Thema unerwähnt.“ Im folgenden langen Gespräch erzählte sie mir Genaueres über die Probleme „ihres“ Museums, im wesentlichen bestehen sie wohl aus dem Geldmangel und seinen Folgen.
Es gibt keine zentrale Beziehung, aber die wäre sehr nötig für die Erhaltung und auch Benutzung der Blocks und besonders der Ausstellungsgegenstände während des Winters. Von der Stadt könnte man Wärme geliefert bekommen, das würde aber die Bezahlung der nötigen Anlagen und der Energie selbst erfordern. Die fünf Millionen Dollar, die das alles kosten würde, die hat man nicht.
Das Geld vom Staat und die Spenden reichen gerade für das Nötigste, und oft das nicht mal, wenn etwas Unvorhergesehenes kaputtgeht. Dabei bekommt man schon wesentlich mehr Geld als andere große Museen, was offensichtlich ein heikler Punkt ist in der Öffentlichkeit, aber das gehört nicht hierher.
Ohne die Hilfe des Holocaust- Museums in Washington könnte man nicht mal richtig telefonieren. Es hat eine neue Telefonleitung gespendet. Gute Zusammenarbeit mit einer deutschen Institution gibt es auch, mit dem Max-Planck-Institut in Göttingen. Es hat Rechner geschenkt und arbeitet ein Programm aus zur Computerisierung des Archivs.
Es gibt zwei Stiftungen, die versuchen, Gelder aufzutreiben. Eine eigene und eine von Estée Lauder gegründete. Letztere hat durch Konservatoren prüfen lassen, welche Summe für Restaurierung und Konservierung des gesamten Museumsgeländes und der Sammlung notwendig wäre. Man kam auf eine Summe zwischen 50 und 75 Millionen Dollar. Alle von den Nazis besetzten Staaten sollten in den Lauder-Fonds spenden, so war es vorgesehen, die Direktorin weiß aber nichts über den neuesten Stand der Dinge.
Vorerst jedenfalls fehlt es fast an allem. Es gibt auf 200 Hektar 150 feste Gebäude, 250 Ruinen, Wachtürme, Umzäunungen, Tore. 180 Personen stehen für alle anfallenden Tätigkeiten zur Verfügung inklusive Direktorin. Für gut ausgebildetes oder gar Fachpersonal ist kein Geld da. Es fehlt aber nicht nur an Konservatoren, auch Wachleute und Putzkräfte sind knapp.
Es gibt über 100.000 „Musealien“, Originalgegenstände und Materialien verschiedenster Art. Allein zwei Tonnen Haare müssen regelmäßig fachgerecht gereinigt und konserviert werden. Es gibt niemanden, der das fachgerecht und kostenlos machen würde. Man bräuchte Werkstätten und Konservatoren, Möglichkeiten zu experimentieren, denn der Erhalt vieler Originale ist sehr problematisch. Viele Dinge bestehen aus mehreren verschiedenen Materialien, die ganz unterschiedliche Konservierungsmittel benötigen. Aber so, wie es jetzt sei, sagt die Direktorin, könne man nicht mal den Holzwurm am Zerstörungswerk hindern. Arbeiter setzen Fensterscheiben ein, bringen die Dächer in Ordnung und tragen hektoliterweise Holzschutzmittel auf die Bretter der Pferdestallbaracken in Birkenau auf.
In Birkenau schreitet der Verfall schneller voran, als die Arbeiter ihm folgen können. Beim letzten Gebäude angekommen, ist das erste bereits wieder in Gefahr, umzusinken. Seit dem Kriegsende hat man das dritte Mal sämtliche Dächer mit neuen Ziegeln gedeckt. Gerade wird das Torhaus von Birkenau neu gedeckt, der Turm renoviert. Man hat Beschwerden erhalten (auch von Deutschen), daß die Regeln des Denkmalschutzes nicht eingehalten werden, falsche Ziegel auf den Dächern lägen, der Originalzustand wieder hergestellt werden müsse. Von einer Baracke hat man die Originalziegel aufbewahrt. Einmal ließ man in einer Fabrik diese Ziegel nachmachen, aber sie kosteten fünfmal soviel wie die polnischen.
Das größte Problem aber bereitet die chemische Fabrik Monowitz. Ihre Rauchfahnen ziehen übers Lagergelände, im ätzenden Sprühnebel geht alles um ein Vielfaches so schnell kaputt, wie es unter normalen Witterungsbedingungen der Fall wäre.
(Dem Museum fehlt noch etwas sehr dringend: ein Bus für den Pendelverkehr zwischen Auschwitz und Birkenau. Wer dafür Geld spenden möchte, überweist mit dem Vermerk: „Bus fürs Museum“
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