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Bush setzt beim Pentagon Rotstift an

■ US-Präsident will vorläufigen Produktionsstopp für Atomsprengköpfe bekanntgeben/ Gerüchte um amerikanisches ABM-Programm für Atomwissenschaftler aus der Ex-Sowjetunion

Washington (wps/dpa/ap) — Altgediente Aktivisten der US-Friedensbewegung werden sich morgen fühlen wie unter dem Weihnachtsbaum, wenn sie vor dem Fernseher der Ansprache des Präsidenten an die Nation lauschen. Denn George Bush, dem nun niemand Nähe zum Pazifismus nachsagen kann, will nach Informationen aus dem Weißen Haus am Dienstag seinen Bürgern bekanntgeben, daß die nunmehr einzige Supermacht die Produktion von Atomsprengköpfen vorerst einstellen will. Dabei handelt es sich um die Herstellung von „W-88-Sprengköpfen“, die für die Trident-II-Rakete entwickelt worden waren. Die W-88-Sprengköpfe sollen bei der strategischen U-Boot-Flotte der USA vorerst durch den weniger schlagkräftigen Gefechtskopf W-76 ersetzt werden. Als Grund für diesen Schritt nannten Regierungsbeamte am Wochende der 'Washington Post‘ geringere nukleare Bedrohung durch die einstmals zweite Supermacht sowie die eigenen finanziellen Sorgen. Bush erwartet beim Treffen mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin am nächsten Wochenende eine entsprechende Geste seitens der Russischen Föderation. So lange ließ Jelzin den US-Präsidenten gar nicht warten. Am Samstag erklärte er in einem Interview mit der amerikanischen Fernsehgesellschaft ABC, daß die von Rußland kontrollierten strategischen Atomraketen demnächst nicht mehr auf die USA gerichtet sein sollen. Eine offizielle Erklärung hierzu will Jelzin heute abgeben.

Rund vier Milliarden Dollar sollen im neuen Haushaltsplan der USA bei Verteidigungsprogrammen eingespart werden. Dies sieht laut 'Washington Post‘ eine vorläufige Liste vor, die dem Kongreß zugeleitet worden sei und die besonders auch erhebliche Streichungen bei Atomwaffenprojekten einschließe. Kürzungen sind auch bei der Weiterentwicklung des Kampfpanzers M-1 und des Marinejagdflugzeugs F-14 Tomcat vorgesehen. Außerdem sollen Forschungsprogramme an Universitäten gekürzt werden. In Kreisen des Pentagon wurde bestätigt, Bushs Pläne zielten auch auf eine Beseitigung des Arsenals an ballistischen Raketen des Typs MX ab. Betroffen seien ferner die ursprünglichen Programme für Midgetman- Raketen und Raketen vom Typ Minuteman III.

Sorgen um mögliche Verwendungszwecke des eingesparten Geldes braucht man sich in Washington nicht zu machen. Nach Informationen aus dem Weißen Haus soll ein Teil des Geldes verwandt werden, um eben jene Umweltschäden zu beseitigen, die durch die Atomwaffenproduktion entstanden sind. Betroffen ist unter anderem die umstrittene Produktionsanlage in Rocky Lats bei Denver im US-Bundesstaat Colorado, wo bislang schätzungsweise 400 W-88-Sprengköpfe hergestellt worden sind. Seit 1989 hatte die US- Regierung bereits eine Milliarde Dollar zur Beseitigung von Umwelt- und Sicherheitsproblemen der Anlage ausgegeben. Große Teile der Anlage dürften nach dem nun veröffentlichten Sparbeschluß stillgelegt werden. Nicht ganz billig zu haben ist auch ein bislang einzigartiges ABM-Programm, dessen Umsetzung das US-Außenministerium zwar noch bestreitet, jedoch einräumt, daß entsprechende Überlegungen angestellt werden: eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für rund 2.000 Atomwissenschaftler der ehemaligen Sowjetunion. Damit sollen diese Wissenschaftler widerstandsfähig gegen Abwerbungsversuche durch Staaten gemacht werden, die auf die Produktion von Atomwaffen aus sind. Nach Berichten der englischen 'Sunday Times‘ exponiert sich dabei besonders der Iran. Besonders in den muslimischen Republiken seien bereits mehrere Fachleute persönlich angesprochen worden, berichtete die britische Sonntagszeitung unter Berufung auf „politische und wissenschaftliche iranische Kreise in Paris“. Mehrere Angesprochene seien bereits in den Iran gefahren. Ob sie dort Verträge unterzeichnet hätten, sei nicht bekannt. Um mit den Angeboten aus Teheran mithalten zu können, muß Washington tief in die Tasche greifen: Bis zu 200.000 Pfund (574.000 Mark) seien hochrangigen Atomexperten für ihr Übersiedeln in den Iran geboten worden.

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