: Stasi auch in Westkirchen
■ Angeblich waren 3.000 Pfarrer für Stasi tätig/ EKD-Ratsvorsitzender Engelhardt gegen „billige Gnade“
Hannover/Berlin (dpa/ap/taz) — Nachdem der frühere Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in der DDR, der heutige Ministerpräsident von Brandenburg Manfred Stolpe (SPD), kontinuierliche Kontakte zur Staatssicherheit eingestanden hat, geraten nun zunehmend die Kirchen ins Visier von Stasi-Aufklärern. Mittlerweile fühlt sich auch der Rat der EKD bemüßigt, öffentlich Stellung zur Verquickung von Kirchenmitarbeitern mit DDR-Staats- und Sicherheitsorganen zu beziehen.
Nach Schätzungen des Rektors der Kirchlichen Hochschule Berlin, Gerhard Besier, Autor des vor vier Wochen erschienenen Buches Pfarrer, Christen und Katholiken, haben etwa 3.000 Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet. In den „West-Kirchen“ soll die Stasi, so Besier, 40 inoffizielle Mitarbeiter (IM) plaziert haben. Ein Oldenburger Pfarrer sei bereits enttarnt worden und warte auf seinen Prozeß.
Die Namen von zwei weiteren will Besier in zwei Wochen aufdecken. Einer von ihnen ist angeblich in der EKD-Zentrale in Hannover beschäftigt. David Gill, Sprecher der Gauck-Behörde in Berlin, wollte am Wochenende solche Meldungen weder dementieren noch bestätigen. Dazu sei es zu früh, da entsprechende Unterlagen noch nicht vollständig aufbereitet seien.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Klaus Engelhardt (Karlsruhe), wandte sich in einem Zeitungsgespräch gegen eine „billige Gnade“ für Stasi-belastete Personen in der ehemaligen DDR. „Unrecht muß beim Namen genannt werden“, unterstrich Engelhardt. In einer am Samstag in Hannover veröffentlichten Erklärung zum Thema „Kirche — Gesellschaft — Staatssicherheit“ bezeichnet die EKD die Auseinandersetzung mit dem DDR- Unrechtsregime als zwar schmerzhaft, aber notwendig. Kontakte der Kirchen mit der Stasi seien immer „riskante Grenzgänge“ gewesen. „Der Weg der Kirchen zwischen Widerspruch und Anpassung war und ist umstritten, auch innerkirchlich“, heißt es in der EKD-Erklärung ohne ausdrücklichen Hinweis auf Manfred Stolpe. Gespräche von Kirchenvertretern mit Staatsorganen „waren notwendig, dagegen waren Gespräche mit dem Ministerium für Staatssicherheit nichts Normales“. Entscheidend sei, ob sie einen Vertrauensbruch darstellten. „Mißtrauen, Feindschaft und Verbitterung dürfen aber nicht das öffentliche Klima beherrschen. Versöhnung kann und muß sie wieder zusammenführen.“
Die EKD verwies darauf, daß die Kirchen in den neuen Bundesländern mit Überprüfungen ihrer Mitarbeiter begonnen hätten. Es seien auch bereits Konsequenzen gezogen worden. Die Aufklärungsarbeit, heißt es in der Erklärung, müsse aber auch in den West-Kirchen geleistet werden.
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