Ein schmerzlicher Verrat

■ Für die Kolleginnen und Kollegen in der taz-Redaktion, die in den Jahren 1986 bis 1989 eng und vertraulich mit Till Meyer zusammengearbeitet haben, ist die Agententätigkeit besonders schmerzhaft

„Ich bin kein Denunziantenschwein“, erregte sich Till Meyer, als er gestern nachmittag in der taz anrief. „Ich habe es aus politischer Überzeugung gemacht“, erklärte der ehemalige taz-Redakteur. „Ich wurde von der Abteilung XXII als IMB, als Informeller Mitarbeiter mit Feindberührung, geführt. Mein Führungsoffizier war Helmut Vogt.“ Er habe keine Interna aus der taz weitergegeben, beteuerte der ehemalige Aktivist der Bewegung 2. Juni. Die taz sei für ihn nur Schnittstelle für „ganz andere Informationen“ gewesen. Er sei im Frühjahr 1987 kurz nach seiner Haftentlassung von der Stasi kontaktiert worden und habe sich zur Mitarbeit bereit erklärt, bevor er bei der taz zu arbeiten begonnen habe. „Als ich denen sagte, daß ich ein Volontariat bei der taz hätte, waren die natürlich hoch erfreut. Aber mein Ding war ein ganz anderes.“

Zunächst herrschte auf der gestrigen Redaktionskonferenz Fatalismus vor. Waren wir nicht immer davon überzeugt gewesen, daß die Stasi auch Informanten in der taz gehabt haben muß? Hatte nicht auch der Westberliner Verfassungsschutz einen Vigilanten gedungen, um die taz auszuforschen? Hatte nicht auch dieser oder jene in der taz Till Meyer, der aus seinem orthodoxen marxistisch-leninistischen Weltbild nie einen Hehl gemacht hatte und in seinem Trenchcoat mit seinem klandestinen Gebaren einen perfekten Agenten in einem Spionage-Thriller abgegeben hätte, klammheimlich im Verdacht gehabt, der Mann Mielkes in der taz gewesen zu sein?

Je länger die Diskussion jedoch währte, um so nachdenklicher wurde der Ton der Debatte. Enttäuschung und Wut traten an die Stelle von Hilflosigkeit. Die taz hatte Till Meyer eine Stelle als Volontär angeboten, damit er als Freigänger früher aus dem Gefängnis käme. Die Redaktion bot ihm die Chance der Resozialisierung in einem ihm vertrauten Milieu. Sie verhalf ihm zu einem Beruf. Jetzt die niederschmetternde Erkenntnis, daß die taz eine Natter an ihrer Brust genährt hat.

Wir wissen noch nicht, welche Informationen er an die Hauptabteilung XXII weitergegeben hat. Immerhin gehörte Till Meyer gegen Ende seiner rund zwei Jahre in der taz aufgrund seines zum Teil hervorragenden journalistischen Einsatzes zu den Mitgliedern der Redaktion, die in fast alle Internas eingeweiht waren. Vor allem über Aktivitäten der westdeutschen Verfassungsschutzämter, unter anderem gegen die taz, hat Till Meyer für die taz an vorderster Front recherchiert. Innerhalb der Zeitung war er an der Berichterstattung über die Opposition in der früheren DDR nicht beteiligt. Trotzdem wissen wir nicht, ob DDR-Oppositionelle Schwierigkeiten bekommen haben, weil Meyer ihre Kontakte mit der taz abschöpfen konnte. Haben taz-RedakteurInnen dank Meyers Denunziation Einreiseverbote bekommen? Mancher dieser Verdachtsmomente wird sich aufklären lassen, wenn Till Meyer sich der Diskussion mit uns stellen wird.

Die bevorstehende Akteneinsicht seitens der taz hätte die Agententätigkeit Meyers enthüllt. Daß er sich bis zuletzt der Hoffnung hingegeben hat, sein Tun könne unentdeckt bleiben, kennen wir von Dirk Schneider und anderen Stasi-Spitzeln zur Genüge. Daß er sich nicht als erstes einem Mitglied unserer Redaktion offenbart hat, ist besonders für diejenigen, die eng mit ihm zusammengearbeitet haben, schmerzhaft. Die Redaktion