: Schönberg, der Maler
Zur Ausstellung des bildnerischen Werks von Arnold Schönberg in Köln ■ Von Frieder Reininghaus
Wer sich mit der europäischen Neuen Musik befaßt, kommt am Oeuvre Arnold Schönbergs kaum vorbei. Denn dieser Komponist vermochte, wie Theodor W. Adorno 1948 zu seiner umfassenden Rechtfertigung schrieb, „allein kraft kompromißloser Konsequenz“ die seinem Schaffen innewohnenden Impulse so weit zu treiben, „bis sie als Ideen der Sache selbst lesbar wurden“.
Daß sich die Künste um 1910 so rasch und so weit hinausbewegten, gehört am anderen Ende des stürmischen Jahrhunderts fast zu den Selbstverständlichkeiten. Schönbergs Name steht, wie nur wenig andere, für das einst Neue im jähen Emanzipationsprozeß der Musik ein. Doch Schönberg, der Maler?
Eine „bisher wenig bekannte, überraschende Breite und Vielfalt dieses Schaffensbreichs“ dokumentiert — nach den Worten der Macher — die gegenwärtige Ausstellung in Köln. Da sie vier Jahrzehnte umfaßt, wurde eine intensive Auseinandersetzung mit dem bildnerischen Werk möglich, das „sonst stets im Schatten der eminenten Bedeutung Schönbergs als Neuerer der Musik verblieb“.
„Der Zweck eines Bildes ist: in malerischer Form einem inneren Eindruck einen äußeren Ausdruck zu geben“, faßte Wassily Kandinsky 1912 angesichts der Bilder Schönbergs zusammen. Er war fasziniert von der Art, in welcher der Autodidakt zu Werke ging. Wie in seiner Musik verzichte Schönberg „auch in seiner Malerei auf das Überflüssige (also auf das Schädliche) und geht auf direktem Wege zum Wesentlichen (also zum Notwendigen). Alle ,Verschönerungen‘ und Feinmalereien läßt er unbeachtet liegen.“
Damit war eine zentrale Denkfigur der ästhetischen Moderne formuliert: Das Überflüssige, wohl überhaupt Überfluß, ist schädlich, die Notwendigkeiten diktieren das „Wesentliche“. Nach den Erfahrungen des Jahrhunderts mag Skepsis angebracht sein, ob die Rigidität solchen Denkens nicht obsolet wurde (Walter Benjamins Konfiguration der Idee beispielsweise wies einen anderen Weg — die Möglichkeit eines sinnvollen Nebeneinanders extremer Gegensätze). Ebenso anfechtbar wie das puristische Denken erscheint die notorisch auf die Notdurft reduzierende künstlerische Praxis. Die postmodernen Zeiten dürften aus ähnlicher Geschichtskonsequenz angebrochen sein wie die so emphatisch sich definierende Moderne.
„Unendlich wenige Fachmaler“, so Kandinsky, besäßen „diese glückliche Kraft, zeitweise diesen Heroismus, diese Entsagungsenergie, welche allerhand malerische Diamanten und Perlen, ohne sie zu beachten, ruhig liegen lassen oder sie gar wegwerfen, wenn sie sich ihnen von selbst in die Hand drücken. Schönberg geht geradeaus, seinem Ziele entgegen, oder durch sein Ziel geleitet nur dem hier notwendigen Resultat entgegen.“
1904 gründete der dreißigjährige Schönberg in Wien zusammen mit Alexander (von) Zemlinsky die „Vereinigung schaffender Tonkünstler“, in der ein Jahr später die symphonische Dichtung Pelleas und Melisande uraufgeführt wurde. Um 1907, so wird überliefert, begann er zu malen, 1910 wurden einige seiner bildnerischen Arbeiten im Rahmen einer Ausstellung des „Blauen Reiter“ in München der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Bilder erschienen den zeitgenössischen Beobachtern (wie auch den meisten heutigen Betrachtern) „vorbildlos“.
Da wiederholt behauptet wurde, er sei „von Kokoschka beeinflußt“, es gäbe darüber hinaus auch einen erheblichen „Kandinsky-Einfluß“ auf sein Schaffen, sah sich Schönberg 1934 veranlaßt, eine Erklärung abzugeben. Sie endet: „Auch ich hänge vermutlich irgendwie mit Zeitgenossen zusammen. Aber kaum mit diesen.“ Die gegen Ende des ersten Jahrzehnts beginnende und sich rasch intensivierende Beschäftigung Schönbergs mit dem Zeichnen und der Malerei, verschiedenen Anzeichen und schriftlichen Hinweisen zufolge in einer Phase der psychischen Krise, hing wohl tatsächlich mit „Zeitgenossen“ zusammen: Schönbergs Frau Mathilde unterhielt ein intensives Verhältnis mit dem Maler Richard Gerstl (1883-1908), der auf außerordentlich grausame Weise Selbstmord verübte.
So wenig nach der Auffassung von Thomas Zaunschirn, dem Hauptautor des Katalogs zur Schönberg-Ausstellung, das „Pauschalurteil vom depressiven Künstler, der sich mit Malen heilen“ wollte, gerechtfertigt sei, so evident erscheint doch der Zusammenhang von Biographie und Produktivität. 1909, kurz nach Gerstls Selbstzerfleischung, ließ sich Schönberg von Marie Pappenheim den Text für das Monodram Erwartung schreiben. Auskomponiert wurde in quälender Länge ein einziger Augenblick: Eine wartende Frau findet den Geliebten tot im Wald auf. Parallel zur Erwartung arbeitete Schönberg an dem Bühnenstück Glückliche Hand (1908-1913), das die Qualen und Entfremdungen des Künstlers, sein Triumphieren und Versagen thematisiert.
Die 1910 gezeigten Bilder, die Kandinsky leicht mißverständlich „Visionen“ nannte (der Urheber bestand darauf, daß sie als Blicke zu bezeichnen sind), kamen dem russischen Maler einerseits wie „notwendige Fingerübungen“ vor, andererseits sah er darin Versuche Schönbergs, „seine Gemütsbewegungen, die keine musikalische Form fanden, zum Ausdruck zu bringen“. — Schönberg wurde für einige Zeit zum Maler von Blicken. Fast ausnahmslos sind es seine eigenen Augen, die den Betrachter in der jetzt zusammengetragenen Ausstellung anblicken: Schönbergs Augen, die aus seinen Selbstporträts sprechen; Schönbergs Augen aber auch in vielen der übrigen Männerbildnisse — und selbst in denen seiner Frauen. In denen der Kinder ohnedies.
Schönbergs Naturell sei zwischen zwei Extremen gespannt, diagnostizierte Adorno; gespannt zwischen „der Verpflichtung durch die älteren Mittel und dem magnetischen Feld des noch nie Erprobten“. Dieses Urteil über die musikalische Grundhaltung gilt für den Maler Schönberg nur in höchst beschränktem Umfang. Die „Verpflichtung auf die älteren Mittel“ bedeutete hier keinen Rekurs auf Maltechniken früherer Phasen der Kunstgeschichte, sondern auf die der Kindheit. Schönberg, als Musiker ebenso Autodidakt wie als Maler, befaßte sich im Grad seiner Professionalisierung mit wichtigen Partituren der Musikgeschichte. Ein vergleichbares Selbststudium unternahm er auf dem Gebiet der bildenden Kunst nicht. Daher weist sein bildnerisches Werk vergleichsweise geringere Spannung auf. Dennoch war der Meister in späteren Jahren, als er im kalifornischen Exil nach seinem Verhältnis zur bildenden Kunst gefragt wurde, sehr sicher, daß er ebensogut eine Karriere als Maler hätte einschlagen können. Immerhin habe er eine „gute technische Begabung“ gezeigt, sei dann aber wegen anderweitiger Aufgaben aus der Übung des Malens herausgekommen. Um 1910 freilich hatte er gehofft, sich durch Porträts von seiner Hand der drückenden finanziellen Sorgen entledigen zu können.
Kandinsky sah die Sache damals wohl richtig, wenn er feststellte, daß Schönberg nicht nur mit seiner Maltechnik unzufrieden sei, sondern insgesamt — unzufrieden „mit seinem inneren Wunsch, mit seiner Seele, von der er mehr verlangt, als sie heute geben kann“. Diese Unzufriedenheit wünschte der russische Maler fürderhin jedem Künstler und „für alle Zeiten“. Vielleicht ist sie eine der bleibenden Erbschaften der Zeit der Moderne.
Mehr als die Hälfte der von Schönbergs Hand erhaltenen Arbeiten sind Selbstporträts. Schönberg war Monomane. Sein Blick greift bei der Christus-Vision auf das Messianische aus. In Liebe und Haß muß er davon überzeugt gewesen sein, zu den besonders Erwählten zu gehören. Dies scheint eine der zentralen Voraussetzungen seiner Modernität.
Drei Karikaturen zeigen, wie wenig Schönberg die über Musik schreibende Zunft leiden mochte. Den Musikkritiker Paul Stefan malte er wenig vorteilhaft. Angetrunken erscheint er und mit verbogenem Rückgrat. Einen weiteren Kritiker stellte er als Untier dar. Einen dritten schließlich mit affenartig fliehender Stirn und einer Nase, wie sie später von den Rassentafeln der Nationalsozialisten her schrecklich bekannt wurde. Von dergleichen hebt sich das eigene edle Antlitz fast unendlich weit ab.
Das bildnerische Werk kreist einzig um seinen Urheber selbst: um seinen Blick, seine Familienangehörigen und andere, die er als künstlerische Kombattanten ansah. In seinem Autismus war der Maler Schönberg — wenn nicht richtungweisend — doch seiner Zeit voraus.
Die von Schönberg angefertigten Bühnenbild-Entwürfe und Figurinen zu den musikdramatischen Arbeiten Erwartung und Glückliche Hand signalisieren, in welch hohem Maß diese Werke unter der Vorgabe präziser optischer Vorstellungen geschrieben wurden. Ohne daß Jannis Kounellis und Pierre Audi diese Entwürfe gekannt haben müssen, als sie im vergangenen Jahr in Amsterdam Glückliche Hand realisierten, scheinen einige bildnerische Ideen Schönbergs in das Ausstattungskonzept des Muziektheaters Eingang gefunden zu haben. Das mag von der mitunter übel beleumundeten „Logik der Sache“ herrühren.
Die Schönberg-Ausstellung könnte auch zu einer Intensivierung der musikalischen Rezeption des Schönbergschen Oeuvres führen, um die es zu keinem Zeitpunkt sonderlich gut bestellt war. Jene Kreise, die den Übervater der musikalischen Moderne stets und noch immer für einen hoffnungslos überschätzten Künstler halten, mag die Bilderschau in der Meinung bestärken, der Maler Schönberg sei über das Dilettantische nie hinausgekommen, rangiere gar in der Nähe von Adolf Wölfli. Insgesamt aber dürfte die Ausstellung erhellen, welche Bedeutung das dezidiert Nicht-Akademische für die Herausbildung der Moderne hatte und in welchem Maß die Schöpfer des Neuen selbstverliebt, monoman, introvertiert sein mußten, um zu erreichen, was sie bewirken wollten.
Arnold Schönberg · Das bildnerische Werk. Noch bis zum 6.Februar im Museum Ludwig, Köln. Danach in The Whitworth Art Gallery, Manchester.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen