: Von Tigern und Mücken
■ Zum Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng in Rom und anderswo
Von Tigern und Mücken Zum Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng in Rom und anderswo
Soll man von den westlichen Regierungen verlangen, bei Verhandlungen mit der VR China die Beachtung der Menschenrechte zur Voraussetzung von Vertragsabschlüssen zu machen? Nichts erscheint öder und vergeblicher angesichts des Triumphs von business as usual. Seit der Vertreter Chinas im UNO-Sicherheitsrat die Resolution 678 — Billigung militärischer Gewaltanwendung gegen den Irak — passieren ließ, verschwanden die letzten Sanktionen. Jetzt stehen den Schlächtern vom Tiananmen wieder Milliardenkredite zur Verfügung. Gianni de Michelis, italienischer Vorreiter der Normalisierung, begnügte sich anläßlich seines China-Besuchs 1991 nicht damit, „positive und regelmäßigere Beziehungen“ zu propagieren. Er warnte darüber hinaus davor, in Europa entstandene Begriffe und Modelle „auf andere Länder“ zu übertragen. Diese offene Distanzierung von der chinesischen Demokratiebewegung war es wohl auch, die Li Peng dazu bestimmte, Rom zur ersten Station seines jetzt beginnenden Europa-Trips zu wählen.
Wer gegen diesen Besuch protestiert, sieht sich einmal dem Standard-Argument ausgesetzt, es bringe nichts, „Pakete zu schnüren“. Der Deal Menschenrechte gegen Wirtschaftshilfen sei noch stets gescheitert, er treibe die chinesische Regierung nur zurück in die Isolation. Spezifisch wird außerdem noch argumentiert, daß die Bedeutung Westeuropas für China seit dem Zusammenbruch der Supermacht Sowjetunion stark nachgelassen habe, man also, selbst wenn man wolle, kein Druckmittel in der Hand habe. Jedes nicht getätigte Geschäft würde zur Beute der Japaner, der USA oder der Asean-Staaten.
Ein weiteres Mal werden wir Zeuge der Doppelzüngigkeit „unserer“ westlicher Regierungen. Sie feiern einerseits den historischen Trend, Menschenrechtskonflikte zu internationalisieren und die Souveränität der Staaten über die ihrer Gewalt Unterworfenen einzuschränken. Sie warnen aber andererseits vor jeder Form von Sanktion, wenn — ja wenn der jeweilige Missetäter nur mächtig genug ist. Ist aber diese Politik so alternativlos, wie sie von den Predigern der „Verantwortungsethik“ verkauft wird? Hält die Erfahrung der osteuropäischen Revolutionen keinerlei Material bereit, das das Dogma der Trennung von Geschäft und Moral erschüttern könnte? Ist es wirklich so aussichtslos, dem Handlungsreisenden Li Peng eine Liste mit den Namen Gefangener zu überreichen und insisitent auf deren Freilassung zu bestehen? Die allergischen Reaktionen der chinesischen Machthaber auf alle Formen der „Einmischung“ sollten eher zu solchem Vorgehen ermutigen. Chinas Kommunisten haben keine Alternative zur Westöffnung. Und viele hundert Mücken, wie es im Sprichwort heißt, können auch den Tiger das Fürchten lehren. Christian Semler
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