Tour d‘Europe

■ Angst vorm Binnenmarkt

Je näher der offizielle Beginn des europäischen Binnenmarktes rückt, desto größer werden auch die Bedenken dagegen. Selbst Leute, die sich bislang nicht um Gemeinschaftsangelegenheiten geschert haben, beginnen zu spüren, daß der lange Arm der EG bis tief in ihre Privatsphäre hineinreicht.

So geht es auch den rund 125.000 Beschäftigten der privaten Zollagenturen, die jetzt noch an den innereuropäischen Grenzen verhindern sollen, daß geschmuggelt wird. Seit Jahren ist klar, daß die Geschäftsgrundlage für ihre Arbeit entfällt, wenn die Binnengrenzen, an denen sie postiert sind, abgeschafft werden. Lediglich an den Außengrenzen, in Häfen und Flughäfen der Gemeinschaft wird es dann noch Bedarf an Zollinspektoren geben, die Reisende auf verdächtige Waren durchsuchen. Rund 85.000 Zollinspektoren werden so aller Voraussicht nach bis zum Jahresende überflüssig, schätzt ihre französische Gewerkschaft SNCD.

Am Montag dieser Woche — knapp zwölf Monate vor ihrer lang angekündigten Abschaffung — gingen die Zollinspekteure auf die Barrikaden. Sie streikten europaweit für einen umfassenden Sozialplan und für Unterstützung aus Brüssel.

Die EG-Administration dämpfte jedoch die hochgesteckten Erwartungen an Schadensbegrenzung. Kommissarin Christiane Scrivener erinnerte daran, daß der Wegfall der Grenzkontrollen bereits seit sechs Jahren beschlossene Sache sei. Die Zollagenturen, die Privatunternehmen sind, hätten genügend Zeit gehabt, sich darauf einzustellen. Die Brüsseler Behörde könne nicht als Ersatz für die nötige Anpassung eines privatwirtschaftlichen Sektors einspringen. Immerhin erklärte sich die Behörde bereit, gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten Anpassungsmaßnahmen für die ausgemusterten Zollinspektoren zu unterstützen, beispielsweise in Form von Schulungskursen.

Muffensausen wg. Binnenmarkt verspüren auch andere Europäer. Das stellte zuletzt das EG- Statistikamt „Eurotat“ Mitte Januar fest. Rund 85 Prozent der EG-Bürger haben Angst vor den Auswirkungen des Projektes „grenzenloses Europa“, erklären die Soziologen. Die Erwartungen an den Binnenmarkt variieren dabei von Land zu Land erheblich. In Italien, Irland und Portugal sollen die Menschen besonders hoffnungsvoll sein. In Frankreich und Luxemburg hingegen stellte „Eurotat“ bei 42 Prozent der Bevölkerung „Angst“ fest. Überdurchschnittlich große Befürchtungen gibt es auch in der Bundesrepublik, wo 32 Prozent der Befragten „Angst“ und 57 Prozent „Hoffnungen“ äußerten.

Die Dänen, die sich im Unterschied zu anderen EGlern schon seit vielen Jahren intensiv und sehr kritisch mit der EG auseinandersetzen, haben am 2. Juni Gelegenheit zu einer Stellungnahme. Dann nämlich will die Regierung ein Referendum über die Maastrichter Verträge abhalten. Das dänische Parlament hatte seinem Ministerpräsidenten Poul Schlüter schon vor dem Maastrichter EG-Gipfel im vergangenen Dezember angekündigt, daß die dort ausgehandelten Verträge über die Politische Union vom Volk beurteilt werden müßten. Bei einem zweiten Referendum, das 1996 oder 1997 stattfinden soll, können die Dänen über die Einführung einer gemeinsamen EG-Währung entscheiden. dora