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Thailands Militärs wollen Macht nicht abgeben

Ein Jahr nach dem Putsch werden Wahlen vorbereitet/ Ein handverlesener Senat soll dafür sorgen, daß sich nicht allzuviel ändert/ Regierung bemüht sich um Akzeptanz/ Kluft zwischen Wirtschaftswachstum und zögerlicher Demokratisierung  ■ Von Dorothee Wenner

Ein Manager ist auf dem Weg zur Konferenz im Stau steckengelieben. In seiner Not bittet er einen vorbeilaufenden Fußgänger: „Können Sie mich ein Stück mitnehmen?“, woraufhin der Schnelle antwortet: „Tut mit leid, keine Zeit.“ Witze wie diese haben in Bangkok derzeit Hochkonjunktur: Das Verkehrschaos hat utopische Dimensionen angenommen, und ein jeder kann authentische Anekdoten erzählen, von verpaßten Flugzeugen, geplatzten Verabredungen und ausgefallenen Konzerten. Und täglich werden auf Bangkoks Straßen etwa 450 Autos neu zugelassen. „Unsere Stadt wird bald der größte Parkplatz des Kosmos sein“, prophezeite jüngst eine thailändische Tageszeitung.

Immer amerikanischer sehen die Kaufhäuser und Bürokomplexe aus, die man mit seinem Wagen ansteuert: Imitationen römischer Monumentalität, gigantische Tempel, dem wirtschaftlichen Aufschwung geweiht. Die extrem konsumfreudige Atmosphäre täuscht leicht über die politische Krise hinter der modebewußten Fassade hinweg: In Thailand steht derzeit das Image auf dem Spiel, ein mustergültiges Entwicklungsland zu sein. Mit ungeheurer Geschwindigkeit wechselt die innenpolitische Großwetterlage, Diskussionen um einschneidende Verfassungsänderungen lösen die Gerüchte eines bevorstehenden Putsches durch den unzufriedenen, weil politisch zur Zeit machtlosen Luftwaffengeneral Kaset Jojananin ab. Ob nach dem unblutigen Militärputsch vom Februar letzten Jahres Thailands schrittweise Rückkehr zur Demokratie funktionieren wird — das entscheidet sich in den nächsten drei Monaten des Wahlkampfes.

Immer weiter hat sich die Schere zwischen einem enormen wirtschaftlichen Wachstum und der hinterherhinkenden politischen und sozialen Wirklichkeit geöffnet. Auf der einen Seite ist Thailand kurz davor, mit dem ökonomischen Ehrentitel des „Fünften Tigers“ in Südostasien ausgezeichnet zu werden, andererseits verhindern Korruption, Stimmenkauf, Gesetzeslücken, Zensurmaßnahmen und zentralistische Strukturen die Entwicklung einer demokratischen Kultur. Wie ein Sinnbild für dieses paradoxe Auseinanderdriften von wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftspolitischer Stagnation werden in Bangkok immer mehr Wolkenkratzer bezugsfertig, deren Zufahrtsstraßen kaum breiter als bundesdeutsche Feldwege sind.

Uneingelöste Versprechungen

Im Februar 1991, unmittelbar nach dem Putsch, hatte Juntachef General Sunthorn Kongsompong den Thailändern vollmundig eine große Aufräumaktion auf Regierungsebene und mehr Transparenz in allen Bereichen der Politik versprochen. Der Name der Militärregierung sollte Programm werden: Der „National Peace Keeping Council“ (NPKC = Nationaler Friedenssicherungsrat) sagte der überhand nehmenden Korruption den Kampf an und stellte eine neue, demokratischere Verfassung in Aussicht. Doch die Bilanz nach elf Monaten Amtszeit fällt miserabel aus: Der von der Junta eingesetzte Ausschuß zur Aufdeckung von Korruption hat zwar einige Mitglieder der gestürzten Regierung für „ungewöhnlich reich“ erklärt, doch diese euphemistisch formulierte Anschuldigung kratzte nur leicht an der Reputation der Verurteilten und zog nicht viel mehr als einige mittlere Geldstrafen nach sich.

Was den demokratischen Kräften in Thailand zur Zeit mehr zu schaffen macht als das tiefsitzende Übel der Korruption, ist die neue Verfassung. Deren letzter Entwurf sieht vor, der zu wählenden Regierung einen übermächtigen, von den Militärs handverlesenen Senat gegenüberzustellen. Außerdem behält sich das NPKC weiterhin das Recht vor, den neuen Premierminister zu bestimmen. Auf der Grundlage dieser Verfassung scheinen die für März angesetzten Wahlen zu einer relativ bedeutungslosen Angelegenheit zu werden. Es ist nicht viel mehr als eine denkbar geringe Konzession des NPKC vor allem gegenüber den ausländischen Investoren, die sehr kühl und zurückhaltend auf den Putsch reagiert haben. Zwar wird damit gerechnet, daß die Märzwahlen dazu beitragen, Thailands Ruf als politisch stabiles Schwellenland wiederherzustellen— faktisch jedoch sichert sich das NPKC, völlig unabhängig vom Ausgang der Wahlen, für weitere vier Jahre die Regierungsmacht.

„Die Militärs haben in den vergangenen 15 Jahren viel dazugelernt. Sie haben begriffen, daß man mit bloßer Gewaltausübung heute in Thailand keine Politik mehr machen kann“, kommentiert ein Aktivist der prodemokratischen Bewegung die Situation. Tatsächlich bemüht man sich in Thailand auch auf oberster Regierungsebene um Akzeptanz. Zum Beispiel steuerte der Innenminister General Issarapong Noonpackdee eine Unterschriftenliste mit sechs Millionen Unterzeichnern bei, die sich auf diese Weise positiv zur neuen Verfassung ausgesprochen haben sollten. Wenige Tage später erwies sich der Aufwand jedoch als das Werk fleißiger, aber wenig begabter Unterschriftenfälscher.

Mit größerer Ernsthaftigkeit bemüht sich der amtierende Premierminister Amand Panyarachun um das Wohlwollen kritischer Demokraten. Er hat vorgeschlagen, ein aus unabhängigen Akademikern, Gewerkschafts- und Studentenvertretern bestehendes „watchdog committee“ einzuberufen, das den rechtmäßigen Ablauf der Wahlen vor allem in den ländlichen Provinzen überwachen soll. Die meisten der für diese Aufgabe vorgeschlagenen Regimekritiker haben bislang jedoch diese Zusammenarbeit verweigert — man wollte sich nicht als Aushängeschild der bevorstehenden, in vielerlei Hinsicht zweifelhaften Wahlen mißbrauchen lassen.

Bangkoks Gouverneur will kandidieren

Die Quittung für diese eindeutige Kritik kam umgehend: Professor Saneh Jamarik von der Thammasat- Universität wurde von Unbekannten ein abgeschnittener Hundekopf ins Wohnzimmer geworfen. Diese Warnung erschreckte viele Bangkoker, denn sie weckte unangenehme Erinnerungen an noch nicht sehr weit zurückliegende Zeiten, als das thailändische Militär weniger zimperlich mit Oppositionellen umzugehen pflegte.

Nun hat der populäre Gouverneur von Bangkok, Chamlong Srimuang— der den Ruf hat, völlig unkorrupt zu sein— angekündigt, er werde bei den kommenden Parlamentswahlen antreten, um für demokratische Reformen zu kämpfen, meldet 'ips‘. Chamlong führt in Meinungsumfragen als meistgenannter Wunschkandidat für den Posten des Premierministers. Bei den Militärs ist er jedoch wegen seiner kritischen Haltung höchst unbeliebt. Die neue Verfassung hatte er als „ferngesteuerten Sprengsatz“ bezeichnet: „Ein Druck auf den Knopf, und die Regierung ist weg.“

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