Von Dinosauriern und anderem Lesestoff

■ Detaillierte Bilder im Gegensatz zum Comic-Stil/ Der Altberliner Kinderbuch-Verlag/ Nicht immer kommen die Ideen an

Berlin. Einer meiner ersten Freunde war ein Dinosaurier. Er konnte schwimmen wie ein Schiff, Buspassagiere auf seinem langen Schwanz befördern, alte Damen samt Gepäck über die Straße tragen und vieles mehr. Kurzum, er war nicht nur wesentlich liebenswürdiger, sondern auch um einiges interessanter als meine übrigen FreundInnen. Auch heute noch bevölkern Dinosaurier neben reizenden Drachen, Vampiren, Monstern und anderen außergewöhnlichen Lebewesen die Kinder(buch)welten. Meist sitzen sie eines Tages einfach unter dem Bett, auf dem Fensterbrett oder in der Badewanne, um daraufhin das normale Leben kräftig durcheinanderzubringen. In anderen Büchern wiederum machen kleine HeldInnen Ausflüge in Traumwelten, die sich deutlich vom Kinderalltag unterscheiden. Dieses Mit-, Neben- und Durcheinander von Wirklichkeit und Phantasiewelt, das auch von Kindern selbst in ihren Spielen in unzähligen Varianten inszeniert wird, ist ein sehr verbreitetes Genre in der Kinderbuchliteratur. Es richtet sich in der Regel an Kinder ab sechs beziehungsweise acht Jahren. Für jüngere Kinder stehen dagegen eher Tiergeschichten in Bilderbuchform auf dem Programm.

Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Darstellungsweise orientiert sich am Alter der Kinder. Je älter die Kinder sind, desto mehr Text kann ihnen zugemutet werden, desto detailreicher sollten auch die Zeichnungen sein. Während kleine Kinder von allzu vielen Details möglicherweise überfordert sind, lieben größere Kinder es, immer wieder neue Einzelheiten entdecken zu können.

Einer der wenigen Berliner Kinderbuchverlage ist der Altberliner Verlag im Bezirk Mitte. Die MitarbeiterInnen dieses Verlages, der sich auf Bilderbücher spezialisiert hat, sind ganz offensichtlich äußerst bibliophile Gemüter. Trotz der momentanen Absatzschwierigkeiten wollen sie an ihrem Konzept, das auf künstlerisch wertvolle Illustrationen setzt, festhalten. Zur Zeit sind sie nicht zuletzt damit beschäftigt, auszurechnen, wie viele Bücher für einen breiteren Publikumsgeschmack sie auf den Markt bringen müssen, um sich den Druck aufwendigerer Werke leisten zu können. Eines dieser Werke ist eine Reihe, von Peter Becker illustrierter, Grimmscher Märchen, die ganz ohne Text erzählt werden. »Ich weiß ja jetzt schon, daß ich nicht viele davon verkaufen werde«, mutmaßt der Leiter des Verlages, Dr. Gerhard Dahne, »aber die sind so schön, die muß ich doch einfach bringen.« Tatsächlich wirken die bunten, detailreichen Bilder wie Gemälde und setzen sich somit deutlich vom Comic-Stil ab. Die geheimnisvollen, teilweise auch düsteren Bilder — die Pechmarie zum Beispiel sieht bei Becker wirklich sehr mitgenommen aus — rufen bei manchen Eltern Zweifel hervor, ob dies denn wohl das Richtige für Kinder sei. Wahrscheinlich werden diese Eltern sich spätestens in ein paar Jahren wundern, wenn sie ihre lieben Kleinen das erste Mal beim »Splatter«- Film-Gucken erwischen.

Nicht immer kommt bei den Kindern das an, was die Erwachsenen sich ausgedacht haben. Um dies herauszufinden, gibt es für die AutorInnen und Verlage verschiedene Möglichkeiten. Als erste Testpersonen dienen den SchreiberInnen und ZeichnerInnen natürlich, so vorhanden, die eigenen Kinder. Finden diese das, was Mami oder Papi da entworfen haben, akzeptabel, so wird das Vorhaben meist auch an den Kindern des Verwandten- und Bekanntenkreises ausprobiert, bevor das Werk im Verlag landet. Hin und wieder werden Kindergärten oder Schulen besucht, um einer größeren Gruppe von Testpersonen das Buch zur kritischen Durchsicht zu überlassen.

Die MitarbeiterInnen vom Altberliner Verlag haben dafür jedoch momentan keine Zeit. Sich in den Wirren der Marktwirtschaft zurechtzufinden raubt ihnen noch immer einiges an Energie. Eine spannende neue Möglichkeit ist für sie der Erwerb von Lizenzen ausländischer AutorInnen, eine Praxis, die auch bei Westverlagen sehr verbreitet ist. Denn Lizenzausgaben sind nicht nur billiger als die Finanzierung eigener Entwicklungen, sondern es gibt zudem vor allem in Skandinavien und England einiges zu entdecken.

Einen Verkaufserfolg erhofft sich Gerhard Dahne beispielsweise von dem Aufklärungscomic »Kinder machen geht so« der Dänin Liller Möller. Dieses frech-poppige Buch, das mit der Aussage »ich habe meinen Eltern beim Bumsen zugesehen« beginnt, beschreibt Sexualität und Geburt aus der Sicht vier neugieriger, kichernder Kinder. Diese erfahren unter anderem, daß Sex Spaß machen kann und daß es okay ist, »nein« zu sagen.

Natürlich fahndet der Büchernarr Dahne auch bei den Lizenzausgaben nach dem Besonderen. So suchte er in Israel den jüdischen Autor Win van Leer auf, der 1944 im englischen Exil, gemeinsam mit dem Illustrator Walter Trier (Kästner-Bücher) ein hinreißend komisches Bilderbuch über einen sehr merkwürdigen Vogel gemacht hatte. Im Herbst wird das bisher unveröffentlichte Buch auf den deutschen Markt kommen. Einen Dinosaurier gibt es im Altberliner Verlag übrigens auch. Er heißt Bruno und hat — wie könnte es anders sein — mein Herz im Sturm erobert. Sonja Schock