Strahlende Rentiere

Oslo (taz) — Eine radioaktive Belastung von 25.000 Becquerel ist bei 400 in Mittelnorwegen geschlachteten Rentieren festgestellt worden. Sowohl die zuständigen Gesundheitsbehörden als auch der Strahlenschutz sprechen von einem Rätsel.

Wegen der extrem hohen Belastung von Rentierfleisch nach der Tschernobyl-Katastrophe waren die Rentierzüchter aufgrund entsprechender wissenschaftlicher Untersuchungen dazu übergegangen, ihre Tiere in den letzten Wochen vor der Schlachtung in Gegenden weiden zu lassen, die ausweislich der Tschernobnyl-Niederschlagskarten als weniger belastet ausgewiesen waren. Es hatte sich nämlich gezeigt, daß dies auch bei vorher höher belasteten Weiden zu Becquerel-Werten führte, die weit unterhalb der kritischen Werte lagen. Zur Vernichtung von zu stark belastetem Fleisch mußte es daher in den letzten Jahren kaum noch kommen. Entsprechend war auch im Fall der 400 Rentiere verfahren worden, die jetzt vergraben werden müssen. Eine andere Ursache als die Folgewirkung von Tschernobyl ist nach Auskunft von Erik-Anders Westerlund vom staatlichen „Institut für Strahlenhygiene“ eigentlich nicht vorstellbar, gleichzeitig angesichts der konkreten Weidegebiete aber „unerklärlich“. Eine Quelle für den Austritt von Radioaktivität in Norwegen selbst gibt es nicht, da das Land weder über AKWs verfügt, noch dort Atomwaffen lagern. In der Lokalpresse Mittelnorwegens wurden Spekulationen laut, ob die Verstrahlung möglicherweise ihren Grund in einem Leck der vor Norwegens Küste untergegangenen sowjetischen Atom-U-Boote oder in einem möglicherweise bisher unbekannten anderen Zwischenfall mit Austritt radioaktiver Strahlung haben könnte. Meldungen über solche Zwischenfälle gab es in den letzten zwei Jahren wiederholt in bezug auf atomare Anlagen auf der Halbinsel Kola am Eismeer, ohne daß von westlichen Meßstationen aber Alarm wegen gefährlicher Strahlenwerte gegeben worden war. Reinhard Wolff