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Öffentlichkeitsarbeiter

■ Public Enemys Einsatz auf Plattentellern und an der MTV-Front

Im Videoclip Can't Truss It zur neuesten Public-Enemy-LPApocalypse 91 ... The Enemy Strikes Black wird eine Szene nachgestellt, die letzten Sommer in den USA für großes Aufsehen sorgte: Ein Videoamateur filmte zufällig von einem Balkon aus, wie mehrere Beamte des berüchtigten Los Angeles Police Department (LAPD) den Farbigen Rodney King niederknüppelten. Nachdem das Band von der Polizeibehörde zurückgewiesen wurde, übergab der Videozeuge George Holliday das Dokument einem Fernsehsender. Ohne die Veröffentlichung des Beweismittels hätten die beteiligten Polizisten im Zweifelsfall die Zeugen überstimmt.

Die US-weit ausgestrahlten Videobilder hatten zur Folge, daß sich eine Untersuchungskommission mit dem LAPD befaßte und das Ausmaß des alltäglichen Rassismus offenlegte. Folgende Dialoge brachte die Auswertung der Dienstgespräche über „Mobile Digital-Terminals“ (Funk-Schreibmaschinen in den Streifenwagen) zutage: „Vollmond und eine volle Knarre versprechen eine spaßige Nacht“; „Ich würde gern runter nach Slaudson fahren mit einem Flammenwerfer... wir könnten dort grillen“; oder auch: „Ich hatte mir letzte Nacht gerade einen Mexikaner geschnappt, doch der ließ seine verdammte Knarre zu schnell sinken.“ Von der routinemäßigen Kontrolle ihrer Gespräche fühlten sich die Beamten offenbar nicht behelligt. Mit einem gewissen Recht: Von den über 3.400 Anschuldigungen wegen Gewaltanwendung der LAPD gegenüber der Bevölkerung im Zeitraum von 1986 bis 1990 wurden gerade mal drei Prozent verfolgt.

Im Can't Truss It-Video bildete der — nachinszenierte — Fall Rodney Kings den vorläufigen Schlußstein eines filmischen Mosaiks von Ausbeutung und Mißachtung der Schwarzen, die sich von der Einschiffung als Sklaven über die Ausbeutung der Arbeitskraft auf den Baumwollfeldern und als Industriearbeiter bis hin zur Lynchjustiz im „wilden“ Westen erstreckt. Peitsche, Stechuhr und Knüppel sind die Instrumente der Macht. Der Gang zu den Arbeitsplätzen und die angekettete Reihe frisch eingetroffener Sklaven werden aneinandergeschnitten. Weiße Sheriffs reiten unbeschadet durch vierhundertfünfzig Jahre amerikanische Geschichte; die Erhängung eines versklavten Landarbeiters wird in das Niederknüppeln von Rodney Kind übergeblendet.

„History shouldn't be a mistery“ — Public Enemy leistete eine Art Öffentlichkeitsarbeit. In Form von Agitprop-Platten, Videofilmen und Konzerten, aber auch als Redner und Interviewpartner vermitteln sie fehlendes historisches Wissen. Über reine Zustandsbeschreibungen hinaus fördern sie durch historische Querverweise schwarzes Geschichtsbewußtsein. Scheinbar vereinzelte Ereignisse geben sich plötzlich als Glied einer Kette zu erkennen. „Schau, da kommt der Richter/ Vor Jahren wäre er der Kapitän des Schiffes gewesen/ Der mich auf der Überfahrt zerquetscht“ (das Segelboot im Video erinnert kaum zufällig an die „Santa Maria“ des Christoph Kolumbus). Zu den Samples eines TV-Beitrags über Sklavenverschiffung kreisen im Hintergrund die Helikopter von South General LA bis zur mexikanischen Grenze, von Vietnam bis Basra.

Gut verträglich ist diese ästhetische Agitation auch für Schwarze nicht immer — weder für die Deklassierten in den Vorstädten noch für die weiße Muster kopierende Mittelschicht. „Public Enemy konfrontiert die Szene gnadenlos mit ihrem Nichtwissenwollen: Geschichte des vorkolonialen Afrikas, Geschichte der Sklaverei, Geistesgeschichte des Islam, Geschichte und Gegenwart der Afro-Amerikaner“, schrieb Günther Jakob vor zwei Jahren in 'Spex‘. Das gilt bis heute; selbst die neuerwachte „afrocentricity“ kämpferischer Schwarzer, die den Stolz auf afrikanische Wurzeln herausstellt, schlägt aus ihrer Distanz gegenüber dem amerikanischen „Vaterland“ kaum politisches Kapital. Häufig wird nur einem sentimentalen Gefühl der Fremdheit Ausdruck gegeben, das oftmals verknüpft ist mit verschwommenen Bildern von Heimat, Dorfkultur und musikalischer Ursprünglichkeit. Demgegenüber zeigt das Can't Truss It-Video die tiefe Ursache der Entfremdung: die zwangsweise Verschiffung der schwarzen Arbeitskräfte vom kolonialisierten afrikanischen zum indianerbefreiten amerikanischen Kontinent durch weiße Siedler.

Der Einfluß mündlicher Kultur oder einer gemeinschaftlichen Bildersprache mittels Film, Emblem (Afrika-Kette) und Kleidungsmode (Nikes) ist im Umfeld eines weitverbreiteten Analphabetismus unter den schlecht ausgebildeten Schwarzen nicht zu unterschätzen. HipHop- Srechgesang führt die traditionelle „oral culture“ fort; nur reisen die Erzähler nicht mehr von Dorf zu Dorf, sondern bedienen sich der Massenmedien. Im Unterschied zur Reportage eines von außen kommenden Journalisten, entstehen die Mitteilungen aus dem Kreis der Betroffenen selbst: HipHop ist vor allem eine Form der Selbsthilfe, um sich der falschen Bilder in Schulbüchern und Medien zu erwehren, wobei der inzwischen eingetretene kommerzielle Durchbruch der weiteren Verbreitung dienlich ist. PE spricht in Fight the Power von „mental self defensive fitness“.

Der Textanteil hat, anders als im Pop, Vorrang gegenüber der Musik. „Die Idee, den Auflösungserscheinungen des schwarzen Denkens etwas entgegenzusetzen, hat natürlich nichts mit Pop oder so zu tun“, sagt Chuck D., 'Lyrical Terrorist und Kopf von PE. „Nur: die Leute, um die es geht, erreichst du halt mit Musik. Die hören ja überhaupt keiner öffentlichen Persönlichkeit oder gar einem Abgeordneten mehr zu.“ Bloß schmückendes Beiwerk oder Rhythmusgeber ist der dichtgewebte Soundtrack trotzdem nicht: Hörspielartig bilden eingestreute Telefonate, Geräusche oder Radio- und TV-Sprecher eine Brücke zwischen den Polen Text und Musik. Obgleich Public Enemy arbeitsteilig in Sänger/Texter/Bühnenfigur (ChuckD, Flavour Flav), Bühnen-DJ (TerminatorX) und hinter den Kulissen agierende Musikerzeuger/Produzenten (Bomb Squad) geschieden sind, dient alles der Verbreitung von Botschaften mittels drastischer Zeichen. Nebenbei hören kann man das nicht: der druckvolle Sprechgesang, die drastische Wortwahl, die hektischen Dialoge, Sirenengeheul oder fies knirschende Musikschnipsel setzen durch bewußt niedrige Sampling-Rate den Hörer unter Streß.

Shut Em Down, das zweite Video zur neuen PE-Platte, ergänzt die inCan't Truss It ausgebreitete Chronik der Unterdrückung durch zappelig geschnittene Verweise auf den schwarzen Widerstand. Das „manifesto“ fungiert dabei als Theorieangebot zur Überwindung des in Can't Truss It zusammengefaßten Status Quo. Handgekritzelte, kartoffelstempelartige Schriften, Piktogramme und Fotos rauschen stoßfeuerartig über den Bildschirm, der hier wie eine Wandzeitung eingesetzt wird. Dabei ist das einzelne Zitat, das Bild oder die dokumentarische Filmsequenz so blitzartig, daß man sie mit der Pausentaste herausfischen muß. Black Panther, Angela Davis, MalcomX oder Muhammed Ali verschmelzen wie die drei Farbigen mit erhobener Faust auf dem Siegertreppchen zu einer Solidargemeinschaft der Public Enemies; ihre ruhmreichen Köpfe sind auf Dollarnoten montiert. Am Ende bleibt — resignativ, provokativ oder bloß rhetorisch gemeint — ein Satz auf der Wand stehen: „Where Are The Revolutionaries?“

In Burn Hollywood Burn sitzt die Band im Kino und traut ihren Augen nicht. „Hollywood läßt uns alle schlecht ausschauen... All die Jahre erscheinen wir wie Clowns/ Der Witz ist vorbei, riech den Rauch überall/ Brenn Hollywood brenn.“ Eine endlose Reihe von Slapstick- Filmen spult über die Leinwand, in der Farbige oder schwarz Geschminkte Spiegeleier ins Gesicht geschmissen bekommen oder als devote Randfiguren (Butler, Dienstmägde, Sklaven oder Huren) vorgeführt werden. Nachdem es nichts hilft, die Augen zu schließen oder mit Popcorn zu werfen, flammt demonstrativ ein Streichholz auf. Beim Herausgehen dringt schon dichter Qualm aus dem Kino. Während PE von Spike Lee singen, stoßen sie auf ihre Namen, eingelassen als Sterne im Hollywood Boulevard.

Warum gibt es eigentlich keine Clip-Kritik auf den Kulturseiten der Zeitungen? Die klare Bildsprache der PE-Videos benötigt keine Synchronisation und wird via MTV mehrfach am Tag in den verkabelten Haushalt geliefert. Ihre Filme sind schlagende Argumente, da sie durch die Verwebung von Dokumenten, Nachinszenierung und Fiktion in Bild und Ton authentisch wirken und zugleich analytisch vorgehen. In Welcome to the Terrordome besuchen Public Enemy das New Yorker Gefängnis Rikers Island und simulieren in ihrem Video — nachdem dort auch Martin Luther King hinter Gitterstäben auftaucht — einen Ausbruch.

Public Enemy nutzen die Distributionsmöglichkeiten der Kulturindustrie für ihren außerparlamentarischen Kampf, indem sie geschickt, zwischen Kunst und Kampf, Politik und Musikgeschäft pendeln. Sie schöpfen ihren Pop-Status im Dienste der Sache aus, so daß selbst weitgehend „unpolitische“ Journale sich — wegen der Popularität und den offensichtlichen Verkaufserfolgen von PE — nicht um die Beschäftigung mit ihren Texten drücken können. Die Medien fungieren — zumindest vorübergehend — als Multiplikator einer normalerweise als „Minderheiten“-Thema ausgegrenzten Debatte.

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