piwik no script img

Eine doppelbödige Institution

Eine Ausstellung zum Jüdischen Kulturbund in der (West-) Berliner Akademie der Künste  ■ Von Elke Schubert

Wir bitten unsere Mitglieder dringend, jede große Autoauffahrt vor dem Haus zu vermeiden... in Auftreten, Kleidung und Haltung zu berücksichtigen, daß wir Repräsentanten einer in Not befindlichen Gemeinschaft sind... politische Gespräche jeder Art während der Veranstaltungen zu vermeiden.“ Mit diesen Verhaltensregeln aus dem ersten Programmheft machte die Leitung des Jüdischen Kulturbundes das Premierenpublikum auf die Eigenart und Besonderheit ihres Projektes aufmerksam.

Daß kurz nach der Machtübernahme, als Hitler seine Versprechen aus Mein Kampf per Gesetz und Verordnung in die Tat umzusetzen begann und Juden aus öffentlichen Ämtern, Universitäten, freien und auch künstlerischen Berufen verdrängt wurden, eine jüdische Organisation mit mehr als sechzigtausend Mitgliedern entstehen konnte, die ein eigenes kulturelles Programm mit Theateraufführungen, Vorträgen, Konzerten und Filmen aufbaute und bis 1941 von den Nazis nicht nur geduldet, sondern auch gefördert wurde, erscheint auf den ersten Blick mehr als abenteuerlich und unverständlich. Und in dem Versuch, sich diesem Phänomen zu nähern, stößt man unvermittelt auf die Doppelfunktion des Kulturbundes, einerseits selbstgewähltes Ghetto, andererseits ein Aspekt der „jüdischen Selbstbehauptung“ zu sein.

Offenkundig ist natürlich sofort, daß die Nazibehörden nicht aus humanitären Gründen einer Gruppe, die als Volksfeind Nummer eins ausersehen war, eine eigene Kulturorganisation gestattet hätten, ohne dabei ganz konkrete Ziele zu verfolgen. Gleichzeitig wird hier das Spannungsfeld deutlich, in dem sich Künstler, Angestellte und Publikum des Kulturbundes bewegten.

Herbert Freeden, einer der Mitarbeiter des Kulturbundes, bemerkt in seinem Buch Jüdisches Theater in Nazideutschland, daß der Kulturbund schon kurz nach seiner Gründung den Weg von einer „sozialen zur moralischen Anstalt“ beschritten habe. Zunächst war er nämlich gegründet worden, um jüdischen Künstlern eine Arbeitsmöglichkeit zu verschaffen, in einer Organisation, die von ihren Mitgliedern durch ein Monatsabonnement getragen werden sollte, um so die angestellten Künstler, technischen und kaufmännischen Mitarbeiter zu finanzieren.

Wichtigste Auflage der Behörden war, daß von der Sekretärin über die technischen Angestellten, vom Opernsänger bis zum Bühnenarbeiter nur Juden beschäftigt werden durften. Und dieses Konzept, dem sich die Initiatoren fügen mußten, war von Anfang an umstritten. Kurt Tucholsky schrieb 1935 aus der Distanz des Exils: „Sie spielen in streng geschlossenen Theatern, isoliert wie Leprakranke, und ich höre sie bis hierher: ,Jetzt werden wir ihnen mal zeigen, daß sie (wir) das bessere Theater haben!‘ Sie hören nichts. Sie sehen nichts. Sie merken nichts.“

Andere wiederum versuchten der erzwungenen Isolation auch positive Seiten abzugewinnen, also das einzulösen, was Herbert Freeden als die „moralischen“ Aufgaben bezeichnet hat: den größtenteils assimilierten Juden in Deutschland geschichtliche und kulturelle Aspekte des Judentums zu vermitteln.

Ein Konzept, das weitgehend scheitern mußte: beliebter als die wenigen explizit „jüdischen“ Stücke, die sich beispielsweise mit dem Konflikt in Palästina auseinandersetzten, waren eben die Gräfin Mariza oder der Sommernachtstraum, was Freeden ahnhand der statistisch erfaßten Zuschauerzahlen nachweisen konnte.

Daß man nur in einem sehr eng begrenzten Raum agieren konnte, auf brüchigem Boden spielte, dessen waren sich wohl alle Beteiligten bewußt. Und daß dieser Raum immer enger wurde, bis keine Luft mehr blieb, die immer bedrohlicher werdende Situation sich mehr und mehr auf den Bühnenbrettern des Kulturbundes reproduzierte, auch darüber machte sich keiner Illusionen. Bot der Kulturbund immerhin einigen hundert jüdischen Künstlern und Angestellten Arbeit — neben der Zentrale in Berlin gab es noch in vielen anderen Städten kleine Dependancen —, so war er auf der anderen Seite ein Instrument der Nazis, die dem Ausland demonstrieren konnten, wie hervorragend es den Juden in Deutschland ging. Während der Olympischen Spiele war den Juden eine kurze Atempause vergönnt, die Bestimmungen wurden für die Dauer der Sportveranstaltungen gelockert, und damit auch die Kontrolle über die Aktivitäten des Kulturbundes.

Der Kulturbund unterstand einem gut besetzten Behördenapparat unter der Leitung von Hans Hinkel, dessen Berufung einen Sprung auf seiner Karriereleiter bedeutete und der wie ein absolutistischer Herrscher das Programm kontrollierte, die Aufführungen genehmigte oder ablehnte und dessen Mitarbeiter jede Darbietung als Zuschauer verfolgten. Auch hier die gleiche Ambivalenz wie bei den Mitarbeitern des Kulturbundes, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Hans Hinkel war für Herbert Freeden gleichzeitig Förderer und Unterdrücker, Protektor und Tyrann der Kulturbundorganisationen. „Auf der einen Seite schützte er sie vor dem Zugriff der Gestapo, der Intervention der Reichstheaterkammer, den Übergriffen der örtlichen Partei- und Polizeistellen, half die notwendigen Räumlichkeiten zu erlangen und sorgte für den störungsfreien Ablauf der Veranstaltungen; auf der anderen Seite schnürte er den geistigen Lebensraum jüdischer Kulturarbeit mehr und mehr durch eine Zensur ein, die am Ende groteske Formen annahm...“

Das selbstgewählte Ghetto wurde immer mehr zur Falle, die Kontrolle total, und viele Künstler machten sich auf den Weg ins Exil, vor allem die Musiker, die noch am ehesten die Chance hatten, im Ausland ein Engagement zu finden.

Als der Jüdische Kulturbund im September 1941 von den Behörden aufgelöst wurde, schrieb eines seiner Gründungsmitglieder — der Schriftsteller Julius Bab — in der New Yorker Emigrantenzeitung 'Aufbau‘ den Nachruf auf eine doppelbödige Institution. „Sicherlich gut ist es, daß das teuflische Spiel der Nazis ein Ende hat, mit dem sie die Welt darauf hinwiesen, daß die Juden in Deutschland sich sogar noch eine Theater- und Kunstorganisation leisten können! Denn nur zu diesem Zweck wurde dieser ,Kulturbund der deutschen Juden‘ von den Nazibehörden nicht nur erhalten, sondern anbefohlen... Aber es mag abschließend verzeichnet werden, daß innerhalb dieses bösen Planes jahrelang viel Gutes getan wurde.“

Schätze in Schachteln

Die Akademie der Künste in Berlin hat am vergangen Sonntag eine große Ausstellung über die Arbeit des Jüdischen Kulturbundes und sein historisches Umfeld eröffnet. Neben der Intention, die in vielen Jahren angesammelten Archivbestände, wie den Nachlaß von Fritz Wisten (Schauspieler des Kulturbundes) und Julius Bab, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, geht es vor allem auch darum, den Doppelcharakter des Kulturbundes durch eine angemessene Ausstellungskonzeption deutlich zu machen.

Dabei waren die Austellungsmacher vor allem mit dem Problem konfrontiert, flüchtige Augenblicke wie Theateraufführungen und Konzerte sichtbar zu machen und die verhinderte Öffentlichkeit des Kulturbundes festzuhalten, wie der Archivdirektor Wolfgang Trautwein auf einer Pressekonferenz skizzierte. Deutlich sollten die Interessen der Nazis an einer Ausgrenzung der Juden aus allen künstlerischen Bereichen der Öffentlichkeit bis ins „selbstgewählte Ghetto Kulturbund“ herausgestellt werden, ebenso sollten die konträren Diskussionen in In- und Ausland einbezogen werden.

Ein entscheidender Impuls für das Zustandekommen der Ausstellung ist den beiden Journalisten Henryk M. Broder und Eike Geisel zu verdanken, die bei ihren Recherchen für einen Fernsehfilm über den Kulturbund die beteiligten Künstler in den USA, den Niederlanden und Israel aufsuchten und dabei auf zahlreiche Schätze in Pappschachteln stießen. Ein Jahr nach der Ausstrahlung des Films machten sie sich erneut auf den Weg, um diese Schätze für die Berliner Akademie zu sichern. Es konnte natürlich längst nicht alles ausgestellt werden, was an Spielplänen, Standfotos, Bühnenentwürfen, Figurinen, Porträts und Briefen zusammengekommen war.

Die Ausstellungskonzeption ist aufgegangen, denn mit sanftem Zwang führt sie den Besucher zu den Ereignissen, offenbart ihm die Vielfalt der Spielpläne, den Einfluß der Verordnungen auf die Aufführungen, macht ihn mit den einzelnen Sparten des kulturellen Programms — Theater, Musik (mit eigener Schallplattenproduktion), Kabarett, Vorträgen — bekannt, versucht in einem Raum den Werdegang einiger Kulturbund-Künstler im Exil nachzuvollziehen, wie den des Schauspielers Martin Brandt, der in Hollywood wegen seines deutschen Akzents als Nazidarsteller erfolgreich war, oder eines Musikers, dessen Paß Zeugnis von einer Odyssee über den halben Erdball ablegt.

Der Gang des Besuchers endet an einer Tafel des Lagers Westerbork in Holland, Endstation für viele Kulturbundkünstler. Dieses Lager verdient noch aus einem anderen Grund besondere Beachtung, denn hier mußte auf Befehl des Lagerkommandanten ein reges Kulturleben stattfinden, somit, wie Eike Geisel in seinem Katalogbeitrag schreibt, ein „remake“ des Jüdischen Kulturbundes in Deutschland. Grotesk und zynisch mutet es an, wenn man sich vorstellt, wie hauptsächlich die Unterhaltungssparte Kleinkunst und Kabarett gepflegt wurde, denn ein Großteil der Insassen wurde nach Auschwitz deportiert. Und makaber wirkt heute das in der Ausstellung gezeigte, liebevoll mit Fotos, Zeichnungen und Scherzgedichten ausgestattete Album, das die Lagerinsassen dem Kommandanten zum Geburtstag schenkten.

Skandalös spät kommt diese Ausstellung über ein wenig bekanntes Kapitel der deutsch-jüdischen Geschichte, viele ehemalige Kulturbundmitglieder, die das Kriegsende überlebt hatten, sind mittlerweile gestorben. Für die Künstler und Mitarbeiter bietet sich endlich die Möglichkeit, nach Jahrzehnten des Schweigens wieder im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Im April werden sie auf zahlreichen Veranstaltungen über ihre Arbeit im Kulturbund berichten.

Die Austellung geht bis zum 26.April 1992, in der Akademie der Künste, Hanseatenweg10, 1000 Berlin 21. Dienstag bis Sonntag, 10 bis 19Uhr. Begleitprogramm mit Lesungen und Vorträgen. Der Katalog ist bei der Edition Hentrich erschienen. 456S., mit zahlreichen Schwarzweiß- und Farbabbildungen. Im Buchhandel 48DM, in der Ausstellung 38DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen