: Jelzin kündigt Abrüstung an
Moskau (ap/taz) — Vom Zustand einer TV-Gesellschaft ist die Russische Föderation noch weit entfernt. Doch nach der mit Spannung erwarteten Rede von US-Präsident Bush zur Lage der US-Nation setzte sich auch Boris Jelzin ins Fernsehstudio und sprach zum Volk. In seiner ersten umfassenden Erklärung zu Fragen der Abrüstung seit dem Zerfall der Sowjetunion im Dezember kündigte der russische Präsident gestern konkrete Schritte zum Abbau der Atomwaffen an. An die anderen Atommächte appelliert er, ihre Arsenale zu verringern. „Atomwaffen und andere Mittel der Massenvernichtung müssen abgeschafft werden“, sagte er in einer Fernsehansprache. Zuvor hatte Jelzin in einem Gespräch mit dem amerikanischen Außenminister James Baker seine „Befriedigung über den Vorschlag von US-Präsident George Bush ausgedrückt, die nuklearen Langstreckenwaffen drastisch zu reduzieren.
Der russische Präsident, vor kurzem noch in einem Nebel von Gerüchten um seine physische und politische Stabilität von der Bildfläche verschwunden und dann auf dem Stützpunkt der Schwarzmeerflotte in Sewastopol wieder aufgetaucht, will unter anderem die Alarmbereitschaft von 600 strategischen land- und seegestützten Atomwaffen mit insgesamt 1.250 Sprengköpfen aufheben. Die Russische Föderation habe außerdem die Produktion von Langstreckenbombern mit nuklearer Bewaffnung drastisch eingeschränkt. Darüber hinaus würden Vorbereitungen getroffen, die Abschußanlagen für Atomwaffen an Bord von sechs U-Booten abzubauen. Bei einem entsprechenden Schritt der USA sei sein Land auch zur Vernichtung aller auf See stationierten atomaren Langstreckenwaffen bereit, erklärte Jelzin. Die dadurch erzielten Einsparungen im Verteidigungshaushalt könnten für die Reformierung der Wirtschaft verwendet werden. Solange Atomwaffen auf beiden Seiten existierten, sollten sie Jelzin zufolge nicht länger auf Ziele in Rußland oder den USA gerichtet sein.
Jelzin ging auch auf Befürchtungen westlicher Staaten ein, daß der Zerfall der Sowjetunion zur einer Verbreitung von Kernwaffen oder zu einer Abwanderung sowjetischer Atomwissenschaftler in politisch instabile Länder führen könne. „Rußland beabsichtigt, dem Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen und -technik beizutreten.“ Außerdem plane Rußland, den Export von atomwaffenfähigem Material schärfer zu überwachen. Jelzins Angaben zufolge wünscht Rußland auch die vollständige Beseitigung chemischer Waffen.
Nato beklatscht Bush-Rede
Nato-Generalsekretär Manfred Wörner hat die jüngste Abrüstungsinitiative von US-Präsident George Bush als „weitreichenden Schritt beim Aufbau einer friedlicheren, freieren und bedeutend sichereren Welt“ bezeichnet.
Ebenfalls hocherfreut zeigten sich Bundeskanzler Helmut Kohl und der britische Premierminister John Major. Der britische Regierungschef will weitere Abrüstungsschritte mit dem russischen Präsidenten erörtern, wenn Jelzin an diesem Donnerstag auf dem Weg zum New Yorker Gipfeltreffen des UNO-Sicherheitsrats in London Zwischenstation macht.
Mit ebenso einschneidenden Abrüstungsschritten im eigenen Land zu beginnen stößt bei der britischen Regierung jedoch auf wenig Gegenliebe. Der britische Verteidigungsminister Tom King hält die geplante Umrüstung von „Polaris“- auf „Trident“-Atomraketen in Großbritannien weiter für erforderlich. „Dies ist letztlich unser Schutz vor dem riesigen Atomwaffenarsenal, das noch in den nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahren in der früheren Sowjetunion vorhanden sein wird. Es wäre Wahnsinn, auf diese atomare Mindestabschreckung zu verzichten“, unterstrich er.
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