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Schießbefehl: Honecker war Anstifter

■ Verteidiger für Freispruch: Mauerschützen waren Opfer der Verhältnisse und strafrechtlich nicht verantwortlich

Berlin (dpa) — Im zweiten Mauerschützenprozeß vor dem Berliner Landgericht haben die Verteidiger gestern für die beiden angeklagten ehemaligen DDR-Grenzsoldaten Freispruch beantragt. Rechtsanwalt Wolfgang Panka sagte in seinem Plädoyer, sein Mandant Udo Walther sei für die Tat strafrechtlich nicht verantwortlich. Nach dem früheren Recht der DDR seien die Grenzsoldaten verpflichtet gewesen, zur Verhinderung von Verbrechen notfalls die Schußwaffe einzusetzen. Ein Grenzdurchbruch mit Hilfe einer Leiter, wie sie der 20jährige Horst- Michael Schmidt bei seinem Fluchtversuch in der Nacht zum 1. Dezember 1984 benutzte, sei bereits als Verbrechen angesehen worden.

Walther und der Mitangeklagte Uwe Hapke müssen sich seit etwa einem Monat wegen gemeinschaftlichen Totschlags vor einer Jugendkammer verantworten. Panka sagte, die Angeklagten liefen Gefahr, wie bereits in der DDR Opfer der politischen Verhältnisse zu werden. Um Honecker wegen des Schießbefehls als Anstifter anklagen zu können, habe die Staatsanwaltschaft zuerst die Grenzsoldaten vor Gericht gebracht. Das Gericht müsse sich davor hüten, an den Angeklagten ein Exempel zu statuieren. Eine Verurteilung der Angeklagten sei ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“. Wenn das Gericht hiervon eine Ausnahme machen wolle, weil es das DDR-Grenzrecht als Verstoß gegen die Menschlichkeit betrachte, müsse es diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.

Hapkes Verteidigerin Edeltraud Frey sagte, ihr Mandant sei ein gesetzestreuer Bürger gewesen, der sich wie viele nicht um Politik gekümmert habe. Er habe erst nach seiner Verpflichtung bei der Volksarmee davon erfahren, daß er bei den Grenztruppen eingesetzt werden sollte. Durch den Schußwaffengebrauch habe er allenfalls eine Körperverletzung begangen, die durch die Gesetze abgesichert sei.

Rechtsanwältin Helene Bode appellierte an das Gericht, über Recht, aber nicht über Moral zu urteilen. Es sei zu einfach, von den „kleinen Soldaten“ Rückgrat zu verlangen. Ein Rechtsempfinden könne nicht in höherem Maße verlangt werden als von DDR-Juristen. Eine Desertion, wie sie der Staatsanwalt verlangt habe, hätte nicht ernsthaft von den Soldaten erwartet werden können.

Die beiden Angeklagten sagten in ihrem Schlußwort, die Tat tue ihnen wirklich leid. Hapke fügte hinzu, wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, würde er heute vieles anders machen.

Die Staatsanwaltschaft hatte am vergangenen Montag für die beiden ehemaligen Grenzsoldaten eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wegen Totschlags in einem minderschweren Fall verlangt.

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