: Bat die ÖTV Honecker um Streikhilfe?
■ Belastendes Dokument im Schalck-Untersuchungsausschuß aufgetaucht/ DDR-Außenminister Oskar Fischer soll vertrauliches Hilfeersuchen des ÖTV-Hauptvorstandes an DDR-Regierung vermittelt haben
Berlin (taz) — In einer vertraulichen Mitteilung an die damalige Ständige Vertretung der DDR in Bonn soll die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) 1983 um Unterstützung bei der Durchführung von Schwerpunktstreiks gebeten haben. Diese Bitte war in einem Schreiben des früheren DDR-Außenministers Oskar Fischer am 28. September 1983 an den „werten Genossen Honecker“ weitergeleitet worden, das am Dienstag in den Akten des sogenannten „Schalck- Untersuchungsausschusses“ des Deutschen Bundestages aufgetaucht ist. Der CDU-Obmann im Ausschuß, Joachim Hörster, unterrichtete darüber am Mittwoch in Bonn die Presse.
In dem Brief Fischers an Erich Honecker heißt es, der Hauptvorstand der ÖTV habe vertraulich über geplante Schwerpunktstreiks informiert, die unter anderem für 48 Stunden den Güterfernverkehr mit LKWs von und nach West-Berlin betreffen würden. So sei beabsichtigt, die Grenzübergangsstellen Dreilinden, Staaken, Helmstedt und Herleshausen zu blockieren. Zur Unterstützung der Streikaktionen, so Fischer, habe der ÖTV-Hauptvorstand „in folgenden Fragen um Unterstützung von seiten der DDR gebeten“: Während der Dauer des Streiks sollten sich LKW-Fahrer der ostdeutschen Transportfirma Deutrans in der Bundesrepublik und West-Berlin nicht an der Entladung ihrer LKWs beteiligen. (Die Entbindung der Fernfahrer von Ladearbeiten war damals eine Forderung der Gewerkschaft, die mit den Aktionen durchgesetzt werden sollte.)
Nach Beendigung des Streiks, so übermittelt der DDR-Außenminister die Bitte der ÖTV, sollten die Grenzkontrollen „so durchgeführt werden, daß der zu erwartende große Stau möglichst zügig abgefertigt wird“. Außerdem möge dann auf den Transitstrecken auf versteckte Radarkontrollen „möglichst verzichtet werden“. Im Gegenzug bot die Gewerkschaft nach Fischer an, die Fernfahrer „darauf (zu) orientieren, auf den Transitstrecken der DDR keine Rast zu machen, um den Verkehr auf den DDR-Autobahnen nicht zu behindern“.
Oskar Fischer schließt sein Schreiben mit dem Vorschlag, dem Ersuchen der Gewerkschaft im Rahmen des Möglichen zu entsprechen und „die Genossen Erich Mielke und Otto Arndt mit der Einleitung der erforderlichen Schritte zu beauftragen“. Arndt war derzeit Verkehrsminister der DDR. Der Brief trägt so, wie er dem Schalck-Untersuchungsausschuß vorliegt, die Unterschrift Honeckers mit dem Vermerk „Einverstanden“.
Gleichzeitig mit der Veröffentlichung dieser Akte informierte am Mittwoch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Jürgen Rüttgers, die Presse über einen Brief, den er an die seit dem Jahr 1982 amtierende Vorsitzende der ÖTV, Monika Wulf-Mathies, gerichtet hat. Das aufgetauchte Dokument, so Rüttgers, werfe „drängende Fragen nach einem möglichen Zusammenspiel zwischen ÖTV-Führung und DDR-Regime auf“. Sollte sich der Verdacht bestätigen, wäre dies ein schwerer Schaden für das Ansehen der deutschen Gewerkschaften.
Rüttgers fordert den Hauptvorstand der ÖTV auf, seine Archive zu öffnen und aktiv an der Klärung dieser Angelegenheit mitzuwirken.
Aus der Stuttgarter Zentrale der Gewerkschaft wurde gestern zur Sache selbst geschwiegen. Man habe den „Vorgang zur Kenntnis genommen“, erklärte ÖTV-Sprecher Hillgärtner, die von Rüttgers gegebene Darstellung werde geprüft und die Öffentlichkeit so früh wie möglich informiert. Barbara Geier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen