: Lehrergewerkschaft politisch bankrott
■ GEW-Bundesvorstand schlägt Auflösung des Landesverbandes vor / Funktionäre weiter optimistisch
Kaum funktionierende Bezirksvorstände, ein Landesvorstand, der nur „höchst unregelmäßig“ anwesend ist, Arbeitsgruppen, die „nicht arbeitsfähig“ sind: Die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft steckt in einer tiefen Krise. Deutlicher als in ihrer Mitgliederzeitung können GEW- organisierte LehrerInnen den politischen Offenbarungseid ihrer Gewerkschaft kaum leisten. Vier Seiten lang schreiben sich ehemalige Funktionäre in der „Bremer Lehrerzeitung“ resigniert und larmoyant den Frust von der Seele: „GEW-Wechseljahre“. Eine Lehrerin aus der Schule an der Kurt-Schumacher-Allee hat überlegt, „das Heft mit einem saftigen Kommentar zurückzuschicken. Die Ampelkoalition beschließt neue Gymnasien und die GEW beschäftigt sich mit sich selbst. Unglaublich!“
„GEW ist Mega-Out“, meint ein Lehrer an der Gesamtschule West. „Unsere Betriebsgruppe hat sich zum letzten Mal getroffen — moment mal, da hat's die DDR noch gegeben. Die Kollegen winken nur noch ab. Die Nabelschau im Zentralorgan war ja wohl das Letzte.“
Seit dem Rücktritt des Landesvorsitzenden Rainer Baltschun im April 1989 gibt es keine(n) Vorsitzende(n) mehr. Der Geschäftsführende Ausschuß (GA), das sechsköpfige Arbeitsgremium des Landesvorstandes, ist Ende November zurückgetreten. Trotz eifriger Suche sind neue KandidatInnen nicht in Sicht.
„Wir erbitten daher dringend Auskunft“, wandte sich der Landesvorstand Anfang Januar an Dieter Wunder, den Bundesvorsitzenden der GEW, welche Schritte eingeleitet würden, „falls ab 11.2.92 im Landesverband Bremen der GEW kein Geschäftsführender Ausschuß mehr existiert.“
„Eine Bankrotterklärung“, kam umgehend die Antwort vom Bundesvorsitzenden: „Konsequent zu Ende gedacht, müßte sich der Landesverband eigentlich auflösen.“ Sollte sich die Situation nicht verändern, müsse der Landesverband formell dem Frankfurter Hauptvorstand unterstellt werden. Die Geschäfts
Neues hat die GEW nicht zu bieten: „Aktuelle“ Plaktierung in der GSWFoto: Chr. Holzapfel
führerin könne zur amtierenden Landesvorsitzenden berufen oder der Landesverband mit allen Finanzen direkt dem Bezirksverband Weser-Ems eingegliedert werden. „Denkbar wäre sicherlich auch, daß wir einen Gewerkschaftssekretär des Hauptvorstandes mit Sitz in Bremen einstellen.“
Dazu soll es aber nicht kommen. Bis 1993 will die Gewerkschaft „im Notbetrieb“ weiterarbeiten. Mit einem Übergangskonstrukt soll jetzt die Krise überwunden werde. Den Geschäftsführenden Ausschuß in seiner alten Form wird es vorerst nicht wieder geben, erklärt Ulrike Kröger, GEW-Geschäftsführerin in
hier
Schrankwand
mit Plakat
Bremen. Die Mitglieder des Landesvorstandes sollen nun häufiger zusammenkommen. Kompetenzen und Aufgaben sollen neu und auf mehr Schultern verteilt werden.
Vor allem müsse jetzt eine tiefgreifende Strukturreform eingeleitet werden, sagt Helene Peniuk, eine der zurückgetretenen FunktionärInnen und bestreitet inhaltliche Versäumnisse in der Vergangenheit. Zu starres Festhalten an alten Forderungen (Modell Gesamtschule und Orientierungsstufe) auf Kosten der KollegInnen? Nein, der größte Fehler der GEW-Leitung sei „mangelnde Flexibilität“ gewesen. „Die KollegInnen sind nicht un
politisch geworden“, meint sie, „nur engagieren sie sich nicht mehr in den alten Strukturen.“ Die Arbeitsweise der Gewerkschaften passe nicht mehr zu den Bedürfnissen der Mitglieder. Auch die Identifikation mit der Gewerkschaft habe abgenommen: „Die Mitglieder engagieren sich viel stärker in einzelnen Fragen. Dafür haben wir kein Angebot.“
Eine Gruppe jedoch, sagt Ulrike Kröger, komme vielleicht schon jetzt für die Gewerkschaftsarbeit wieder in frage: „Die Kollegen und Kolleginnen, die relativ Früh Kinder bekommen haben. Die haben jetzt viel Zeit.“ Jochen Grabler
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