GASTKOMMENTAR: Die Engelmann-Variante
■ Neuentwickelte Züge im Stasi-Rechtfertigungsschach
Mit schon beleidigender Dreistigkeit wird der Öffentlichkeit im Stasi-Schach nun die „Engelmann-Variante“ vorgespielt. Die Botschaft des ersten Zuges lautet: Die Stasi arbeitete als Informant — nicht umgekehrt! Die Urheberrechte für diese Variante liegen bei Bernt Engelmann, Schriftsteller und Journalist, 1984 gestürzter Vorsitzender des damaligen westdeutschen Schriftstellerverbandes (VS) und — im selben Jahr— nicht wiedergewählter PEN-Vizepräsident. Damit ist ein weiterer Name jener erschreckend mitgliederstarken und immer noch obskuren Stasi-Connection bekannt geworden.
Daß Engelmanns Einsichten mit den Ansichten der offiziellen SED-DDR-Geschichtsschreibung im gestochenen Gleichschritt liefen, war leicht nachlesbar in seinen Büchern. Rätselhafter war eher, wie er seine umfangreiche Buchproduktion inklusive Recherchen bei seinen vielen Verpflichtungen und Ehrenämtern bewerkstelligen konnte. Dies Rätsel scheint nun gelöst: Autoren wie Engelmann hatten Zuarbeiter, zum Beispiel die Abteilung X des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR — zuständig für Desinformation.
Die Abteilung X hat aber, wie Alt-BRD-Medien jetzt reihenweise bekennen, mit gefälschten Dokumenten einige peinliche Affären produziert. Engelmann hingegen — so seine Variante — ist das nicht passiert: Er nahm nämlich nur „echte“ Dokumente... Daß nun die Abteilung Desinformation die West-Medien und -Parteien so beachtlich leimte, speziell Herrn Engelmann nur echte Dokumente geliefert haben soll, wäre im Stasi-Lügen- Gespinst eine wahrlich verblüffende Nachricht. Deshalb: Woher wußte Engelmann das, was machte ihn so sicher? Und: Was besagt diese Nachricht aus „Stasi-Land“ (O-Ton Markus Wolf)? Der Ex-Abwehrchef lüftete dieser Tage ein weiteres MfS-Geheimnis, nach dem die Abteilung X für Desinformation und für Information zuständig war. Ist das bloß Wolfsches TV-Geplauder oder schon Rabulistik, Anleitungsritual etwa aus der leninistischen Mottenkiste — und für wen? Oder dialektisch gefragt: Wer informiert wen, damit — gezielt? — desinformiert werden kann?
Ein anderer ehrenwerter Grundsatz des Journalisten Engelmann: Er zahlte niemals für Informationen, nahm jedoch, was ihm „zugespielt“ wurde, an Material — den Stoff für seine Bücher. So gesehen, Zug Nummer zwei der Variante: Der Informierte zahlte nicht — umgekehrt! Engelmann hatte keine „Skrupel“, MfS-Material anzunehmen und zu verwerten. Er wird kaum welche haben, seine Variante Zug um Zug zu ergänzen statt Antworten zu geben. Die erhält die Öffentlichkeit von all den Journalisten- und Schriftstellerkollegen, die wissen, was sie zu tun haben — bei einem solchen „Kollegen“. Anna Jonas
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