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Shrink-shrank-shrunk

■ Brigitta Linde bringt Poe zum Klingen und zum Lachen

Seltsam“, sagt eine Frau zu mir, „bei Brigitta Linde vergesse ich ganz schnell, was passiert ist.“ Knappe zehn Minuten nach der Vorstellung bleibt nur Erinnerungssalat. Ein paar Gesten, die man nachahmen könnte. Ein dahingeschmettertes „Hussa“ aus einem anderen Stück, das droht, nie wieder aus dem Kopf zu gehen. Beim Spülen oder Kaffeekochen klingt es noch kräftig und entschlossen herausgezischt: „Hussa!“ „Hussa!“ beim Abtrocknen, „Hussa!“ auf dem Klo. Brigitta Linde sieht man's nicht nach, sie klingt nach.

Was passiert auf ihrer Bühne? Vergessen. — „Shrink-shrank- shrunk“, das erinnere ich. „Uah“ und „aua“. Wenn Brigitta Linde inszeniert, will sie Sprache zerreißen. Sie nahm sich Edgar Allan Poe an. Im Titel erklärt ihr Stück: How to usher the house of Poe. Die Antwort: „Stunk! wes! blubber! sprotz!“ Ein Comictheater? Mehr ein Hörspiel. Eine Empfehlung an die Jury für den Hörspielpreis der Kriegsblinden, dieses Stück zu nominieren. Die Bühne bleibt nachtschwarz. Rechts die Geigerin Annemarie Roelofs. Sie setzt den Bogen an. Es quietscht gespensterheulend, katzenjaulend, türenknarrend. Das Grauen als Comic.

Brigitta Linde inszeniert Sprache, manchmal wie Jandl. Das Stück hebt mit vier Schauspielern an, die sämtliche bekannten Buchtitel des amerikanischen „Suspense“-Autors zitieren. Sprachsalat; Betonungsfieber; Szenengelächter für eine kleine Passage, in der Poe-Zitate in verschiedenen Geschwindigkeiten aufgesagt werden. Dunkel, leiernd, wie eine gebremste Schallplatte, hoch und aufgeregt, wenn man sie beschleunigt. Die Linde inszeniert Geschwindigkeit.

Brigitta Linde wird als die Regieentdeckung im Freien Theater gehandelt. Das Mörsern der Literatur — an sich nichts Neues — ist ihre Spezialität. Anfangs orientierte sie sich an Gertrude Stein — Sprache als Klanggebilde. Von Gertrude Stein stammt der Satz: „All emotions are formal.“ Das Klanggebildete macht Lachen oder Langeweile. Brigitta Linde inszenierte Steins Mexico in gängiger Manier. Es folgte fleißiges Zerschmettern von deutschen Balladen. Dann stieß Brigitta Linde auf die Marburger Theaterwerkstatt, eine seit zehn Jahren formierte freie Gruppe, die man nicht erst noch zusammenfügen mußte. Mit ihr entstand ihre bislang beste Inszenierung, jene, der auch das „Hussa“ entstammt: Wunderland. Mein ein und Alice. Hier war es nicht nur die Geschwindigkeit, mit der die Sprache in Einzelteile zerfiel und Pointen zeugte — auch die Schauspieler agierten in so präziser Geschwindigkeit, als säße man vor einem Actionfilm, und statt Benzinbomben flögen Wortstücke.

Nun How to usher the House of Poe. Die vier Schauspieler sind mehr Mixed Pickles als eine homogene Gruppe. Wer gerade nichts zu sagen hat, steht ein wenig verlegen auf der Bühne und agiert belanglos. Das Licht dämmert vor sich hin. Aber man kann die Augen schließen, ein temporeiches, in der Komposition sehr auskalkuliertes Hörspiel erleben. Was von Poe transportiert wird, ist einerlei. Mal Schulenglisch, mal Bühnendeutsch — wesentlich ist, daß es klingt.

Poes Horror war immer schon mit Ironie gespickt, argumentiert Brigitta Linda. Die Ironie ist eine Frage der falschen Betonung eines Textes. Poe wollte, so kommt es nun herüber, niemals erschrecken, nie gruseln, nie Grauen erregen. Sondern sich an den Gesichtern der Erschrockenen weiden. Nichts sieht lächerlicher aus als ein erschrockenes Gesicht, glaubt Brigitta Linde und läßt ihre Schauspieler lächerlich erschrocken aussehen; aus ihren Mündern quält sich die Sprache, verbogen, geprügelt, verhuscht, sprunghaft.

Die Dame im Foyer wundert sich noch einen Augenblick. „Es war schön“, sagt sie dann, kopfschüttelnd, „aber ich könnt's jetzt nicht wiedererzählen.“ Im Theater ist das durchaus eine Qualität. Arnd Wesemann

How to usher the house of Poe, nach Edgar Allan Poe. Regie: Brigitta Linde. Mit Ralf Knicker, Nikola Kress, Claudia Macht, Armin Nufer. Frankfurt, Mousonturm.

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