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An Stolpe traut sich in Potsdam niemand ran

Im brandenburgischen Landtag läßt selbst die Opposition kaum etwas auf den Ministerpräsidenten kommen/ „Welle der Solidarisierung“  ■ Aus Potsdam Hans-Martin Tillack

Der Westberliner, der über die Glienicker Brücke nach Potsdam kommt, wird sofort würdig empfangen. „Westler raus!“, diesen Satz hat ein Sprayer für Autofahrer deutlich lesbar in schwarzer Farbe auf einem grauen Müllcontainer hinterlassen.

Die Potsdamer haben Grund zum Selbstbewußtsein. Ihre Barockstadt gehört zu den bedeutendsten Kulturdenkmälern der Erde. Ihr silberhaariger Ministerpräsident ist einer von nur zwei übriggebliebenen Einheimischen im Range eines Regierungschefs. Kein Besserwessi, ein Besserossi. Sogar als Bundespräsident wurde er schon gehandelt. Und nun diese ständigen Angriffe in den Westmedien. „Konservative Kreise aus Süddeutschland“ steckten dahinter, glaubt SPD-Fraktionschef Wolfgang Birthler. „Kein Wunder“, sagt die Bildungsministerin Marianne Birthler vom Bündnis 90, daß die „Zermürbungstaktik“ einiger Medien bei den Brandenburgern einen Solidarisierungseffekt hevorrufe.

„Ihnen gebührt Fairneß und Anerkennung“, schrieb dieser Tage einer von vielen Brandenburgern an seinen Landesvater. „Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen für das, was sie während der Stasizeit getan haben. Wir glauben ihnen.“ So heißt es in dem Schreiben, das Stolpes Staatskanzlei jetzt neben anderen veröffentlichte. Daß der Briefschreiber CDU-Mitglied sei, vergaßen die Presseleute des Ministerpräsidenten nicht zu erwähnen.

Natürlich sei das alles „eine Belastung“ für Stolpe, sagt ein enger Mitarbeiter. „Aus einem 12-Stunden- Tag macht er jetzt einen 14-Stunden- Tag“. In den ersten Tagen habe er noch täglich mit einer eigenen Pressekonferenz auf neu aufgetauchte Vorwürfe reagiert, „nicht mit dieser üblichen Westmanier, bei der man alles aussitzt und ignoriert“. Inzwischen hat man in der Staatskanzlei die Gefahren dieser osttypischen Offenheit erkannt und Stolpe zur Zurückhaltung vergattert. „Sonst“, so haben es die Westberater erkannt, „hält man das Thema nur am Kochen.“

In der SPD-Fraktion freut man sich über „eine Welle der Solidarisierung“. Im Land und im Landtag kam „diese Kampagne“, so Wolfgang Birthler, gar nicht an. Das Gerücht beispielsweise, daß Walter Momper als Nachfolger im Gespräch sei, das sei „die beste Garantie, daß Stolpe bleibt“, heißt es in der SPD-Fraktion. Der Vergleich mit dem langsamen Abstieg des Lothar de Maiziére sei völlig unstatthaft. Habe die Stasi etwa für Stolpe einen Decknamen geführt? Auch Marianne Birthler trifft klare Unterscheidungen. Früher in der Kirche habe sie sich mit Stolpe „permanent gestritten“. Aber damals wie heute sei klar gewesen, „daß die gemeinsamen Gegner andere waren“.

„Stolpe kritisieren heißt auch Unmut erzeugen“, weiß der CDU-Abgeordnete Manfred Walther. Seine Partei hielt sich zunächst erkennbar zurück, sehr zum Ärger des aus dem Westen importierten Landesvorsitzenden Ulf Fink, wie in Potsdam kolportiert wird. An diesem Donnerstag hingegen, so scheint es, könnte Fink mit den Seinen endlich zufrieden sein. CDU-Fraktionschef Peter-Michael Diestel unterbricht überraschend die Haushaltsdebatte mit der Forderung, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Die Sat.1- Sendung vom Vorabend habe die Fraktion zu diesem „spontanen“ Schritt bewogen, erläutert Diestel. „Wir wollen nicht täglich neue Enthüllungen in der Zeitung lesen.“

Obwohl Diestel nicht müde wird zu beteuern, daß dieser Vorstoß „nicht als Angriff auf Stolpe“ zu verstehen sei, sind die Abgeordneten der anderen Fraktionen empört. „Ein Schuß unter die Gürtellinie!“, schimpft Wolfgang Birthler. Eilig wird ein Antrag entworfen, nun erst recht dem Ministerpräsidenten das Vertrauen auszusprechen. Neben den Regierungsfraktionen unterschreibt auch die PDS. Stolpe sei „ein wichtiger Hoffnungsträger für die Menschen in den neuen Bundesländern“, heißt es im Antragstext. Die Angriffe gegen ihn „richten sich nicht nur gegen seine Person und seine Arbeit, sondern auch gegen alle, die im Osten gelebt haben und an einer redlichen Aufarbeitung der Vergangenheit interessiert sind“.

Da ist es wieder — das Leitmotiv „Wehret den Wessis!“. Und Diestel ist schon wieder auf dem Rückzug. In einer Runde der fünf Fraktionschefs stimmt er zu, über das Vertrauensvotum kurzfristig abstimmen zu lassen. Ohne Diestels Zustimmung geht es nicht, denn nach der Geschäftsordnung des Potsdamer Landtages darf die Tagesordnung nur geändert werden, wenn nicht mehr als vier Abgeordnete sich dem verweigern.

Eine Mehrheit der CDU-Abgeordneten ist dann zwar dagegen, das Vertrauensvotum zuzulassen, sie pfeifen Diestel zurück. Aber ihr Anführer Walther begründet das ganz defensiv. Auch für ihn sei Stolpe „ein Hoffnungsträger“, sagt der Abgeordnete vor dem Plenum. Aber man möge mit der Abstimmung doch warten, bis „in einem ordentlichen parlamentsförmigen Verfahren alles ausgeräumt ist“.

Solange möchten die anderen Abgeordneten nicht warten. Die PDS- Fraktion, die sich in Stolpe-Treue von niemanden übertreffen läßt, beantragt sogleich eine Sondersitzung, gleich im Anschluß an die laufende Tagung. Spät in der Nacht kommt das Vertrauensvotum dann zustande. Glaubt man dem CDU-Vorsitzenden Ulf Fink, dann hätten Vorwürfe wie die gegen Stolpe anderswo längst für ein erfolgreiches Mißtrauensvotum ausgereicht. Bei Finks Brandenburger CDU-Fraktion reicht es gerade mal zu einer Enthaltung.

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