: Erschöpfte Krabbe
■ In der 1. Runde des Tennis-Davis-Cups geriet das deutsche Team gegen Brasilien mit 1:2 in Rückstand
Rio de Janeiro (dpa) — Nachdem Boris Becker sein Einzel gegen Luiz Mattar gerade noch unter großem kämpferischen Einsatz aus dem Feuer gerissen hatte, brachten die Niederlagen von Carl-Uwe Steeb und dem Doppel Becker/Jelen das deutsche Team mit 1:2 ins Hintertreffen. Becker war nach dem Doppel so erschöpft, daß er gestern gegen Jaime Oncins nicht mehr antreten konnte und der Berliner Markus Zoecke für ihn einspringen mußte (Ende nach Redaktionsschluß dieser Ausgabe).
Zunächst verlor Steeb am Samstag sein am Vortag wegen Einbruch der Dunkelheit nach drei Sätzen abgebrochenes Einzel gegen Oncins mit 3:6, 6:4, 2:6, 6:7 (5:7). Danach kassierte das Duo Becker/Jelen gegen Cassio Motta/Fernando Roese nach nur 2:09 Stunden ein nicht einkalkuliertes 5:7, 3:6, 3:6. Rund 7.000 Zuschauer in dem Tennis- Provisorium waren anschließend aus dem Häuschen, klatschten und tanzten zu Sambatrommeln.
Es war nicht mehr so heiß in Rio — über Nacht hatte sich eine dichte Wolkendecke zusammengezogen und die Temperatur auf erträgliche 30 Grad absinken lassen. Doch Steeb konnte im Duell mit Jaime Oncins, das am Vormittag lediglich 3.000 Zuschauer verfolgten, aus den verbesserten Bedingungen kein Kapital schlagen. Statt dessen machte er in der 75 Minuten dauernden Fortsetzung die gleichen Fehler wie in den fast zweieinhalb Stunden am Freitag. „Ich konnte meine Chancen nicht nutzen“, analysierte der 24jährige treffend.
Verärgert war Steeb über die Zuschauer, die ihn mit teilweise obszönen Zwischenrufen in der Aufschlagbewegung störten. „Die Leute sind sehr aggressiv und unfair“, beschwerte sich der Stuttgarter. „Sie haben mich angepöbelt und mit Schimpfwörtern bedacht“, hatte sich auch Boris Becker nach seinem Viereinhalb-Stunden- Match gegen Luiz Mattar am Freitag beschwert. „Da hatte ich mich gefragt, was ich denn hier noch mache? Ich hab' den Leuten nichts getan und quäle mich bei 50 Grad, und sie beschimpfen mich. Schlimmere Bedingungen habe ich nicht erlebt.“
Als Becker jedoch völlig erschöpft, ausgepumpt und dem Hitzschlag nahe die Arena verließ, verabschiedeten ihn die Zuschauer mit respektvollem Beifall. Wie so oft in seiner Laufbahn hatte sich Becker mit aller Macht gegen eine drohende Niederlage gestemmt und mit einer unglaublichen Energieleistung den Gegner doch noch in die Knie gezwungen.
Mit hochrotem Kopf, der ihm bei den Brasilianern den Spitznamen „Krabbe“ einbrachte, gezeichnet von der Hitze, sich nur noch schleppend bewegend, lag er im vierten Satz mit 2:5 zurück und war beim Matchball Mattars nur noch einen Ballwechsel von der kühlenden Dusche entfernt. Doch während die Brasilianer mit Trommeln, Trompeten und Gesängen ihre Vorfreude auf die Sensation zeigten, weigerte sich der potentielle Verlierer, jetzt schon zu gehen.
Plötzlich spielte Becker wie aus einem Guß, risikofreudig und erfolgreich. Begünstigt durch den Umstand, daß der 28jährige Mattar plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekam, wehrte der Leimener zunächst drei Matchbälle ab, verkürzte auf 4:5, geriet dann wieder in Bedrängnis, wehrte aber nochmals drei Matchbälle ab. Im anschließenden Tiebreak war von der Erschöpfung nichts mehr zu sehen. Mit einem As zum 7:2 erzwang er den fünften Satz, in dem er dem völlig demoralisierten Brasilianer mit 6:0 keine Chance mehr ließ.
Im samstäglichen Doppel erwischten Becker und Jelen zwar einen Blitzstart, doch nach einem Break zur 3:0-Führung hatten sie ihr Pulver bereits verschossen. Fortan lief bei den Deutschen fast nichts mehr zusammen. Becker steckte das Match vom Vortag noch in den Knochen und Jelen konnte das Manko nicht ausgleichen, weil ihm selbst die Spritzigkeit fehlte. Die Brasilianer, bei denen Motta eine überragende Leistung bot, gewannen in drei Sätzen und der deutsche Teamchef Niki Pilic stellte resigniert fest: „Boris hat Probleme mit der Hitze und dem Magen und war nicht in der Lage, normal zu spielen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen