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„Schneewittchens“ Bonner Brieffreund

Waren Schalcks Briefe an Wolfgang Schäuble wirklich privat?/ Geheime BND-Dokumente widersprechen Schäubles Aussage/ SPD will CDU-Fraktionschef erneut im Schalck-Ausschuß vorladen  ■ Aus Bonn Th. Scheuer

Nach dem erst kürzlich zurückgetretenen Staatsminister im Kanzleramt Lutz Stavenhagen erfaßt der Strudel der Schalck-Enthüllen jetzt einen zweiten Getreuen des Bundeskanzlers: Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, den parlamentarischen Schalck-Untersuchungsausschuß angelogen zu haben. Bei der Affäre geht es um den Inhalt „privater“ Briefe, den der damalige Bundesinnenminister von dem früheren DDR-Devisenagenten Alexander Schalck-Golodkowski erhalten hatte.

Schäuble reagierte auffallend gereizt, als er im vergangenen Oktober bei einer Anhörung im Schalck-Ausschuß von Abgeordneten nach drei Briefen gefragt wurde, die ihm Schalck 1990 und 1991 geschrieben hatte. Es habe sich dabei um rein private Schreiben gehandelt, deren Inhalt für den Ausschuß völlig belanglos sei, erklärte Schäuble. Über ihren Verbleib könne er nichts sagen; vielleicht habe er sie schon weggeschmissen, vielleicht auch noch irgendwo zu Hause. Aber auch wenn er sie noch fände, würde er sie dem Ausschuß auf keinen Fall überlassen, so meinte der damalige Bundesinnenminister patzig. Schließlich seien sie privater Natur. Schon damals provozierte Schäuble im Ausschuß ungläubige Minen.

Pech für den Kohl-Getreuen: Den handschriftlichen Entwurf eines der drei strittigen Schreiben hatte Schalck-Golodkowski damals einem Beamten des Bundesnachrichtendienstes überlassen. Dieser leitete ihn an den damaligen BND-Präsidenten Hans-Georg Wieck weiter und hielt in einem Vermerk vom 3.Juli 1990 fest, das Original sei Minister Schäuble am 15. Juni 1990 übergeben worden. Als Brieftaube zwischen Schalck und Schäuble fungierte der Präsident des Diakonischen Werkes, Bischof Neukamp. (Der Kirchenmann hatte dem obdachlosen Republikflüchtling Schalck im Januar 1990 Unterschlupf bei einem Münchner Priester verschafft. Neukamps Vorladung vor den Ausschuß hat das Bündnis90/Grüne schon letztes Jahr beantragt.) Die erwähnten BND-Dokumente befinden sich, wie die 'FAZ‘ übrigens schon im vergangenen Oktober meldete, bei den Geheimakten des Untersuchungsausschusses.

In dem „rein privaten“ Briefchen teilte der ehemalige SED-Goldfinger dem CDU-Minister demnach wenig Persönliches mit. Vielmehr enthielt das Schreiben — die Echtheit des dem BND vorliegenden Konzeptes vorausgesetzt — detaillierte Informationen über die Auflösung und Umwandlung des Untergrund-Firmennetzes „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo), als dessen Chef Schalck zu DDR-Zeiten gewirkt hatte. Schalck lenkte die Aufmerksamkeit seines Bonner Brieffreundes vor allem auf eine Neugründung der Ostberliner KoKo-Erben: Am 8.Juni 1990, also wenige Tage vor seiner Briefaktion, war in Ost-Berlin die Effect G mbH gegründet worden.

Die Rolle der „Effect G mbH“

Von Anfang an stand diese KoKo- Nachfolgefirma bei westlichen Geheimdienstlern und Fahndern in dem Verdacht, alte SED- und Stasi-Seilschaften aus dem KoKo-Nachlaß zu bedienen. Denn als „Auffanggesellschaft“ für den Bereich Kommerzielle Koordinierung war schon unter DDR-Ministerpräsident Modrow um die Jahreswende 1989/90 die Berliner Handels- und Finanzierungsgesellschaft (BHFG) gegründet worden. Wozu also bedurfte es zusätzlich noch der Effect Gmb H?

Auffälligerweise wurden in die Effect just jene KoKo-Auslandsfirmen eingebracht, die in Schalcks Schattenimperium der Abteilung Parteifirmen angegliedert waren. Die Effect-Gründung war kaum Zufall: Kurz zuvor hatte eine unabhängige Parteienkommission ihre Arbeit aufgenommen, die das Vermögen der DDR-Blockparteien sicherstellen sollte. Dazu zählte Schalck in seinem Schreiben an Schäuble vom Juni 1990 etwa die Holdings Rexim (Lugano/Schweiz), Monument, Infino und Hanseatic (alle Vaduz/Liechtenstein) sowie die westdeutsche DKP- Druckerei Plambeck und ihre Beteiligung an der portugiesischen KP- Druckerei Heska Portuguesa. Zur Geschäftsführerin der Effect wurde, was für ein Zufall, die Schalck-Vertraute, Stasi-Obristin und Ex-Leiterin der KoKo-Abteilung „Parteifirmen“ Waltraud Lisowski berufen.

Dies alles teilte Schalck also im Sommer 1990 Innenminister Schäuble mit. In der Woche vom 19.Juni etwa, so kündigt Schalck an, werde Frau Lisowski zur „Erfassung“ des in der Schweiz angelegten SED-Kapitals nach Lugano reisen. Von dort verwaltete Schalcks Statthalter Ottokar Hermann, ein ehemaliger Aufklärungsoffizier der Waffen-SS, diverse KoKo-Tarnfirmen und -Beteiligungen.

Die Veruntreuung von mehreren Millionen Mark hätte verhindert werden können, meint der 'Spiegel‘ in seiner jüngsten Ausgabe, wenn Schäuble diese Erkenntnisse sofort an die zuständigen Stellen weitergeleitet hätte. Da liegt das Hamburger Magazin wohl falsch. Schalcks Hinweise auf Frau Lisowskis Umtriebe waren nämlich gar nicht mehr nötig. Denn Waltraud Lisowski war als frühere Chef-Verwalterin der SED- Parteifirmen im westlichen Ausland längst im Visier des Verfassungsschutzes. Die VS-Späher mahnten seit der Wende wiederholt vor Versuchen der KoKo-Mafia, Millionen aus Schalcks Schattennetzwerk beiseite zu schaffen. Der Verfassungsschutz untersteht dem Innenminister. Doch wo im Hause Schäuble sind die Warnungen und Meldungen der Verfassungsschützer versickert?

Waltraud Lisowski? Unbekannt!

Sowohl in den VS-Meldungen als auch in Schalcks „privatem“ Briefchen wurde mehrfach auf die KoKo- Topmanagerin Waltraud Lisowski hingewiesen. Ihr Name tauchte auch wiederholt in Presseberichten auf. Seltsamerweise konnte „Traudl“ Lisowski auch unter Treuhand-Aufsicht noch bis zum Spätsommer 1991 ihren Effect-Job völlig unbehelligt ausüben. Ein Umstand, der nicht nur Oppositionsabgeordnete des Schalck-Ausschusses die Köpfe schütteln ließ. Auf Frage der Abgeordneten Ingrid Köppe (Bündnis90/ Grüne) hatte Schäuble dem Ausschuß beteuert, den Namen Lisowski überhaupt noch nie gehört zu haben.

Der Verfasser des BND-Vermerkes vom 3. Juli 1990 hielt damals fest: „Schneewittchen [Schalcks BND-Deckname] rät dringendst, darauf zu achten, ob das SED-Vermögen, welches als Staatseigentum behandelt werden sollte, auch in ein vereintes Deutschland eingebracht wird.“ Bei den Hinweisen Schalcks an seinen Brieffreund Schäuble könnte es sich, wie mit der Materie vertraute Fahnder vermuteten, durchaus um ein geschickt inszeniertes Ablenkungsmanöver des gewesenen KoKo-Fürsten gehandelt haben (Wozu etwa traf sich Schalck mit seiner „Traudl“ unter konspirativen Umständen auf dem Münchner Flughafen, als ihr Kontakte mit ehemaligen KoKo-Angehörigen schon strengstens untersagt worden waren?). Gleichwohl werfen die jüngsten Enthüllungen über den „privaten“ Briefverkehr zwischen Schalck und Schäuble Fragen über deren Verhältnis auf, die für den CDU/ CSU-Fraktionschef äußerst peinlich werden können. Die Sozialdemokraten im Schalck-Ausschuß, so kündigte deren Obmann Andreas von Bülow bereits am Wochenende an, wollen eine sofortige erneute Ladung Wolfgang Schäubles beantragen. Dann müsse, so Bülow, der Kohl-Vertraute Schäuble notfalls gar vereidigt werden.

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