: Clicking im Ohr
■ Der Künstler Takehisa Kosugi zeigt Klanginstallationen in der daadgalerie
Leise Geräusche wie von einem fernen Dudelsackorchester. Papierknäuel liegen auf dem Parkettboden. Man muß sich bücken und genau hinhören: Die Papierberge sind die Quelle des Gesummes. Von beabsichtigter Harmonie und tragender Melodieführung fehlt jede Spur. Zwei Stimmen setzen ein. Vielleicht musiziert das papierne Trio doch nach einer heimlichen Partitur? Manchmal pausiert eine Stimme und stört den Gleichklang nicht. Das Objekt heißt »Islands (for 3)« und ist Teil einer Ausstellung des in New York lebenden Künstlers Takehisa Kosugi. Sie ist zur Zeit in der daadgalerie zu sehen und zu »hören«.
Das leise Konzert wirkt zufällig und strahlt dennoch Konzentration aus. Das Geheimnis liegt — nach der Beschreibung des Künstlers — in der Bedeutung des Materials: »3 long tone generators are installed in the paper objects resonanted with the material.« Das Papier ist der Klangkörper dieser sonderbaren Musik. In einem zweiten Raum sind Bilder zu sehen: Metallplatten, auf denen sich je ein elektronisches Equipment — »5 clicking sound generators« — befindet. Sie geben Geräusche von sich, die wie ein Froschkonzert von weit her klingen. Das Bild als Instrument der Klangerzeugung kann man betrachten. Doch was nimmt man wahr, wenn Hören und Sehen nicht übereinstimmen?
Takehisa Kosugi öffnet die Sinne. Seine Klanginstallationen sind so leise angelegt, daß die Geräusche der Außenwelt in die kuriose Musikveranstaltung integriert werden: ein Bus kommt und fährt vorbei; ungeduldige Autofahrer hupen; der Lärmpegel der Stadt ist lauter als diese zarte Musik, die aus den geheimnisvollen Objekten und Installationen klingt. Was ist Geräusch, Musik, Stille? Geschirr klappert aus dem Café ein Stockwerk tiefer. Türenschlagen.
Eine Ausstellung, die mit sehr bescheidenen Mitteln arbeitet und eine starke Wirkung hinterläßt. Die situative Begebenheit des Ortes vermischt Klang und Geräusche zu einer Musikkomposition; das Werk ist ein Erlebnisraum des »Sound of Clicking«. Kosugi arbeitet mit dem Prinzip des akustischen Zufalls. Der Maßstab des Klanges ist subjektiv. Krach ist nicht gleich Krach, und Stille ist nur für den erfahrbar, der auch Geräusche kennt. Freigesetzte Musik, die nicht an Harmonie und Komposition gebunden ist. Kosugis Umgang mit Musik ist konstruktiv und löst konventionelle Partiturkategorien auf. Die Vermischung der bewußt erzeugten akustischen Klänge mit der Geräuschkulisse der Großstadt ist ein Zufallsergebnis. Mit der Vermeidung von direkt vermittelten akustischen Beziehungen zwischen den Klängen entstehen die Installationen durch das Aufhorchen des Besuchers in der Galerie. Das Kunstwerk ist das einzigartige und subjektive Erlebnis während der verweilten Zeit in den Ausstellungsräumen.
Die Anhäufungen von Elektromaterial und Papier ist absichtlich karg und reduziert gehalten. Dem Künstler geht es dabei weniger um die formale Konstruktion eines Gegenstandes als vielmehr um den poetischen Klang, der durch die Fragilität des Papiers — auch visuell — erzeugt wird. Die Erscheinung der Objekte verzichtet fast immer auf eine klar definierte Form zugunsten ihrer stofflichen Qualität. Das Material nimmt den chaotischen und unberechenbaren Rhythmus der akustischen Signale als plastische »Form« auf. Wie läßt sich Klang und auch Stille durch Gegenstände vermitteln? Ein Wust von Kabeln, Steckern, Platinen und anderem elektronischen Material befindet sich auf dem Parkettfußboden im dritten Raum. Aluminiumpapier und Plastikfolie mit Silber- oder Kupferdraht dienen als Hülle für diverse Lautsprecher. Mit Hilfe einer Echomaschine und eines Stereo-Verstärkers produziert der Künstler unaufhörliche Geräusche: Es gibt weder einen Beginn noch ein Ende. Synthetisch erzeugte Klänge (modulations) sind zu hören, Gezwitscher wie in einem Naturpark. Die Präsentation von Werken des 1938 in Tokio geborenen Künstlers findet im Rahmen der Veranstaltung »Inventionen« statt, zu deren Programm auch Workshops und Konzerte zur Musik der Gegenwart gehören. Das Sirenengeräusch eines Krankenwagens rast durch die Stadt... Herbert Jochmann
Bis 16. Februar, daadgalerie, Kurfürstenstraße 58, 1/30, täglich von 12.30 bis 19 Uhr
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