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Tarifpartner rauchen Friedenspfeife

■ Und dann kam doch noch der Kompromiß. Buchstäblich in letzter Minute am Freitag hatten über 86 Prozent der Stahlkocher sich für einen Streik ausgesprochen haben sich in der Nacht zum Montag die...

Tarifpartner rauchen Friedenspfeife Und dann kam doch noch der Kompromiß. Buchstäblich in letzter Minute — am Freitag hatten über 86 Prozent der Stahlkocher sich für einen Streik ausgesprochen — haben sich in der Nacht zum Montag die IG Metall und die Stahlarbeitgeber schließlich doch noch geeinigt. Am Montag morgen klopften dann die Mitglieder der Großen Tarifkommission das Ergebnis fest, mit dem die Gewerkschaft ihre Forderungen durchgesetzt hat.

Das war wohl eine der kürzesten Sitzungen, die die Große Tarifkommission der IG Metall im Stahlbereich je erlebt hat. Nach kaum einer halben Stunde verließen die 121 stimmberechtigten Mitglieder am Montag morgen schon wieder die Mühlheimer Stadthalle — gutgelaunt und voller Zuversicht. Nur zwei der Kommissionsmitglieder hatten mit Nein gestimmt, einer enthielt sich. „Das ist doch ein Geschenk“, „ein Bombenergebnis“, lauteten einige der Spontanreaktionen nach der Sitzung. In den Stahlbetrieben wurde das Ergebnis überall offenbar mit Erleichterung aufgenommen. Für den Dortmunder Hoesch-Betriebsrat Bernd Schimmeyer, der zugleich auch Mitglied der Tarifkommission ist, besteht kein Zweifel daran, daß die Stahlkocher diesem Ergebnis in der für den 7.Februar angesetzten zweiten Urabstimmung auch zustimmen werden.

Für Schimmeyer ist der Abschluß ein „vertretbares Ergebnis, denn wenn wir jetzt noch gestreikt hätten, hätte es doch kaum mehr als 0,5 Prozent höher ausfallen können“. Im einzelnen sieht der Kompromiß die Erhöhung der Löhne und Gehälter ab 1. November 1991 um 5,9 Prozent vor. Dazu gibt es noch eine Pauschalzahlung von 175 DM, und die Ausbildungsvergütung erhöht sich für jedes Ausbildungsjahr um 130 Mark. Ab 1. September 1992 werden die Ecklöhne darüber hinaus um 16Pfennig zusätzlich angehoben, so daß zum 1. November 1992 in der Stahlindustrie mit 15,42 DM der gleiche Ecklohn gezahlt wird wie in der Metallindustrie. Damit habe die IG Metall, so der stellvertretende IG- Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel am Freitag, ihr „zentrales Ziel der Tarifrunde erreicht“.

Die Abkopplung von der Metallbranche rückgängig zu machen, genau dieses Argument hatte in den letzten Tagen die Stahlkocher mobilisiert und für Streik stimmen lassen. Verhandlungsführer Lorenz Brockhues war deshalb am Freitag auch sichtlich zufrieden, daß „wir die Schere zwischen den beiden Branchen geschlossen haben“. Insgesamt beläuft sich der Lohnzuwachs auf genau 6,34 Prozent. Das Zögern und Pokern hat sich für die Arbeitgeber nicht gerechnet. Vor der Urabstimmung hatte die IG Metall ein letztes Einlenken auf insgesamt 6,15 Prozent angeboten. Jetzt, nach dem Streikbeschluß, mußten die Stahlbarone neben den strukturellen Verbesserungen auch ein höheres Volumen akzeptieren. Eine Rundfunkmeldung, wonach der tatsächliche Abschluß nicht dem von der IG Metall mitgeteilten entspreche, wies Zwickel am Freitag zurück. Das Volumen von 6,34 Prozent sei von beiden Seiten „übereinstimmend festgestellt worden“. Vor der Urabstimmung hatten unterschiedliche Berechnungsarten der „Tarifparteien zusätzlich für Verwirrung gesorgt“.

Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Ulrich Schmithals, der noch am Freitag getönt hatte, es werde zur Abwendung des Streiks kein neues Angebot geben, wertete das Ergebnis als „viel zu hoch“. Die Stahlbranche könne das Volumen „eigentlich nicht verkraften“, sagte Schmithals, der schon in den vergangenen Monaten große Phantasie entwickelt hatte, die Situation in der Stahlindustrie immer in den düstersten Farben auszumalen. Am Montag hörte sich das so an: „Die Höhe ist eine Katastrophe, aber ein Streik wäre eine noch größere gewesen.“ Auf mindestens 500 Millionen Mark bezifferte Schmithals die möglichen Streikkosten für die Industrie, ein Streik hätte nach seinen Worten womöglich 600 Millionen gekostet.

Zu dem geheimgehaltenen letzten Treffen in Frankfurt hatte offenbar auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau beigetragen, der in vielen Meldungen sogleich als Meister der Vermittlung gefeiert wurde. Eine Darstellung, die Klaus Zwickel deutlich korrigierte. Der IGM-Vize wörtlich: „Es gab viel Telefonate. Eines davon war das mit Rau.“ Zu dem Gespräch am Sonntag vormittag sei die Initiative von den Tarifpartnern dann aber „allein gekommen“.

Bewußt auf Zeit gespielt

Der IGM-Verhandlungsführer Lorenz Brockhues wertete den Abschluß als einen tragfähigen „Friedensvertrag“. Von Siegern oder Besiegten wollte der Dortmunder Bezirksleiter in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Offenbar denkt Brockhues schon an die nächste Tarifrunde, die spätestens im Oktober beginnen wird. Brockhues hat die Hoffnung, daß es dann schneller geht, weil es sich für die Arbeitgeber jetzt gezeigt habe, daß sich die Verzögerungen „nicht rechnen“. Zur ersten Verhandlungsrunde hatten sich die Tarifparteien schon am 24. Oktober 1991 getroffen. Die Stahlunternehmer hatten zunächst bewußt auf Zeit gespielt und erst beim sechsten Gespräch am 19. Dezember ein erstes Angebot im Umfang von knapp 3,4 Prozent auf den Tisch gelegt.

Während das SPD-Präsidium die Einigung am Montag einstimmig begrüßte, rümpfte der FDP-Vorsitzende Graf Lambsdorff über die Höhe des Abschlusses die Nase: „Der Trend ist, was die volkswirtschaftliche Belastung angeht, zu hoch“, so der Graf. Der bis zum 31.Oktober geltende Tarifvertrag wird auch auf die Ost-Tarifgebiete übertragen.

Die von den ostdeutschen Stahlarbeitern — so aus dem Hennigsdorfer Stahlwerk — schon per Telegramm und Telefax angekündigten Solidaritätsaktionen werden nun ebenso ins Wasser fallen, wie die schon zahlreich gedruckten Streikplakate nun in die Altpapiercontainer wandern werden. Die neutral formulierten IG-Metall-Flugblätter, „Tips bei Streik und Aussperrung“, dürften dagegen ins Lager wandern — beim Tarifstreit in der Metallindustrie könnten sie noch gebraucht werden. Walter Jakobs, Mühlheim

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