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Tour d'Europe

■ Fremdwort Fremdsprache

Die Verteidigung des derzeit wiedermal gerade scheidenden Ministerpräsidenten Giulio Andreotti klingt eher matt: Auch bei seinen Vorgängern sei der „Defekt nicht geringer“ gewesen, und wahrscheinlich werde sich das auch unter seinen Nachfolgern nicht so schnell bessern. Die Rede ist von den Fremdsprachenkünsten seiner Kabinettsmitglieder, von denen Erhebungen seit Jahren feststellen, sie seien mit die am wenigsten polyglotten aller entwickelten Nationen.

Tatsächlich erklären sich derzeit nur zwei der knapp 30 Minister imstande, drei Fremdsprachen einigermaßen flüssig zu lesen und sich „darin ausdrücken zu können“. Ein Interview in einer Fremdsprache würde sich jedoch keiner davon zutrauen. Sechs Minister glauben, zwei Fremdsprachen hinreichend zu beherrschen, neun messen sich wenigstens „Grundkenntnisse“ in einer einzigen zu. Meist ist das jedoch nicht die Weltsprache Englisch, sondern Französisch, das seit jeher wegen der größeren Affinität zum Italienischen in den Schulen bevorzugt wird — weniger seitens der Schüler als durch die Lehrer.

So wird sich wohl „an den Blamagen wenig ändern“, wie der Italianistische Giovanni Lo Prete von der Universität Palermo feststellt, „die unsere Repräsentanten bei ihren internationalen Auftritten provozieren“. Und das sind nicht wenige: Ganz im Gegensatz zu der erklärten Fremdsprachenunfähigkeit steht nämlich die Lust der Italiener, ihre Reden fremdsprachig zu würzen. Was zumeist danebengeht. Berühmt, wie der Abgeordnete Covelli einst von De Gaulles „Force de frappé“ (Achtung: Akzent aufs e von frappé, sonst ist der Clou weg) sprach und wie der kommunistische Chefideologe Tortorella die früher unter Genossen gern gebrauchte Grußformel „Do svidania, tovaric“ (Auf Wiedersehen, Genosse) für einen Mundartausdruck aus der Emilia Romagna hielt. Staatsminister Sullo ließ es sich in Stockholm nicht nehmen, Französisch zu sprechen und kauderwelschte dabei so grauenhaft, daß es niemand übersetzen konnte.

Seit einigen Jahren bietet deswegen sogar das Parlament Intensiv-Schulungen an, zu Hause, oder in Deutschland, Irland, England, Frankreich oder Japan. Doch nach den Erfahrungen von Sprachforschern der Universität Rom „beschränkt sich das alles auf einen mächtigen Zulauf in den ersten drei Wochen, und nach zwei Monaten ist der Kurs faktisch menschenleer.“ Viel Geld aus diesen Fonds wurde freilich im Klientelverfahren an bewährte Parteigenossen oder Verwandte verschleudert, die mal zwei Monate in der Schweiz gearbeitet haben und daher etwas Dütsch radebrechen.

Mit solchem Desinteresse an fremdsprachlicher Kommunikation schlägt sich auch die Europäische Gemeinschaft herum. Das eigens eingerichtete Lingua- Programm soll nicht nur beim Erlernen der offiziellen EG-Sprachen helfen. Gefördert wird auch der Unterricht vom Aussterben bedrohter Idiome und Mundarten. Im englischen Cornwall beispielsweise lernen mit EG-Hilfe mehrere hundert Leute Cornish, eine regionale Variante von Keltisch. Von Irland bis Sizilien gibt es solche Projekte, schließlich sprechen mindestens 50 Millionen EG-Bürger eine Regionalsprache wie Letzebuergisch (Luxemburgisch) oder Bretonisch. Werner Raith

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