piwik no script img

Fahimeh Farsaie:

■ Ein „Brief an Rushdie“

Sehr geehrter Herr Rushdie,

es fällt mir schwer, Ihnen einen Solidaritätsbrief zu schreiben. Warum, frage ich mich. Habe ich Angst, die islamische Regierung zu provozieren? Fürchte ich mich vor deren gnadenlosem Zorn? Habe ich die Befürchtung, als im Exil lebende Schriftstellerin, immer noch mit iranischer Staatsangehörigkeit, in Schwierigkeiten zu geraten?

Gewiß nicht, Herr Rushdie!

Nicht weil ich aus anderem Stoff gemacht und gar nicht, weil ich außergewöhnlich kühn und beherzt bin. Sondern aus dem einfachen Grund, daß ich in den Augen der im Iran Entscheidenden genügend „Verbrechen“ begangen habe, daß die Tatsache, in den „Fall Rushdie verwickelt zu sein“, keine zusätzliche Härte für meine Verurteilung bedeuten würde. Um nur mein neuestes „Verbrechen“ zu nennen: Die Veröffentlichung meines Romans Vergiftete Zeit auf deutsch, der als ein „antiislamisch-antiiranisches“ Buch von den offiziellen iranischen Zeitungen bezeichnet worden ist. Was für Konsequenzen diese Beurteilung haben kann, können Sie sich bestimmt gut vorstellen, Herr Rushdie. Also, eine „Sünde“ mehr oder weniger macht meine „schwarze Akte“ nicht schwerer oder leichter, meine ich. Darum kann es nicht gehen!

Kann ich vielleicht nicht richtig nachvollziehen, in welcher schrecklichen und grausamen Situation Sie sich befinden, frage ich mich; ständig in Furcht und Panik leben zu müssen, eingeengt und andauernd bewacht zu werden, Alpträume von Verfolgung, Folter und Mord erleiden zu müssen und sich einsam und verlassen zu fühlen?

Doch. Diese grauenhafte und entsetzliche Situation kann ich sehr wohl nachempfinden. Da brauche ich mir keine Mühe zu geben, es bedarf bei mir keiner besonderen Phantasie und keines besonders gutmütigen Herzens. Aus dem einfachen Grund, weil ich diese schreckliche und unerträgliche Situation selbst erlebt habe, als ich verfolgt wurde, im Untergrund leben mußte und auf der Flucht war. Ich erlebe sie zum Teil immer noch im Exil.

Nicht deshalb fällt es mir so schwer, Ihnen zu schreiben, Herr Rushdie!

Vielleicht liegt es an der Art und Weise, wie Sie an uns, Ihre Kollegen und Kolleginnen, appelliert haben, dachte ich am Schluß meiner Überlegungen. „Bitte machen Sie deutlich, daß wir es nicht hinnehmen, daß ein Mann ermordet werden soll, nur weil er ein Buch geschrieben hat...“, sagten Sie im Londoner Hotel Dorchester bei der Preisverleihung für Ihr Kinderbuch Harun und das Meer der Geschichten im letzten Jahr, „fast flehend und mit Tränen in den Augen“, wie der 'Spiegel‘ schrieb. Sie formulierten Ihre „Bitte“ ausdrücklich so, als ob vor dem 14.Februar 1989, also dem Tag des von Khomeini verkündeten Todesurteils gegen Sie, kein „Mann“ aufgrund seiner literarischen Tätigkeit ermordet worden wäre. Ja genau! Das hat mich bei meiner Überlegung, einen Solidaritätsbrief an Sie zu schreiben, gestört. Denn ich mußte daran denken, daß einige Monate nach diesem Zeitpunkt viele „Männer“, auch Autoren und Journalisten, hingerichtet und in Massengräbern mit anderen politischen Gefangenen begraben worden sind, weil sie auch nur ein Buch oder einen Artikel geschrieben und ihre eigene Meinung geäußert haben. Um nur ein paar Namen zu nennen: Amir Nikaiin, Monouchehr Behzadi, Djavad Misani, Abutorab Bagherzadeh... Sie folgten dem bitteren Schicksal ihrer jungen Kollegen, die in einer dunklen Nacht ein paar Monate vorher entführt, gefoltert und erschossen worden sind: zwei Dichter, Said Soltanpour und Rahman Hatefi.

Selbstverständlich tauchten ihre Namen nirgendwo in einer Zeitung auf. Niemand, nicht mal ihre Familien, durfte für sie eine Trauerfeier veranstalten. Sie blieben ungeehrt unter schwerer, „schwarzer“ Erde. Und niemand darf bis heute ihre Gräber aufsuchen. Vielleicht haben sie ja einen Solidaritätsbrief von Ihnen, als ein Schriftsteller, der kurz vorher von denselben Entscheidenden zum Tode verurteilt wurde, vermissen müssen.

Auf jeden Fall haben wir, Herr Rushdie, also ihre (immer noch) lebenden Kollegen und Kolleginnen, diese „einmalige“ Chance verpaßt, sie respektvoll zu ehren und weltweit die Öffentlichkeit auf ihr bitteres Schicksal aufmerksam zu machen.

Ja, genau. Das hat mich gestört: daß Sie Ihre eigene „Betroffenheit“ so in den Vordergrund stellen und die anderen „Betroffenen“ dabei übersehen. Diesen Eindruck rufen viele Ihrer Aussagen hervor; sogar dann noch, wenn Sie sie mit der „Betroffenheit“ der anderen in Verbindung bringen: „Heute geht es gerade mal um mich. Und wenn diese Kampagne, diese Angriffe auf mich und die anderen, die etwas mit den Satanischen Versen zu tun haben, erfolgreich sein sollte, kann es morgen jemand anderen treffen“, sagten Sie in Ihrem neuesten Fernsehinterview in der letzten Woche. Das ist ja leider wahr. Es gibt aber eine andere schmerzhafte Wahrheit, nämlich, daß sich auch heute noch elf Kollegen und Kolleginnen von uns in der gleichen Situation befinden, wie Sie bestimmt dem Writers-in-prison-Bericht 91 entnommen haben, der in der Mitgliederversammlung des PEN- Zentrums im Oktober letzten Jahres vorgelegt worden ist. Unsere Kollegin, Angelika Mechtel, weist in diesem Bericht darauf hin, daß „die Notwendigkeit, sich versteckt zu halten“, häufig vorkommt: „... hier ist Salman Rushdie kein Einzelfall, das Komitee [für inhaftierte Autoren des PEN-Zentrums] gibt 11 solcher Fälle in seiner Statistik an...“ Abgesehen davon zeigt der Bericht, daß im letzten Jahr 739 unserer Kollegen und Kolleginnen in 75 Ländern verfolgt wurden. „Davon sind 323 nach Kenntnis des Komitees zur Zeit in den Gefängnissen ihrer Länder inhaftiert. Die Verfolgung der übrigen 416 Kolleginnen und Kollegen stellt sich außerhalb der oben erwähnten meist langfristigen Gefängnisstrafen folgendermaßen dar: Ermordung, Morddrohungen, physische Attacken, die Notwendigkeit, sich versteckt zu halten, Verbannung und Ausweisung...“

Ich möchte jetzt hier nicht, Herr Rushdie, die elende und deprimierende Situation unserer Kollegen und Kolleginnen in aller Welt nach den Angaben dieses Berichts weiter ausmalen. Es würde ein furchterregendes Bild von Ungerechtigkeit, Terror, Gewaltausübung und Freiheitsberaubung entstehen. Sie kennen diese Tatsache, denn Sie selbst sind Opfer dieser Ungerechtigkeit, dieses Terrors, der Gewaltausübung und der Freiheitsberaubung.

Ihr Fall ist gewiß einmalig. Weil das Todesurteil gegen Sie von einem ausländischen terroristischen Regime verkündet worden ist, dessen Staatsbürger sie nicht sind. Es wird zu Recht als einmalig bezeichnet, kann aber nicht ein so hohes Gewicht haben, wenn gleichzeitig mindestens 739 fast ähnliche und entsetzliche Fälle existieren. Ich glaube nicht, daß es für den ehemaligen Vorsitzenden des zairischen Schriftstellerverbandes besonders wichtig ist, ob sein Mordurteil von einem zairischen Machtbesessenen getroffen worden ist oder von einem Kenianer. Nach seiner gelungenen Flucht aus dem Gefängnis fühlt er sich immer noch bedroht und verfolgt und befindet sich immer noch auf der Flucht, obwohl er jetzt in einem „freien“ Land in Europa lebt und einigermaßen in „Sicherheit“ ist.

Das gleiche gilt auch für den 33jährigen südkoreanischen Dichter Park Ki-pyong, der wegen „anarchistischen Gedankenguts“ zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Für diejenigen, nach deren Leib und Leben getrachtet wird und die ihrer Freiheit beraubt werden sollen, spielt es keine Rolle, ob ihre Richter, Henker und die, die sie verurteilen, blauäugig oder dunkelhäutig sind. Sie wollen nur, wie Sie, ihre eigene „Haut“ nicht verlieren, weil sie sich schriftstellerisch engagiert haben. Sie haben einmal gesagt, Herr Rushdie: „... meine Haut zu retten. Als wenn es jämmerlich wäre, so etwas zu wollen. Es war deprimierend festzustellen, daß die Leute meine Haut so wenig schätzen...“ (taz vom 24.September 1991)

Ich schätze Ihre „Haut“, Herr Rushdie, sowie die Freiheit der Rede und des Schreibens. Ich schätze alle meine Kollegen und Kolleginnen, die deswegen ihre „Haut“ verloren haben, sowie jene, die sich dafür einsetzen, dieser obszönen Ungerechtigkeit und diesem ungleichen Kampf ein Ende zu setzen. Ich schätze auch besonders meine unbekannten elf Kollegen und Koleginnen, an die ich sofort nach diesem Solidaritätsbrief an Sie anfange, einen offenen Brief zu schreiben. Einen offenen Brief, weil ich nicht weiß, wo sie sich unter ihrem heimatlichen Himmel befinden!

Seien Sie gegrüßt

Ihre Fahimeh Farsaie

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen