: Sag', daß du es willst!
■ Vergewaltigungs-Drama „Extremities“ hatte Premiere im Packhaus
Kommt da so ein schmuddeliges Mannsbild in die duftige Frischeküche einer Frauen-WG und trifft dort Marjorie. Meldet seinen brutalen Herrschaftsanspruch an, erniedrigt und demütigt sein Opfer, bedroht es, würgt es. Will die Frau vergewaltigen: „Sag', daß du es willst!“ Genießt seine Allmachts-Phantasien. Die Frau greift zum Insektenspray. Die volle Ladung ins Gesicht ihres Folterers gibt ihr die Gelegenheit, den Aggressor zu fesseln und einzusperren.
„Extremities“ von William Mastrosimone war 1986 ein Kinoerfolg. Die Darstellung einer derart exzessiven und peinigenden Situation gerät der Regie von Hauke Thormählen in der Packhaus-Inszenierung so naturalistisch, daß Nicole Lembach als Marjorie und Andre Kudella als Vergewaltiger Raul kaum die Möglichkeit haben, den Gefahren melodramatischer Explosion zu entgehen.
In dem Maße aber, in dem Mastrosimone Marjorie zur Herrin über Leben und Tod werden läßt, gewinnt das Stück an beklemmender Intensität, die dann auch skurrile Situationen und Dialoge zuläßt, und gewinnen die DarstellerInnen an Souveränität in ihren polarisierten Rollen. Die an sich kreuzbrave Marjorie kündigt ihren Sozialkontrakt mit Staat und Gesellschaft, will Recht und Gesetz in dieneigenen Hand nehmen, entwickelt Gewaltphantasien, die in Angriffen auf „die Bestie“ münden.
Der Haß der Überfallenen wird zum Therapieproblem: „Extremities“Foto: Claudia Hoppens
Die Wohngenossinnen kommen dazu, versuchen, die Situation einzuschätzen und fallen dabei stets in ihre alltäglichen Rollen zurück: Die ängstliche Terry (Martina Flügge) ist hin- und hergerissen zwischen Solidarität und Eifersucht, die von Raul systematisch geschürt wird. Die ganz im okay, okay ihrer professionellen Beziehungsarbeit aufgehende Sozialtherapeutin Patricia (Elina Finkel) versucht sich mit ihren Mittelstands-Gesprächstechniken als klärende Instanz an einem
hierhin bitte
die drei Frauen
und der eine Mann
Abgrund, den ihre Klarheits- und Wahrheitssuche nun mal nicht im Programm hat.
Wo eben noch ein Grab zwischen Blumen und Tomaten für Raul ausgehoben wurde, konzentriert sich nunmehr alles auf die Hilfe für den gefolterten Mann. Der Haß Marjories wird zum Problem gemacht: Drei Muttis kümmern sich um den Macho mit der Dornenkrone. Obwohl dieser widersprüchliche Prozeß etwas Klischeehaftes und Lehrbuchartiges hat, entgehen die DarstellerInnen
zumeist den gewaltig am Wege lauernden Gefahren der schauspielerischen Karikatur. Wie ein finaler Hammerschlag die Schlußszene: Marjorie sitzt wieder am Küchentisch. Die Tür geht auf, der alte Peiniger tritt ein. „Guten Morgen...“ Im Premierenjubel lag etwas seltsam Inszeniertes, das die Amoralität des letzten Bildes fast um seine Wirkung brachte. Was aber den AkteurInnen die „Extremities“ nicht anzulasten ist.
URDrü
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