: NEU IM ATLANTIS: „La Stazione“ Die Nacht des Bahnhofvorstehers
In Bahnhöfen kann man gut Geschichten ansiedeln. Angefangen bei „Anna Karenina“ über die ersten Szenen von „Spiel mir das Lied vom Tod“ bis zu Werbespots für Kalorienbomben, die den Abschied versüßen sollen oder David Leans Schmachtfetzen „Brief Encounter“, der fast anschließlich in einem Bahnhofscafe spielte. Genauso konsequent wie Lean beschränkt sich jetzt auch Regisseur Sergio Rubini auf diesen Schauplatz mit der so gefühlsgeladenen Athmosphäre.
Eine kleine Station, ein schüchterner Bahnhofsvorsteher, eine elegante Verlobte
Eine kleine Station mit einem schüchternen Bahnhofvorsteher; eine elegante Unbekannte und ihr brutaler Verlobter, die den Nachtdienst und das Gefühlsleben des Beamten gründlich durcheinander bringen: mehr braucht Rubini — der die Hauptrolle selbst spielt — nicht, um ein feines, tragikomisches Kammerspiel zu inszenieren.
Den Angriff des Bösen auf das fast wehrlose Paar: die Spannungsmomente mit plötzlich am Fenster auftauchtenden Gestalten oder den höchst unpassenden Stromausfällen reduziert Rubini zum Glück auf das Minimum. Das kennt man schon zur Genüge. Stattdessen konzentiert sich der Regisseur mit sanfter Ironie auf das alltägliche, ereignislose Leben des Vorstehers Domenico.
Der mißt auf seiner Stopuhr genau nach, nach wieviel Sekunden das Kaffeewasser aufbrodelt und wann die kaputte Schreibplatte wieder herunterknallt. Nie würde er sie reparieren, denn nur so kann er der in der Station übermächtig herrschenden Langeweile ein Schnippchen schlagen. Die schöne Flavia reagiert zuerst überheblich, dann amüsiert und zuletzt fasziniert auf die rührend pedantischen Gewohnheiten des kleinen Beamten, der im Laufe der Nacht zu ihrem Verbündeten und Beschützer wird. Rubini zeigt diese sehr vorsichtige und keusche Romanze behutsam und doch mit der nötigen Distanz, sodaß der Film nie rührselig wird.
Natürlich müssen beide pünktlich mit dem Morgenzug wieder in ihre Welten zurückkehren, denn dies ist wohl einer der Hauptgründe, warum Bahnhöfe sich so gut für Geschichten eignen: hier kann man die besten Abschiede inszenieren.
Wilfried Hippen
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