: Hollywood-Abfuck, Hollywood-Mythos
■ Wolfgang Hainke und Jürgen O. Olbrich: „Hooray For Hollywood“ / Installation bei Brigitte Seinsoth
Bild ohne Namen, Namen ohne Bilder: You can walk away with a unique copy of ... Foto: Jörg Oberheide
Independent Day in Hollywood: Zwei Künstler schleichen sich an martialischen Guards vorbei auf das Grundstück von United Artists und durchwühlen die Müllcontainer. — Auf dem Walk of Fame, der Starmeile Hollywoods, wo die 1.400 Größten des Films mit einer Bodenplatte verewigt sind, liegen sie auf den Knien und „frottieren“ die Starnamen auf Zeichenpapier. — An einer finsteren Ecke der Stadt geraten sie in eine Film-Schießerei, die sich später als echt herausstellt.
Wolfgang Hainke und Jürgen O.Olbrich, Konzeptkünstler aus Schierbrok (bei Ganderkesee) und Kassel, waren in Hollywood. Und sie haben etwas mitgebracht. „Hooray For Hollywood“ lautet der Titel ihrer neuesten Installation, die seit letzter Woche bei Brigitte Seinsoth zu sehen ist.
„Hooray For Hollywood“ hieß ein ganz frühes Multi-Media- Pack von 1946, das Hainke und
Olbrich vor vier Jahren in Calgary in einem Army-Restposten- Shop fanden. Es handelt sich um ein Album mit einer Schellack- Platte, 15 Dias und einer Mini- Leinwand für die Ton-Dia-Show zu Hause. Hollywood ist 15 Schritten, die bekanntesten Plätze: Die MGM-Studios, das Chinese Theatre, das Griffith Observatory (wo James Dean endete), das Beverly Wilshire Hotel (wo „Pretty Woman“ gedreht wurde) oder das Restaurant, wo Charly Chaplin zu speisen pflegte.
So arbeiten Hainke/Olbrich: Sie kauften das Album alle 65 noch erhältlichen auf und machten ein Konzept. Der Stadtrundfahrt von 1946 nachgehen, die Orte aufspüren, die „Weltstadt der Illusionen als Kunst-Raum nutzen“, „Spurensicherung“. Aus Projektionen, Erinnerungs- Trümmern, Trouvaillen und erlebtem Alltag entsteht eine Vision/Installation.
Frauengesicht vor Plakaten
Vier Wochen waren die beiden unterwegs, jeder Tag war harte Arbeit, Interviews, Performance, Fotografieren, Recherche, Wühlen. Von amerikanischen Künstlern wurden sie unterstützt — und mit Kopfschütteln bedacht: Wer interessiert sich für die abgefuckten Plätze im toten Hollywood? Wie kann man sich nur ständig mit diesen Uniformierten anlegen, öffentlich Souveniers abzocken, Knast riskieren und schließlich 210 Kilo brisantes Copy Right Material im Handgepäck nach Deutschland schleppen?
„Available“ in den Hollywood-Farben Rot und Blau klebt auf den Stufen der Galerie Beim Steinernen Kreuz: verfügbar, erhältlich, vorrätig. Das Credo Hollywoods. Texte und Fotos, auf Sanitärartikel aus Plastik gedruckt, Lichtobjekte, eine Siebdruck-Mae West fast lebensgroß auf Acryl, ein Turm aus Multiples, die Ton-Dia-Schau und die
89 edel gerahmten Frottagen.
Sie tragen die Namen der Hollywood Stars und bedecken drei Wände: W.C.Fields, Boris Karloff, Mickey Mouse, Lassie, Little Richard, Greta Garbo ... Namen, die für einen Mythos stehen. Platte für Platte wurde mit Bleistift ins weiche Papier frottiert, eine beeindruckende Arbeit, die mit dem Mythos spielt und ihn zugleich ernst nimmt.
Metro Goldwyn Mayer gehört Sony; wo Raymond Chandler von der Muse geküßt wurde, ist heute ein Klo; James Dean's favorite hang-out ist heute ein Parkplatz. Hollywood ist tot — wo Filmgeschichte geschrieben wurde, werden heute Billigserien produziert. Was bleibt, ist der Mythos, als Wahrnehmungszustand zu beschreiben, der überall erzeugt werden kann. „You can walk away with a unique copy of Greta Garbo“ steht auf der Rückseite der Garbo-Frottage.
An das große Vorbild Marcel Duchamp erinnern Hainke/Olbrich mit ihrem Multiple „Talking Pictures“ (Auflage 66). Ein Fiction-Koffer, Hollywood zum Ansehen und Anfassen. Das „Hooray“-Album, ein Leporello mit den Signets der Filmgesellschaften, eine Bibel auf Chinesisch (Denken Sie bitte hier!); eine teils ironische, teils naive Sammlung von Hollywood- Trümmern mit dem Chinese Theatre aus Plastik, einem Video aus dem MGM-Müll und einem Stein aus Death Valley. Hainke: „Touristischer Schrott“.
Recycling, Geheimnis, Offene Arbeitssituation, voller Einsatz mit vollem Risiko, internationale Kooperation und eine Installation für den Ort: Begriffe, die die Arbeitsweise der beiden Künstler umschreiben. Daß alle Bilder und Objekte available sind, ist neu und paßt zu Hollywood und zur Galerie. Und auch das unvermeidliche give away hat Platz im Konzept: Für eine Mark nimmt man das Plakat „American Detevtive“ mit nach Hause. Burkhard Straßmann
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