: Dreifacher Frauenmord und keine Erklärung
Frankfurter Landgericht verurteilt dreifachen Frauenmörder zu 15 Jahren Haft und Sicherheitsverwahrung ■ Aus Frankfurt Heide Platen
Zu einem unerwartet milden Urteil kam die 3. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts im Prozeß gegen den 23jährigen Postangestellten Martin Gebert. Sie verurteilt ihn wegen dreifachen Mordes und Mordversuchs zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren und ordnete gleichzeitig die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Mann hatte gestanden, die Auszubildende Manuela M, sowie die beiden Prostituierten Barbara T. und Sonja Schmid getötet zu haben. Er war erst nach dem Versuch, eine vierte Frau umzubringen, im März 1990 verhaftet worden.
Die HIV-positive Sonja Schmid hatte, bevor sie ihrem Mörder begegnete, eine mehrjährige Verfolgung durch die bayerische Justiz über sich ergehen lassen müssen. Sie war als „Aids-Hure“ Opfer der Boulevard- Presse. Das Gericht attestierte Gebert gestern eine „schwere Perversion in Form eines sexuellen Sadismus“. Er habe „ein ganz und gar monströses und irrationales Tatverhalten an den Tag gelegt“ und sei ein „Triebtäter“ im klassischen Sinne. Der Konflikt mit seiner Freundin habe dabei keine Rolle gespielt. Gebert hörte das Urteil mit fast kahlrasiertem Kopf — sein Anwalt teilte dem Gericht mit, der Mandant sei im Gefängnis „ausgerastet“.
Zum ersten Mal wertete ein deutsches Gericht die Genom-Analyse, den genetischen Fingerabdruck, als Beweismittel. Das Landeskriminalamt hatte dazu Spermaspuren des Angeklagten, die bei zwei der ermordeten Frauen gefunden worden waren, untersucht und sie „eindeutig“ Martin Gebert zugeordnet.
Dem Urteil waren quälende Verhandlungstage vorausgegangen. Mit Akribie und Konzentration hatten der Vorsitzende, Heiner Mückenberger, und die beiden beisitzenden Richterinnen, Rodrian und Schulz, versucht, herauszufinden, aus welchen Motiven Martin Gebert zum Mörder geworden war. Vergeblich versuchten sie auch, den Nebel zu durchdringen, der den ersten Mord an der Schülerin Manuela M. im Oktober 1988 umgab. Karge Einzelheiten aus der Erinnerung des Angeklagten ließen diese Tat gerade noch aufscheinen. Dagegen blieb der Tod der beiden Prostituierten Barbara T. und Sonja Schmid im September und Oktober 1989 hinter einem dichten Schleier des Unerklärlichen, Ungeheuerlichen verborgen.
Die beiden Gutachter, der Psychologe Hasso Sachs und der Gießener Psychiater, Professor Willi Schumacher, hatten sich mit den Mitteln ihrer Wissenschaft eher tastend auf die Suche gemacht. Selten haben sich Gutachter zusammen mit dem Gericht auf eine so kooperative Anstrengung, der möglichen Wahrheit nahe zu kommen, eingelassen wie in diesem Verfahren. Dies ist vor allem der einfühlsamen und dennoch präzisen Verhandlungsführung Heiner Mückenbergers zu verdanken, den seine sichtliche Bewegung nicht daran hinderte, immer wieder nachzufragen.
Um so gewichtiger war die Anerkennung, die die Nebenklägerin, die Mutter der ermordeten Barbara T., dem Gericht in den Verhandlungspausen nicht versagte. Ihr wolle es, sagte sie, zwar noch immer nur schwer in den Kopf, daß jemand, der ihre Tochter und zwei andere Frauen bestialisch getötet habe, nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie nach dem Gesetz auch wieder frei kommen könne. Sie werde aber, hoffe sie, nach dieser Art der Verhandlungsführung die Entscheidung für sich selbst lebensgeschichtlich akzeptieren können. Das für sie unerwartet milde Urteil hörte sie dennoch mit sichtbarem Entsetzen.
Professor Sachs entwarf ein Bild der Jugend Geberts, deren hervorstechendstes Merkmal die absolute Unauffälligkeit war. In einer katholischen Stiftsschule und in einem ebenso katholischen Elternhaus erzogen, war er bis zur Selbstverleugnung konditioniert. Mitschüler nannten ihn „tolpatschig“, „schusselig“, immer „etwas neben der Spur“ und unbeliebt. Sachs charakterisierte einen Menschen, der in sozialen Situationen nur zu oft unangemessen reagiere, einen „sozial Behinderten“.
Ob Gebert die daraus resultierende Vereinsamung empfand, ob er sie überhaupt empfinden konnte, bleibt im dunkeln der Nichtuntersuchbarkeit. Bei der Befragung zu seinen Taten sei er völlig unbeteiligt geblieben: „Er lachte und scherzte.“ Um die Frauen sei es „schon schade“, habe er dann gesagt, und gleich wieder seitwärts sinniert: „Wenn es Bekannte gewesen wären, wäre es schlimmer gewesen.“ Martin Gebert träumt nachts nicht. Und wenn, dann erinnert er sich nicht. Er wolle, erklärte er dem Gutachter, „nur das Schöne“ in seinen Gedanken dulden: „Sonst drehen sich die Gedanken im Kreis.“ Sein Hobby ist die Zucht exotischer Blumen, die auch er auch in seiner Gefängniszelle pflegt.
Sachs' Ausführungen sind vielschichtig und lassen Fragen offen. Erinnert sich Gebert an seine Taten, bei denen er die Frauen brutal erwürgte, teils fesselte und so möglicherweise langen Todesängsten aussetzte? Könnte er sich erinnern, wenn er wollte? Macht er es sich, fragt Mückenberger, „bequem“? Das einzige, flache Erklärungsmuster, das Gebert einräumt, die Spannungen in der Beziehung zu seiner Freundin Nadine B., genügen dem Gericht nicht: „Das wäre sonst ein so ungeheuerliches Mißverhältnis!“
Professor Sachs reagiert darauf mit berufserfahrener Ratlosigkeit. Er schließt nicht aus, daß Nadine B. mit dem Leben davon gekommen ist, weil Gebert ihr selbst nichts habe antun können und in einer „Übersprunghandlung“ tötete. Völlig unverständlich bleibt den Prozeßbeteiligten der Versuch des Verteidigers, Gerhard Emmerich, an diesem Punkt einzuhaken. Wenn Gebert nur wegen des Konfliktes mit Nadine B. getötet habe, dann sei die Gefahr, folgert er, mit dem Ende der Beziehung doch vorbei und eine Wiederholung nicht zu befürchten? Richterin Rodrian reagiert verdrossen.
Martin Gebert ist, zu dem Schluß kommen beide Gutachter, möglicherweise schuld-, aber nicht einsichtsfähig, also kaum — oder nur sehr langfristig — therapierbar. Er könnte wieder töten. „Das“, so Sachs, „sieht er auch selber ein“. Professor Willi Schumacher diagnostizierte einen frühkindlichen Hirnschaden, der Auswirkungen auf die Entwicklung Geberts haben könnte — aber nicht muß. Den reinen, von Gebert beschriebenen, „Drang zum Würgen“ ohne sexuellen Hintergrund gebe es „selbstverständlich“ nicht. Es gebe den aggressiven, kriminellen Gewalttäter, der „Sex zum Nulltarif will“ — und es gebe den „echten“ Triebtäter für den „Demütigung“ und Todesangst der Frau mit zum sexuellen Erleben gehören. Die Fesselung von Frauen sei eines der eindeutigen Symptome für einen Triebtäter.
Mückenberger ist sichtlich angestrengt, als er fragt, ob aus den gefundenen, mit Sperma gefüllten Kondomen zu schließen sei, daß Gebert mit den schon Toten kopuliert habe? Schumacher weiß darauf keine Antwort. Mückenberger mahnt Gebert, dazu etwas zu sagen: „Es geht ja hier immer um Sie. Wenn Sie verurteilt sind, ist das vorbei. Niemand wird sich dann mehr um Sie kümmern und Ihr ganzes Leben lang bleibt diese Problematik offen.“ Gebert erklärt sich, rote Flecken im blassen, angespannten Gesicht, bereit, sich den Fragen unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu stellen. Er löst die vorübergehende Bereitschaft nicht ein. Verteidiger Emmerich räumte in seinem Plädoyer ein, er habe seinem Mandanten selbst zum Schweigen geraten, um einen „Geständniszwang“ auszuschließen.
Emmerich fordert eine Zeitstrafe. Staatsanwalt Horst Schmidt zog die Konsequenz aus der Strategie der Verteidigung. Er forderte dreifache lebenslange Haft und Sicherheitsverwahrung. Gebert habe seine arg- und wehrlosen Opfer vorsätzlich aus „Mordlust“ und „zur Befriedigung des Geschlechtstriebes“ umgebracht. Seinem „Trieb“ hätte er bewußt entgegensteuern können, wenn er, zumindest nach dem ersten Mord, Situationen gemieden hätte, die diesen zum Ausbruch brachten. Nicht therapiefähig, sei er außerdem im Gefängnis mit einem Arbeitsplatz „angemessener“ untergebracht.
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