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Ich hab' noch ein Accessoire in Berlin

■ Ethnologische Alltagsstudien eines Australiers, zweite Folge

Nehmen Sie's mir nicht übel, und nennen Sie mich ruhig altmodisch, aber wenn ich die Modeaccessoires der Berliner sehe, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.

In Australien, meinem Heimatland, sind Modeaccessoires ganz normale Dinge, wie Taschen, Schuhe, Kreditkarten, Ohrringe, gelegentlich ein Surfbrett, noch mehr Kreditkarten. Sie wissen schon, einfach so das Übliche. Die Berliner aber haben sich eine ganz neue strahlende Welt von Accessoires geschaffen, und das Geschäft blüht.

Unbedingt erforderlich zur Abrundung eines jeden Stils ist die Bräune, und dabei meine ich nicht die gewöhnliche, von der Sonne geküßte, »Gerade komme ich vom Tennisplatz«-Art von Bräune. Nein, in Berlin handelt es sich um eine im Dunkeln leuchtende, auf hundert Meter sichtbare Bräune. Die Berliner sind besessen davon, gebräunt zu sein, deshalb produziert die Stadt Bräunungsstudios genauso schnell und zahlreich wie Australien seine geistlosen Popstars. An jeder Straßenecke scheint man auf solche ganz in Sonnenorange oder Sandbraun gehaltenen Studios zu stoßen mit exotischen Namen wie Welcome to Florida, Major Burns, Some Like It Hot und Beach Barbeque, sogar im Hallenbad kann man sich bräunen lassen. Wenn ich aber diese utopischen Bräunungskokons erblicke, denke ich immer, gleich wird einer rufen: »Scotty, beamen!«

Falls die konzentrierte Dosis ultravioletter Strahlen aber genügt, gibt es immer noch die chemische Bräune zum Ansprühen, die der Haut einen neonlicht- bis aluminiumfolienartigen Glanz verleiht. Und so kommt es, daß die Berliner Bräune immer nicht ganz echt, oder besser, total künstlich aussieht. Das kann zum Schauermärchen werden, wie kürzlich, als ich einen Wagen voller Leute an meinem Haus vorbeifahren sah, alle mit dreidimensionaler, leuchtstoffartiger Bräune, und mein erster Gedanke war: die haben eine Atombombenexplosion hinter sich und fahren auf dem schnellsten Weg zur Notaufnahme. Andererseits kann ich diese wilde Jagd nach Bräune in Berlin ja verstehen. Wenn man Tag für Tag in einer wetterlosen Stadt lebt, in die globale Wärme einfach nicht eindringt, dann ist ein wenig Phantasie schon in Ordnung.

Kommen wir zum nächsten ganzjährigen, mir völlig unverständlichen Berliner Accessoire: der Brille. Sofern dies überhaupt möglich ist, gibt es in Berlin mehr Brillenläden als Bräunungsstudios, und wenn man danach gehen kann, ist Berlin die Stadt mit den meisten Brillenträgern der Welt. Ich kann einfach nicht glauben, daß jeder Berliner halb blind ist oder daß der Gebrauch von Kontaklinsen noch nicht bis nach Berlin durchgedrungen ist. Die Berliner sind und bleiben eben praktisch bis zum bitteren Ende, egal ob die übrige zivilisierte Welt nach dem Prinzip handelt: »Kein auch nur im geringsten interessanter Mensch flirtet mit Brillenträgern«.

Weshalb auch immer den Berlinern so viel an diesem närrischen Augenschmuck liegt, bebrillte Berliner sind mir immer noch lieber als solche, die lebendigen, atmenden Accessoires verfallen sind. Richtig, damit meine ich den allgegenwärtigen Hund. Einerseits gebe ich ja zu, daß Hunde die treuesten Freunde des Menschen sind, aber andererseits finde ich, die Berliner gehen dabei etwas zu weit. Sie leben mit Riesenhunden in winzigen Wohnungen, ziehen ihnen Kleider an, färben ihr Fell rosa und blau, gurten sich an ihre Vierbeiner mit den seltsamsten Leinen und Riemen, nehmen sie überall mit, sogar zum Essen ins Restaurant. Ich sehe da mehr Leute mit Hunden als mit Kindern (dagegen ist eigentlich auch nichts einzuwenden, wenn ich mir's überlege).

Gut möglich, daß die Liebe der Berliner zum Hund etwas mit ihrer Sehnsucht nach dem Wilden, Unbezähmbaren zu tun hat. Die Kehrseite hat jedoch etwas recht Ekelerregendes für Auge und Nase. Klar, daß ein lebendiges, atmendes Accessoire auch ziemlich oft gewisse Spuren hinterläßt, und natürlich immer vor meiner Haustür, so daß ich, trotz aller Ausweichmanöver, unweigerlich in die so geschickt und listig plazierten Häuflein trete. Allen Ernstes, ein Minenfeld im tobenden Krieg ist nichts gegen die Straßen von Berlin. Ich wäre verständlicherweise für billige und saubere Alternativen: Taschen, die wir Hunde aussehen, ausgestopfte Hunde auf Rädern, Hundefellkragen, aber bis dahin werden noch viele Köterabsonderungen meinen Weg pflastern. Die Berliner Faszination für lebendige Accessoires kann merkwürdige Ausmaße annehmen, wenn die Leute sich nicht mit Hunden, sondern mit Nagetieren schmücken. Ja, Ratten! Mein erstes Erlebnis damit hatte ich in einem überfüllten S-Bahn-Abteil, wo mich plötzlich zwei nicht unattraktive, kleine, glänzende Augen anstarrten. Ich dachte schon, das Glück wäre endlich auf meiner Seite, und jemand wollte mit mir flirten, bis mir klar wurde, daß das Augenpaar einer Ratte gehörte, und dieser wiederum zur Schulter eines Beatniks. Ich war drauf und dran, »Hilfe! Beulenpest!« schreiend die Notbremse zu ziehen, konnte mich aber gerade noch beherrschen.

Seitdem habe ich viele rattengepolsterte Schultern in Berlin gesehen. Vom damaligen Schock habe ich mich zwar erholt, aber tiefe psychologische Narben sind geblieben. Und wenn ich manchmal Berlinern begegne, die Tiere spazierenführen, die wie Ratten aussehen, sich beim Näherkommen jedoch als Hunde in Miniaturausführungen entpuppen, dann überkommt mich leider der plötzliche Wunsch, diesen mikroskopischen Punkten an Leinen den Gnadenstoß zu geben. [Immer dran denken: Diese Bestien stammen vom Wolf ab! d. säzzer] Stephen Freeth

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