: Der von Autokolonnen niedergefahrene Berg
■ Berlin vor den Kommunalwahlen: eine Serie über die 23 Bezirke/ In Schöneberg gibt es seit der Vereinigung nur ein Thema: der Verkehr/ Die AL (absolute Mehrheit am Winterfeldtplatz) wird erstmals eine Bürgermeister-Kandidatin aufstellen
Vom »schönen Berg«, der vermutlich dem heutigen Bezirk und früheren Bauerndorf im Süden Berlin- Cöllns seinen Namen gab, ist nicht mehr viel zu erkennen. Im Laufe der Siedlungs- und Bebauungsgeschichte, so nehmen die Historiker an, wurde das Erdreich so oft um- und aufgewälzt, daß die kleine Erhebung neben dem Tempelhofer Berg, auf der schon in der Steinzeit Menschen gelebt haben, fast vollständig nivelliert wurde. Mit knapp 150.000 Einwohnern und einer Fläche von 12,3 Quadratkilometern zählt Schöneberg heute zu den kleinsten Bezirken in Berlin, nach Kreuzberg und Prenzlauer Berg jedoch zu den dichtbesiedeltsten Gebieten der vereinten Stadt. Wer heute nachmittags um drei auf der Hauptstraße steht, kann sich vielleicht mit viel Phantasie vorstellen, daß sich hier einst eine größere Anhebung befunden hat. Weniger Phantasie bedarf es, um sich eines der Hauptprobleme zu vergegenwärtigen: Seit der Maueröffnung erstickt der Bezirk im Verkehr, werden jeden Morgen und Nachmittag die Ost-West- und Nord-Süd-Durchfahrtsstraßen von Autokolonnen lahmgelegt. Die neuralgischen Punkte liegen in Ost-West-Richtung sowohl am Autobahnende am Sachsendamm als auch im Straßenzug Yorck-/Goeben-/Pallas-/Hohenstaufenstraße bzw. Bülowstraße. In Nord-Süd-Richtung sind es vor allem die Potsdamer/Haupt-/Rheinstraße, auf denen fast neapolitanische Verhältnisse herrschen. Somit wundert es nicht, daß sich Bezirkspolitiker aller Couleur zumindest in einem Punkt einig sind: Noch vor Bau- und Wohnungspolitik ist der Verkehr das zentrale Problem des Bezirks, das auch zum Hauptwahlkampfthema bei den bevorstehenden Kommunalwahlen erhoben wird. »Schöneberg ist eigentlich kein richtiger Problembezirk«, so der noch amtierende Bürgermeister Michael Barthel (SPD), »aber der Verkehr, das ist wirklich ein dickes Ei.«
Der Streit um die richtigen Verkehrskonzepte ist kein Novum in Schöneberg, war es doch auch zu Inselzeiten bereits ein Durchgangsbezirk. Noch Ende der 70er Jahre stritt man erbittert um den Bau einer möglichen Westtangente — die Pallas-/ Hohenstaufenstraße sollte damals als Autobahnzubringer vier- oder gar sechsspurig verbreitert werden. Ein Relikt aus dieser Zeit ist der sogenannte Sozialpalast Ecke Potsdamer/ Pallasstraße. Auch um die Schließung des Stadtrings am Sachsendamm streiten sich die Bezirkspolitiker seit Jahren. Mit der Maueröffnung und der bevorstehenden unmittelbaren Anbindung an das Regierungsviertel um den Reichstag herum stellt sich der Streit in neuer Schärfe. Zwar will nicht einmal die CDU heute mehr den Bau der damaligen Westtangente, ihr Spitzenkandidat im Wahlkampf, Gerhard Lawrentz, plädiert jedoch vehement für den Bau der sogenannten Nord-Südstraße mit unmittelbarer Anbindung an den vom Verkehrssenator präferierten Tunnel durch den Tiergarten. Dann, so glaubt die CDU, herrsche wieder freie Fahrt für moderne Großstädter, und die Potsdamer Straße sei von der Hauptlast befreit.
Um den Bezirk vom »rot-grünen Verkehrschaos« zu befreien, das u.a. auf die satte Mehrheit der SPD und AL in der Bezirksverordnetenversammlung zurückzuführen sei, möchte Lawrentz »lieber heute als morgen« die Busspur in der Hauptstraße und die Tempo-30-Zonen in der Monumenten-, Ebert- und Akazienstraße wieder aufheben. »Ein ideologischer Flop« sei das alles gewesen. Bei dem Gedanken gar, daß der SPD-Plan, die Busspur in die Potsdamer Straße zu verlängern, in die Tat umgesetzt werden könnte, befällt ihn »das nackte Grausen«. Für ein Relikt »sozialistischer Tagträumerei« hält der CDU-Mann die Vorstellung, man könne »durch Verbote und Blockaden die Menschen dazu bringen, auf ihr Auto zu verzichten«.
Doch am Streit um die Verkehrspolitik scheiden sich nicht nur die Parteien, sondern auch die Parteiflügel etwa bei der SPD. Für Michael Barthel, längjährigen Bezirksbürgermeister, ist das »ideologisierte und schlichte Denken« in der Verkehrspolitik der traditionell als links geltenden Schöneberger SPD einer der Gründe, warum er sich nicht mehr zur Wahl stellen wird. »Man soll dann aufhören, wenn es noch alle bedauern«, begründet Barthel seinen nicht unumstrittenen Schritt. Seit einigen Monaten residiert er im ehemaligen Büro der Regierenden Bürgermeister im Schöneberger Rathaus. Das Rathaus, vierzig Jahre lang Symbol für die Teilung der Stadt, wird nun schrittweise wieder zu dem, was es einst war — ein Bezirksrathaus eben. Nach 17 Jahren Politik sei es an der Zeit, etwas anderes zu machen. Seine erste Tat im politikfreien Leben werde eine Rensteig-Wanderung in Thüringen sein. Zwar managt er noch den Wahlkampf für seine Partei, »doch im Herbst ist Schluß«. Als Nachfolger geht der jetzige Baustadtrat Uwe Saager ins Rennen, der gar nichts von den Tunnelplänen der CDU hält. »Es muß endlich ein vernünftiges Verkehrskonzept für den Bereich innerhalb des S-Bahn-Rings entworfen werden, das darauf zielt, den privaten Kfz-Verkehr zu beschränken«, fordert Saager. Von sozialdemokratischer Seite soll es seiner Vorstellung nach eine »Grundaussage für eine Kooperation mit der AL« geben, obwohl er sich »längst nicht in allen Punkten mit den Grünen einig« weiß.
Die AL Schöneberg jedoch zeigt sich höchst selbstbewußt: Sie hat in der vergangenen Woche eine eigene Bürgermeister-Kandidatin gekürt. Elisabeth Ziemer, langjährige Schöneberger Bezirksverordnete und jetzt im Berliner Abgeordnetenhaus, sieht die »Chancen gar nicht schlecht«, daß die AL stärkste Fraktion werden könnte — für die großen Parteien eine Horrorvorstellung. Bei den letzten Kommunalwahlen kam sie immerhin auf 23 Prozent, in einzelnen Stimmbezirken wie etwa am Winterfeldtplatz erzielte sie sogar die absolute Mehrheit. »Für uns wird es leichter sein, unsere Wählerschaft an die Urnen zu bewegen«, hofft auch Sabine Ritter, AL-Bezirksverordnete, »die großen Parteien werden da viel größere Schwierigkeiten haben.« Eines der AL-Ziele im Wahlkampf wird sein, für ein eigenes Umweltamt im Bezirk zu kämpfen und die »Durchmischung im Bezirk, einem Bezirk, in dem gewohnt und gearbeitet wird«, zu erhalten. Eine Zusammenarbeit mit der SPD wird von grüner Seite hingegen skeptisch bewertet: Zu sehr sei sie in die Zwänge der Großen Koalition auf Senatsebene eingebunden, und immer, wenn es darauf ankomme, falle sie um — so etwa bei der bereits beschlossenen Rückübertragung von landeseigenen Wohnungen an kommunale Wohnungsbaugesellschaften. Wenn es eine Zusammenarbeit mit der SPD geben sollte, dann nur mit »so etwas wie einem kleinen Koalitionspapier«, glaubt die AL. Kordula Doerfler
Am nächsten Freitag wird die Serie mit dem Bezirk Prenzlauer Berg fortgesetzt
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