: DIE SACHE MIT DER FÜHRUNG Von Philippe André
In den letzten zwei Jahren sind mit der Aufarbeitung der allerjüngsten deutschen Vergangenheit drei Worte derart häufig ausgesprochen worden, daß man eines schon nicht mehr hören kann, ein anderes gar offiziell abgeschafft hat — und ein drittes bewußt überhört. Die ersten beiden sind klar: „Stasi“ und „Abwicklung“. Hören wir jedoch das dritte oder sprechen es gar, macht es uns ein wenig verlegen. Es erinnert an längst vergangene Diskussionen, die zwar wenig erfolgreich verlaufen waren, aber doch wenigstens weitgehend abgeschlossen schienen: „mein Führungsoffizier“. Bald jeder enttarnte Denunziant nervt jetzt mit seinem Spitzel-Führer 'rum und macht ihn zu seinem mentalen Double, wenn es um die eigene Verantwortung geht. Da ist so locker von An- oder Abschaltung der eigenen Person die Rede als wäre es um Für und Wider nächtlicher Straßenbeleuchtung in Ballungsräumen gegangen. Angedeutet werden — sicher zu Recht — auch böse Erpressungen durch „meinen Führungsoffizier“. „Die“ hatten einen offensichtlich so gut im Griff, daß manche sogenannte Täter nun in ganz neuem, fast gleißend unschuldigem Licht erscheinen. Bald schon werden wir erkennen: bis auf den Mielke waren doch alle letztlich irgendwie Serienopfer. Aber auch von brüderlichen Umarmungen wird berichtet, anläßlich des Absterbens dessen, was einmal als Sterbehilfe einer ganz anderen Sache ins Leben gerufen worden war. Ach, dieses ewige Führen-und-geführt-werden-Wollen-und-verführt-worden-Sein. Im Jahr 2045 werden wir vielleicht auf unseren Führungsroboter verweisen, der uns zu irgendeiner Schweinerei angestiftet gehabt haben wird.
Wo führt das hin, dieses Streben nach Ruhe, Führung und Unter- Ordnung? In Berlin treibt jenes altdeutsche Bedürfnis auch seltsame Blüten. Da gibt es etwa eine „FPR“ genannte Einrichtung von Hobbyführern; präzise, Hobbybullen. Denn „FPR“ meint „Freiwillige Polizeireserve“. Für alle, die den Ordnungshüter in der Seele haben. Sie wurde 1961 zur Objekt-Verteidigung gegen den „äußeren Feind“ (DDR-Betriebskampfgruppen) gegründet. Zwar griffen die drüben nie an, aber die Truppe gibt's natürlich noch heute. Rein kann eigentlich jeder. Anfang der 80er Jahre brauchte der damalige Innensenator Lummer die Blauuniformierten, um gegen den „inneren Feind“ (Hausbesetzer) vorzugehen. Nun gibt's ja schon lange keine Hausbesetzerbewegung mehr und die DDR auch nicht. Wer nun jedoch glaubt, die Stadt würde die fünf Millionen jährlich anfallender Kosten dadurch einsparen, daß man diese massierte Überflüssigkeit endlich abschafft, irrt sich. In der Regierungskoalition will man sie nicht nur nicht abschaffen, sie soll vielmehr gar „die Polizei bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Einzelfall unterstützen“, wie es im neuen Gesetzentwurf heißt. Was das für uns bedeutet, ist noch nicht raus. Vielleicht gibt man ihnen bald Knarren zur Hand. Da werden die knapp 3.000 Mitglieder aber viel Zulauf finden. All die großen und kleinen Führer von nebenan.
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