piwik no script img

Barcelona '91

■ ...Kontrastprogramm und Wettstreit mit dem Rest Spaniens

...Kontrastprogramm und Wettstreit

mit dem Rest Spaniens.

VONULRICHHAKE

Barcelona '91 — das ist ein Kartenzauber, eine Reise in die Zukunft. Vor mir liegt schon der Führer durch dieses neue Barcelona. Hier läßt sich's leben, auf Hochglanz. Mit Seite 6 flaniere ich bereits. Meine kleine Jolle liegt, gut vertäut, im neugebauten olympischen Hafen. Von dort her führt mich mein Weg zwischen die schon nicht mehr höchsten Hochhäuser Spaniens. Auch Rekorde sind vergänglich, denke ich und überlege, ob ich mich noch schnell bei der im Gebäude rechter Hand ansässigen Assekuranz versichern lasse, bevor ich im Turm gegenüber, ein 5-Sterne-Hotel übrigens, mein Zimmer für die Nacht reserviere. Doch das hat noch Zeit. Mein Auge zieht mich schon weiter. Vor mir liegt, lichtüberflutet, die neue Leichtigkeit Barcelonas, Nova Icaria, das Olympionikendorf, klare Linie zwischen Grün. Das ist Städtebau fürs 21.Jahrhundert, Bestandteil jenes fünf Kilometer langen Antlitzes am Meer, welches noch vor ein paar Jahren seine industriellen Runzeln der Welt entgegenstreckte. Umgestaltung, war das nicht auch hier ein Zauberwort? „Von Barcelona lernen heißt...“, so schießt's mir noch durch den Kopf, bevor mir die Augen zufallen und der Prospekt meinen Händen entgleitet.

Träumend durchstreife ich nun die drei anderen großen Olympiaareale: Diagonal, ein an der längsten Straße Barcelonas gelegenes Gebiet, welches, neben verschiedenen Sportarenen für Fußball, Polo, Basketball, ein großes städtebauliches Erschließungprojekt beinhaltet. Hier stehen, nach Plänen von Rafael Moneo und Manuel de Solà-Morales, Wohn-, Büro und Geschäftsflächen, die von einem zehn Hektar großen Park ergänzt werden. Im Val d'Hebron, einem zusammenhängenden Gebiet im Nordosten der Stadt, werden 1992 außer den zweitausend logierenden Journalisten auch noch die Künste der Bogenschützen und aller Wahrscheinlichkeit nach Boris Becker bewundert. Auf dem Montjuic schließlich, jener markanten Erhebung am Rande der Altstadt Barcelonas, sehe ich mich zwischen 17.000 Besuchern unter der Flächentragwerkskonstruktion des Palau Sant Jordi: 1.300 Tonnen Stahl und diaphrane, graue Keramik, entworfen von dem Japaner Arata Isozaki, wie sie nächtens über Barcelona glimmen. Gleich nebenan, im Estadi Olimpic, wird's denn '92 soweit sein. In seinem Abschiedsjahr beschenkt IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch seine Heimatstadt mit der Eröffnung der XXV. Olympiade. Katalanen sind eben heimatverbundene Menschen...

Taumelnd noch erwache ich auf meinem Balkon über den Gassen der Altstadt. Die Sonne hat ihr kurzes Gastspiel in den Gassenschluchten beendet. Mein Führer, auf die Straße gefallen, wird von einem Straßenjungen, gleich Optionsscheinen auf eine bessere Zukunft, gefleddert. Jeder bekommt seinen Teil...

Süden im Norden Norden im Süden

Barcelona '91 — das ist ein Kontrastprogramm. Die Altstadt mit ihrer enormen Bevölkerungsdichte spiegelt die Umbrüche auf ihre Weise: Unmerklicher als in den anderen Stadtteilen, die sich dem Betrachter klar als reich, verwahrlost, mondän oder arm präsentieren, hat die große, nationale Beschwörung des Jahres '92 ihre Fäden in jenen Teppich der tausend Farben gewebt, in jenes Gewirr von Gäßchen und Plätzen, Krämerläden und Straßenstrich, marmornen Einkaufstempeln und Hütchenspiel. Leben und leben lassen heißt die Maxime ihrer Bewohner. Mietverträge mit festem Mietzins, zum Teil noch aus vorfranquistischer Zeit, mit heutzutage lächerlich gering anmutenden Mieten von umgerechnet fünf oder zehn Mark führten zu der Entwicklung, daß hier alte Menschen und Horden von Kindern zum alltäglichen Straßenbild gehören, anders als in vergleichbaren Metropolen Europas. Vermieten war und ist hier häufig genug noch ein Zuschußgeschäft, und so verwundert es nicht, daß, bei aller Knappheit an Wohnraum, Wohnungen, ja ganze Häuser oft jahrzehntelang leerstanden. Über der planta baja, dem Erdgeschoß, das die wunderlichsten Geschäfte beherbergt, die allein schon eine Entdeckungsreise wert sind, beginnt häufig genug der Verfall.

Doch der Verdrängungsprozeß, der in anderen europäischen Großstädten die begehrten Innenstädte in sündhaft teure Büro- und Geschäftsviertel verwandelte, hat auch hier eingesetzt. Spekulation und eine von der Stadtverwaltung durchgeführte Entkernung stören das eingespielte Nebeneinander. Zudem begleitet eine von der europäischen Integration bestimmte härtere Gangart gegen illegale Einwanderer aus dem Maghreb diesen Prozeß, die hier, wie eine Unzahl schwärmerischer Globetrotter, eine neue Heimat gefunden haben, wenn auch zu ungleich schwereren Bedingungen. Mobile Polizeistationen in Containern und eine Unzahl von Polizisten in Uniform und Zivil überziehen neuerdings vor allem die Altstadt zum Hafen hin mit dem dichten Netz ihrer Aufmerksamkeit. Das Fiepen und Knattern ihrer Walkie-Talkies gehört zur beständigen Geräuschkulisse. Den Alteingesessenen, gewöhnt an Kleinkriminalität und drogadictos, ist dies eher Anlaß zu Spott: Sie glauben an einen vorübergehenden Spuk der Stadtverwaltung und scheinen selbst nicht sicher, ob es ihnen anders lieber wäre.

Geschimpft wird kräftig, Blockwarte werden gefordert, doch letztlich lieben sie es, wie es ist. Auch sie sind schließlich nicht sicher, ob nach jener allerorten propagierten Reise durch die Zeit noch Platz für sie im Mannschaftslogis ihres Schiffes sein wird, dem exhibitionistischen Herz Barcelonas. Zwiespältig, wie hier im kleinen, ist auch die Identität im großen. Pasqual Maragall, Barcelonas sozialistischer Bürgermeister, umschreibt dies so: „Barcelona, das ist der Süden im Norden, der Norden im Süden. Für die Nordeuropäer und die Nordamerikaner ist Barcelona eine mediterrane, südländische Stadt mit all ihren speziellen Eigenschaften: Sonne, Lebensfreude, Spontaneität und einem liebenswerten Sinn für Unordnung. Für die Mehrzahl der Spanier jedoch ist Barcelona eine Stadt des Nordens: seriös, industrialisiert arbeitsam, organisiert.“ Was in diesen Worten als Projektion erscheint, vermittelt jedoch zutiefst das Wesen Barcelonas, streitbar bietet sie sich dem Norden, mit dem, was sie dem Süden vorhält, und umgekehrt...

Barcelona, Sevilla, Madrid

Barcelona '92 — das ist eben auch jener ewige Wettstreit mit dem Rest Spaniens, insbesondere Madrid, der mit der Trias der Mammutspektakel im Jahre 1992, der Olympiade, der Weltausstellung in Sevilla und mit Madrid als Kulturhauptstadt Europas, neuen Zündstoff bekommen hat. Anders jedoch als die anderen magischen Daten der spanischen Geschichte — 1492: die Entdeckung des amerikanischen Kontinents, 1898: der Verlust Kubas als letzter amerikanischer Kolonie und die einsetzende Industrialisierung — scheint 1992 schon im Vorgriff als Beginn eines neuen Goldenen Zeitalters für Spanien ausgemacht zu sein. Europa und der mercado común sind die Fetische dieser Zukunft, 1992 — das ist die große Initiation, deren vorbereitende Riten eine Nation in Taumel versetzen. Aufs Feiern jedenfalls versteht man sich in Spanien...

Auf dem Weg zum Flughafen begegnet mir Cobi, das Olympiamaskottchen, mit hängender Zunge: „Ich träumte von '93, und in meinen Taschen war kein Geld mehr, da bin ich aufgewacht, so schrecklich war's.“ Den Sticker dazu gibt es wirklich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen