: Gesund durch Unsterblichkeit
■ Was nützt es, gesund zu sein, wenn man trotzdem stirbt?
Was nützt es, gesund zu sein, wenn man trotzdem stirbt?
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er Genesende, der seinen späteren Tod billigend in Kauf nimmt, greift zu kurz und beweist, daß er im Grunde nur halb gesund sein möchte. Dagegen gibt es eine einfache Medizin: Du mußt erstens dem Tod von und zweitens ihm nie wieder auf die Schippe springen. Daß physische Unsterblichkeit kein Privileg für Götter, sondern der Normalzustand jedes Hypergesunden sei, soll ketzerisch klingen und ist es vermutlich auch, schließlich kann jeder und jede Sterbliche die Lehrmeinungen gegen die Unsterblichkeit aus dem Effeff hersagen. Insofern muß das im IntegralVerlag, Wessobrunn, erschienene Buch von Sondra Ray Interesse wecken, welches versucht, die Argumente für die physische Unsterblichkeit nicht nur zu bündeln, sondern als Ratgeber für die optimale Gesundheit zu verkaufen. Titel: Das Paradies2Projekt. Bewußt im Körper leben, solange Sie wollen. Im amerikanischen Original: How to be chic, fabulous and live forever. Folgt man dem immortalistischen Enthusiasmus, der sich unter anderem darin äußert, daß der Verlag Telefonkarten mit Unsterblichkeitsslogans bedrucken ließ, dann wirkt schon der Gedanke an die Möglichkeit des ewigen Lebens lebensverlängernd, weil er am Glaubenssatz sägt, daß mit uns irgendwann mal Schluß, aus und zappenduster ist. Mit dieser mächtigen Hypnose haben wir nämlich unsere Körperzellen programmiert, nach einer willkürlich bemessenen Lebenszeit unsere bis dahin famose Regenerationstätigkeit auf Null zurückzunehmen. Was kecken Biologen auffiel, war, daß es eigentlich keinen Grund gibt, weswegen die perpetuierliche Selbsterneuerung der Zellen, ohne die wir ja immer noch so aussähen wie ein Säugling, überhaupt zum Stillstand kommt. Genauso denkbar wäre, daß die DNS innerhalb eines Körpers ihre Spiralen ewig weiterdreht, anstatt im Dualismus Marke „Tod und Geburt“ von einer Generation Körper zur nächsten zu hüpfen.
Gut, viele glauben, daß, auch wenn der Körper dereinst im Sarg liegt, so doch die Seele weiterleben und sich zu einer Wiedergeburt entschließen wird, etwa als Kaninchen in Australien. Aber Hand aufs vital pochende Herz: Wenn du vor der Wahl stündest, hier und jetzt, in diesem Moment, den Löffel abzugeben oder doch lieber in deinem jetzigen Körper unsterblich zu werden — was würdest du vorziehen?
„Den Tod für eine Ausgeburt verwirrten Denkens zu halten, ist indes nicht irre, es ist schlicht Rebellion gegen eine widerspruchslos hingenommene Sterblichkeit“, plädiert einer von ungefähr fünf Vorwortschreibern des Paradies 2 Projekts.
Daß die Sache einen Haken hat, dürfte klar werden, wenn wir Adam und Eva heute noch als Rentenempfänger durchzufüttern hätten, weil auch sie schon das Sterben unterlassen haben, und natürlich ihre Nachkommen ebenso. Aber sollen wir ihnen aus purer Dankbarkeit in die Gruft folgen, obwohl die biologische Notwendigkeit dazu inzwischen entfallen ist? Wollen wir uns die Unsterblichkeit wirklich verkneifen, nur weil sie im Widerspruch zum finalen Dahinscheiden unserer Ahnen steht? „Wir brauchen eigentlich nichts weiter zu tun, als damit aufzuhören, uns mit unserem Glauben an den Tod zu töten“, rät der nächste aus der Vorwortriege, und das Dumme ist, daß mit dieser Mentaltrainingsvorlage das Pulver des Buches im wesentlichen verschossen ist, und das, obwohl wir erst auf Seite24 (von insgesamt 298) angelangt sind. Der Rest des Kompendiums sackt schwer ab, so daß es eigentlich nur noch die Super-Gutmütigen im Pararadies2-Camp aushalten werden, welches bei näherem Hinsehen mit der Teilnahme an den unverfroren annoncierten Workshops der Autorin identisch zu sein scheint. Man bezieht dennoch bleibenden Gewinn aus der Lektüre: die Einsicht, daß du unsterblich bist, solange du lebst. Micky Remann
Sondra Ray: Das Paradies2 Projekt . Integral Verlag, 298 Seiten, 29 DM
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