: Licht auf dunkle Wege der Nazi-Flüchtlinge
Schachzug Menems bringt innenpolitischen Gegner zum Schweigen/ „Fluchthelfer“ Peron kassierte 60 Millionen Dollar ■ Von Gaby Weber
Montevideo (taz) — Selbst die Opposition gratulierte zu dem politischen Erfolg: Die Entscheidung des argentinischen Präsidenten Carlos Menem, die aus „Gründen der Staatsräson“ geheimgehaltenen Archive über die Einwanderung von Nazi-Flüchtlingen nach 1945 freizugeben, fand im ganzen Land größten Zuspruch. Mit seinem klugen Schachzug, der das Bild des legendären Präsidenten Peron zurechtrückt und dazu keinen Peso kostet, triumphiert Menem jedoch vor allem über innerparteiliche Kritiker.
In den eigenen Reihen muß sich der peronistische Präsident schon lange gegen den Vorwurf verteidigen, mit seiner Wirtschaftspolitik — Privatisierungen, Beschränkung des Streikrechts und die Unterordnung unter das Diktat von Weltbank und IWF — sämtliche Grundsätze Perons zu verraten.
Diesen und anderen Kritikern stopft Menem vorerst den Mund. Zufrieden grinsend spricht der Präsident in der Karikatur der linksliberalen 'Pagina 12‘ einem Reporter ins Mikro: „Ich bin befriedigt und erleichtert, daß in dieses Kapital der Geschichte diesmal kein Verwandter von mir verwickelt ist.“
Die internationale Öffentlichkeit hofft unterdessen, aus den nun zugänglichen Unterlagen der argentinischen Einwanderungsbehörde und der Ausländerpolizei mehr über den Verbleib so mancher berüchtigter Nazigröße zu erfahren. Zum Beispiel über den „Arzt“ von Auschwitz, Josef Mengele, der am 20.Mai 1949 als „Gregor Helmut“ nach Argentinien einreiste. Sechs Jahre später erhielt er mit einem polizeilichen Führungszeugnis einen Führerschein. 1956 wollte er seinen Aufenthalt unter seinem richtigen Namen legalisieren, die deutsche Botschaft in Buenos Aires beglaubigte seine Urkunden ohne Probleme. So erhielt der weltweit gesuchte „Engel des Todes“ einen Personalausweis mit der Nummer 3.940.484.
Kurze Zeit nach dem Sturz Perons, 1955, suchte Mengele in Paraguay Zuflucht, wo General Strössner herrschte. Von dort aus ging er nach Brasilien, wo 1985 seine Leiche gefunden wurde.
Daß nicht alles mit Hilfe der neuen Daten geklärt werden kann, zeigt das Schicksal von Hitlers Stellvertreter Martin Bormann. Noch immer ist ungewiß, ob Bormann im Mai 1945 in Berlin starb. Die argentinische Bundespolizei erließ zwar auf Betreiben der US-Botschaft gegen ihn einen Haftbefehl, doch sie fand nie heraus, ob Bormann je argentinischen Boden betrat. 1960 wurde ein Mann festgenommen, der sich hinterher jedoch als Nachtwächter entpuppte.
Im selben Jahr entführte der israelische Geheimdienst Adolf Eichmann aus Buenos Aires. Der frühere Chef des Judenreferats, das die Deportationen der jüdischen Bevölkerungen in ganz Europa organisierte und koordinierte, hatte zu diesem Zeitpunkt eine führende Position bei Mercedes-Benz inne. Auch die Akten zu den polizeilichen Ermittlungen über die spektakuläre Entführung befinden sich unter den freigegebenen Papieren. Eichmann wurde in Jeruvor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Argentinien, das seit 1946 von General Juan Domingo Peron beherrscht wurde, war das Land in Lateinamerika, das die meisten Nazi- Verbrecher aufnahm. Sie gelangten dorthin dank der Hilfe des Vatikans, der Tausenden von Nazis über Genua die Flucht nach Buenos Aires ermöglichte. Vom vatikanischen Flüchtlingsbüro, das Kardinal Montini — dem späteren Papst Paul VI. — unterstand, erhielten sie Identitätskarten oder gefälschte Pässe mit spanisch klingenden Pseudonymen.
Der warme Empfang, den Argentinien den Nazigrößen bereitete, erklärt sich aus der persönlichen Geschichte Perons sowie aus seinem finanziellen Nutzen. Der General war während des Faschismus Militärattaché in Rom gewesen und machte aus seiner glühenden Verehrung für Hitler und Mussolini keinen Hehl. Vielen Überlebenden der Konzentrationslager verweigerten die argentinischen Konsulate die Einreise: „Für Juden kein Eintritt nach Argentinien.“
Dies scheint für manche heute noch gültig zu sein: Als der Direktor für Lateinamerika des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Schimon Samuels, Anfang der Woche die Akten einsehen wollte, wurde er massiv bedroht. Er erhielt Morddrohungen von anonymen Anrufern, und Unbebekannte gröhlten vor der Tür seines Hotelzimmers: „Jude, aus dir machen wir Seife.“ Wie Innenminister Jose Luis Manzano am Donnerstag bestätigte, reiste Samuels daraufhin ab. Peron handelte damals freilich nicht ganz uneigennützig. Noch vor der Kapitulation hatten die Nazis riesige Geldsummen bei argentinischen Niederlassungen der deutschen Banken deponiert. Der Löwenanteil war auf das Konto der Peron-Gefährtin Eva Duarte transferiert worden. Von den über 100 Millionen Dollar, die nach dem Krieg von Schweizer und Liechtensteiner Konten nach Argentinien überwiesen wurden, gingen 60 Millionen in Perons eigene Tasche — als Gegenleistung für Gastrechte und insgesamt 7.500 neue Pässe. Das technische Know-how der neuen alten Garde kam der Industrie zugute: In Cordoba errichtete sie eine Flugzeugfabrik, außerdem leitete sie von Anfang an das Atomprogramm.
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