: Johann Kahlo Ohneland
■ Wie Hans Kresnik, Bilderkönig, einer großen Malerin das Leben ließ und ihre Werke nahm: „Frida Kahlo“
Theaterfoto:
Mann über
Frau mit Messer
Immer ein bißchen zuviel füreinander: Frida (Liliana Saldana) und ihr alter Diego (Henry Bailey) Foto: Jörg Landsberg
Gut, daß nicht auch die leibhaftige Kahlo von Kresnik ist; sie wäre längst vergessen. Dafür ist seine „Frida Kahlo“ ein wundersames Stück Tanztheater, in dem man vor lauter Kresnik die Titelheldin gar nicht groß vermissen mag, zumal sie gleich dreifach vorkommt. Jetzt murren Sie nur; solche Rätsel stellt das Stück, nicht ich.
Am 17. September 1925, lange vor der umjubelten Uraufführung samstags am Goetheplatz, beginnt in Mexiko City eine andere Geschichte: Der Bus, in dem die 18jährige Frida Kahlo fährt, stößt mit einer Straßenbahn zusammen, eine Haltestange bohrt sich in Fridas Leib; was heißt da noch surreal seither! 35 Operationen folgten bis zu ihrem Tod im Jahr 1954; in den Zwischenzeiten behalf sie sich mit Malen. In ihren Bildern aber hat sie ihren Schmerz so mächtig stumm gemacht, daß wir ihn hören.
Bloß jetzt, wo Johann Kresnik sein Licht auf sie geworfen hat, ist Frida Kahlo wie verschwunden. Ein Prachtgefunkel von 28 feingeschliffenen Szenen zerlegt unsern Suchblick; Fridas Hochzeit mit Diego Rivera, ihre Affäre mit Trotzki, köstlich, ihre Fehlgeburten, ihren Tod, wie er tanzt, Kindheitsträume, immer weiter: es kommt, wo Kresnik hinterher ist, selbst eine große Malerin nicht zum Malen. Sie, die doch den Kresnik mit ihren Bildern bewegt haben muß, wird hier, und wie, von Kresniks Bildern bewegt.
Ja, was nicht alles der alte Magus samt seinem abertüchtigen Ensemble aus der Kiste holt! Einen Trotzki, gestopft mit zerknüllten Papieren, einen Chaplin, der nie besser war, zauberhafte Tänze mit spiegelnden Büchern, lauter schöne Sachen legt er uns hin, und wir haben sogar ungewöhnlich viel Zeit, sie aufzulesen und ggf. zu Ende zu wiehern: Versuchen Sie mal, liebe Leserin, im Liegen mit dem lieben Leser einen herzhaften Paso doble zu tanzen, ohne daß sich gleich alles aufhört! Und wirklich, wie haben wir gelacht, als da von rechts hinten Paare über Paare mühsam herangewälzt kamen und ein Kopulationsgeschlurfe ohnegleichen vollführten.
Kresnik, sonst ein Kreuz- und Querschläger, zaubert hier ja überhaupt mit viel Wälzen und Drehen und Kreisen ein rauschendes Hochzeitsfest, wo sich in einem fort die Martern mit der Geduld vermählen: Frida (dargestellt je nach Lebensalter von Amy Coleman, Liliana Saldana und Susana Ibanez) schwingt sich vom Krankenlager immer wieder hinaus in den Tanz der Sehnsüchteleien da draußen, bis doch am Ende Leben und Tod einander gute Nacht sagen. Wir sehen da eine schwer verwüstliche Frau, eine Malerin, was etwas ganz anderes wäre, sehen wir nicht.
Dieser Kahlo muß deshalb selbst das Leiden ganz äußerlich bleiben. Daß es weh tut, behaupten, neben den geschmerzten Gesichtern ihrer Trinität, bloß Maschinen: Trennschleifer kreischen, ein enormes Kreissägeblatt geht um mit Geheul und amputiert; und die Lautsprecher (Musik: Kurt Schwertsik) schwemmen dann gepeinigtes Sirren aus. Oft sehn wir, nebst andern Stigmata, auch Blutflecken auf Engelskleiderchen und Puppenköpfen; Blut von der Sorte, die niemals fließt, nur eben zur Stelle ist, wo es was zu bedeuten gibt: So hißt Kresnik weithin sichtbare Zeichen und holt sie gleich wieder ein; das ist das einfache Wimpelalphabet, mit dem sein Drama untertitelt ist, ohne doch dadurch eines zu werden.
Umso rühriger treibt er stattdessen ein Geschehen um, welches gerade deshalb nicht stattfinden kann: Es dreht sich allerdings vor unsern Augen ein geradezu behavioristischer Reigen aus nichts als Reiz und Reaktion und zieht uns hinan. Nicht umsonst starren wir mit offenen Mäulern, bis uns das Wasser in den Augen zusammenläuft: So viele Einfälle blitzen auf, so weit und leer ist der Bühnenraum, so weichfarben und lichtmalerisch ist er illuminiert (Raumkonzept: Penelope Wehrli), so hin und her geht das Leben; so schlemmt sich's gut.
Die Fülle der Eindrücke ist schon ihr Preis: Kresnik hat das Treiben, um es im Takt zu halten, mittels einer extrem seriellen Grammatik in eine Unzahl von Szenen aufgereiht. Selten, daß hieraus wirkliche Bilder aufsteigen; selten, daß die zahllosen Symbole einmal ein Bündnis schließen, welches man nicht so schnell vergißt; das meiste bleibt Kresnik'sche Kombinatorik. So manche Szene hat nicht mehr zu tun als Kleinigkeiten großmächtig zu verschlüsseln: Wo etwa die ganze Gesellschaft mit Lötbrennern auf die Bühne muß, weil der Malerin ihr letztes Korsett appliziert wird, da macht Kresnik, der alles der Reihe nach illustriert, bloß eine Not aus der Tugend des Tanzes, sprachlos zu sein. Was da leichter gesagt als getanzt ist, das soll man bleiben lassen.
Was leichter übermalt als getroffen ist, auch: So flott macht man die Bildmacht einer Kahlo nicht vergessen. Manfred Dworschak
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