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Die Putschisten zündeln

■ In Algerien versucht die Junta, die soziale Revolution mit Bürgerkrieg zu stoppen

Die Putschisten zündeln In Algerien versucht die Junta, die soziale Revolution mit Bürgerkrieg zu stoppen

Mohammed Boudiaf, der alte algerische Freiheitsheld, ißt in diesen Tagen die Früchte des Zorns. 30 Jahre lang hatte er seinen Namen saubergehalten von Korruption, Folter und Plünderung. Drei Wochen nach dem Putsch der Generäle rufen die Kinder von Bab-el- Oued und Batna „Boudiaf-Mörder“. Der provisorische Staatspräsident ist der Illusion erlegen, im neuen Regime mehr zu sein als der Hampelmann General Khaled Nezzars.

Boudiaf und sein „Hohes Staatskomitee“ decken den Krieg, den die Junta gegen einen Großteil des algerischen Volkes führt. Während Algerien brennt, vermauert er sich in ein dröhnendes Schweigen. Programm: Zéro. Perspektive: Zéro. Hoffnung: Zéro. Welche Rolle dem Staatskomitee zugedacht ist, läßt sich allein schon an der Rückkehr Tadjihi Haddams — das religiöse Feigenblatt der Junta — an seinen alten Arbeitsort ermessen: Komiteemitglied Haddam gab bekannt, er wolle weiter als Rektor der großen Moschee von Paris fungieren.

Derweil zündeln die Putschisten im ganzen Land. Hunderte von Imamen und Islamistenchefs sind verhaftet, alle Freiräume zugemacht, die Presse gleichgeschaltet. In Batna provozierten Heckenschützen der Sécurité militaire fünftägige Unruhen. Algiers Straßen entluden sich am Freitag nach einem Überfall von Nezzars Fallschirmjägern auf die Moschee En-Nasr. Über eine Viertelstunde hagelten Maschinengewehrsalven über die Gläubigen. 60 bis 100 Menschen, wahrscheinlich mehr, sind letzte Woche zwischen Tebessa und Tlemcen unter den Kugeln der Truppen gefallen — oft Kinder.

Alles läuft so, als hätte der militärisch-industrielle Komplex erkannt, daß er die soziale Revolution nur abwenden kann, wenn er Algerien in eine permanente Bürgerkriegssituation stürzt. Das Programm der Junta ist allein der Machterhalt. Bizzar: Im Westen wird der Vorgang in einem merkwürdigen Umkehrschluß als Kampf gegen eine islamische Insurrektion interpretiert. Verirrungen des Prêt-à-penser.

Der Junta mag zwar die Zerschlagung der Islamischen Heilsfront (FIS) gelingen. Das freilich führt ins Nirgendwo: Ohne Islamisten — das haben selbst die amerikanischen und japanischen Gläubigerbanken Algeriens erkannt — ist weder die politische Stabilität zu erreichen, noch ein wirtschaftlicher Aufschwung. Je weiter das Regime die Repression treibt, desto schwieriger wird der historische Kompromiß. Das gilt nebenbei nicht nur für Algerien, sondern für weite Teile der arabischen Welt.

Die Tage der Junta Nezzars sind gezählt, wenn dem General nicht eine überraschende Öffnung gelingt. Ein Hintertürchen könnte der angekündigte nationale Marsch der Islamisten auf Algier am kommenden Freitag sein. Läßt Nezzar die Moslembrüder demonstrieren, wird die politische Diskussion wieder möglich. Nichts aber spricht dafür, daß die Junta diese Öffnung will. Oliver Fahrni

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