: Gegen die Mythisierung des Antifaschismus
■ Historikerkommission gibt Empfehlungen über die Neugestaltung der Mahn- und Gedenkstätten in Brandenburg/ Ausstellungen in Konzentrationslagern und anderen Nazi-Stätten müßten umfassend und differenziert dokumentieren
Berlin. Antifaschismus — das war in der DDR ein Stück Staatsreligion, und gepredigt wurde er vor allem in den Wallfahrtsorten der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten. Antifaschismus war auch die Legitimation für ein anderes Deutschland, und die Gedenkstätten sollten dies darstellen. Nach dem Ende des anderen Deutschlands rückten auch die Mahnstätten in den Blick kritischer Historiker. Abwickeln wollte man sie nicht, aber so stehen lassen auch nicht.
Vergangenen Juni berief daher der Kulturminister vom Land Brandenburg, Enderlein (SPD), eine siebenköpfige Historikerkommission, die sich über eine konzeptionelle Neugestaltung der Mahn- und Gedenkstätten in Brandenburg Gedanken machen sollte. Unter dem Vorsitz des Historikers Bernd Faulenbach hat die Kommission jetzt Empfehlungen ausgearbeitet.
Gemeinsamer Träger der Gedenkstätten
Berücksichtigt wurden dabei die Vorstellungen von Verfolgtenorganisationen, Kirchen und den Mitarbeitern der Gedenkstätten. Anfang März werden die Empfehlungen zunächst auf einem »Internationalen Colloquium« und später im Landtag erörtert.
Als gemeinsamer Träger der großen Gedenkstätten in Ravensbrück und Sachsenhausen sowie der kleineren Ausstellungen im Zuchthaus Brandenburg-Goerden und im Belower Wald schlägt die Kommission die Errichtung eine Stiftung »Brandenburgische Gedenkstätten« vor. Als Stiftung des öffentlichen Rechts soll sie vom Land unter Beteiligung des Bundes geführt werden.
Ausdrücklich plädierte die Kommission für neue Formen der Gedenkstättenarbeit, die der Tatsache Rechnung tragen, »daß heute von Zeitgenossenschaft der Besucher zur NS-Zeit überwiegend nicht mehr ausgegangen werden kann«. Die Aufgabe müsse sein, »das Geschehen am historischen Ort möglichst umfassend und differenziert zu dokumentieren«. Sie müßten zu »offenen Lernorten« werden, sagte Faulenbach, die die Defizite des »verordneten Antifaschismus« mit all den Einseitigkeiten, der ahistorischen Mythisierung des kommunistischen Widerstandes und der Rolle der Sowjetunion korrigieren. Einer Gleichsetzung von NS-Verbrechen und stalinistischen Verbrechen müsse aber entgegengetreten werden.
Im einzelnen schlägt die Kommission vor, das Terrain der Gedenkstätten in Sachsenhausen und Ravensbrück zu erweitern. Spuren und Überreste außerhalb dieser Stätten sollten unter Denkmalschutz gestellt werden. Dazu gehört in Sachsenhausen vor allem die Sicherung und Pflege des Gräberfeldes des »Speziallagers Nr.7«. Hier unterhielt das NKWD zwischen 1945 und 1950 ein Konzentrationslager, in dem wenige Nazis, dafür aber Zehntausende von Kindern, Sozialdemokraten, Konservativen, die sich gegen die Besatzungspolitik der Sowjets stellten, eingesperrt waren.
Nach Augenzeugenberichten starben hier zwischen 13.000 und 20.000 Menschen. Das sogenannten T-Gebäude, in dem die die zentrale Verwaltung des Konzentrationslagers untergebracht war und in das nach einem Beschluß vom Dezember ein Finanzamt einziehen soll, sollte von Institutionen der politischen Bildung genutzt werden. Das Haus »vertrage keine beliebige Nutzung«, betonte Faulenbach.
In Ravensbrück sei das Gelände, das heute noch von der GUS-Armee belegt ist, in die Gedenkstätte miteinzubeziehen. Darüber hinaus solle das große Gelände des ehemaligen KZ völlig frei von gewerblicher Nutzung gehalten werden. In die Schlagzeilen geriet dieses Gebiet im vergangenen Sommer durch die Proteste gegen den Bau eines Supermarktes. Der Rohbau ist inzwischen vom Land übernommen worden. Derzeit laufen Gespräche, wie ein fertiggestellter Bau von der Kommune und der Gedenkstätte gleichermaßen genutzt werden könnte. Die Kommission schlägt vor, in Ravensbrück eine Tagungs- und Begegnungsstätte mit den Arbeitsschwerpunkten Geschichte der Frauen und Jugendlichen im Nationalsozialismus einzurichten.
Außerdem sollten in die Gedenkstättenarbeit auch die frühere SS- Siedlung sowie die Reste des »Jugendschutzlagers« Uckermark aufgenommen werden. Die eigentliche Lagerausstellung sollte völlig neu erarbeitet werden. Dazu gehöre auch die Publikation von neuen Katalogen.
Umgestaltet werden müßte die kleine Ausstellung im Belower Wald. Sie sollte an den Todesmarsch der Häftlinge aus Ravensbrück im April 1945 erinnern. Der Gedenkstein im Belower Wald wurde im vergangenen Herbst mehrfach mit Hakenkreuzen beschmiert. Als völlig neues Projekt schlägt die Expertenkommission eine kleine Ausstellung im Zuchthaus Brandenburg-Goerden vor. Dargestellt werden müßte die Geschichte des Hauses und seiner Häftlinge im Dritten Reich. Anita Kugler
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