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»Ich erwarte mir gar nichts von dem Prozeß«

■ Gestern begann in Moabit der Prozeß gegen Ex-Stasi-Chef Erich Mielke in Moabit

Moabit. Gestern wurde der Prozeß gegen Erich Mielke, 84, vor dem Landgericht Berlin eröffnet. Der ex- Stasi-Chef soll 1931 zwei Polizisten ermordet haben. Die Anklageschrift der Berliner Staatsanwaltschaft von heute ist mit der aus dem Nationalsozialismus stammenden vor 60 Jahren identisch. Die taz befragte auf Einlaß wartende ZuhörerInnen.

Reiner Wucke, 47, Bäcker

Ich erwarte mir gar nichts von dem Prozeß. Der Mord an den beiden Polizisten ist zu lange her. Ich glaube, damit soll nur Mielkes Stasi-Vergangenheit verschleiert werden. Anscheinend wird darauf gehofft, daß er bald stirbt, dann muß sich die Justiz nicht mehr mit ihm auseinandersetzen — reine Verzögerungstaktik.

Werner Brand, 30, Angestellter

Mielke, Honecker und die Mauerschützen sind Opfer einer Hexenjagd auf die ehemaligen Repräsentanten der DDR. Mielke, der vor 60 Jahren gegen die Nazis gekämpft hatte, kann heute nicht von diesem Staat verurteilt werden. Das ist ein Aufgreifen des Prozesses vom Dritten Reich.

Violanda Botet, 30, Anwältin

Ich denke, dies ist ein sehr wichtiger Prozeß für Deutschland, sehr symbolisch. Er ist eine Chance, ein Zeichen zu setzen, wie mit der Vergangenheit und der Trennung von Ost und West umgegangen werden kann. Ich verstehe nur nicht, warum Mielke nicht wegen seiner Stasi-Aktivitäten vor Gericht steht.

Andreas Haar, 21, Student

Es verwundert mich, daß jetzt ein Mord aus der Weimarer Zeit, von linker Seite begangen, aufgearbeitet werden soll. Wenn es halbwegs mit rechten Dingen zugeht, dann wird es schwierig sein, Mielke den Prozeß zu machen. Es ist mir höchst verdächtig, daß seine Rolle in der DDR nicht beleuchtet wird.

Vincent, 17, Mechaniker

Ich bin nur mal zum Gucken vorbeigekommen. Aber wenn Mielke wegen zweier Polizistenmorde angeklagt ist, dann kriegt er wenigstens lebenslänglich. Mir ist letztendlich egal, weswegen er verurteilt wird. Hauptsache, es wird ihm der Prozeß gemacht und nicht immer nur den Kleinen, wie den Mauerschützen.

Inga Richter, 21, Studentin

Mord bleibt Mord, und deswegen muß Mielke bestraft werden. Allerdings hätte sensibler mit der Nazi- Anklage umgegangen werden müssen. Mielke wegen seiner Aktivitäten in der Ex-DDR zu verurteilen, halte ich für problematisch, weil wir jetzt eine ganz andere Zeit und einen ganz anderen Staat haben. Man kann darüber nicht urteilen, was unter anderen Umständen getan wurde.

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