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Rassismus Ost und West schaukeln sich hoch

Die Psychologin Birgit Rommelspacher über die Unglaubwürdigkeit der Kampagne „Ich bin ein Ausländer“, warum männliche Jugendliche als rassistische Täter prädestiniert sind und „ethnische Quotierung“ sinnvoll ist  ■ VON BERND SIEGLER

taz: Von den Plakatwänden bekunden derzeit Deutsche von Peter Maffay bis Uli Hoeness: „Ich bin ein Ausländer.“ Wie erfolgversprechend sind solche Kampagnen gegen Ausländerfeindlichkeit?

Birgit Rommelspacher: Ich finde die Kampagne wichtig und gut, insofern sie zeigt, daß Übergriffe und Ausschreitungen gegen Flüchtlinge und EinwanderInnen nicht akzeptiert werden und daß Leute aus den verschiedensten Bereichen signalisieren, wir Deutsche sind hier nicht allein auf der Welt. Diese Aktion geht allerdings ein Stück weit am Problem vorbei. Es steckt zwar sehr viel guter Wille drin, aber es ist doch sehr unglaubwürdig, wenn man so tut, als ob die Situation eines Peter Maffay vergleichbar wäre mit der Situation eines Einwanderers oder Flüchtlings. Das sind doch extrem unterschiedliche Lebenssituationen.

Die Kampagne „Ich bin ein Ausländer“ legt es nahe, sich mit den Opfern zu identifizieren. Die Gewalt und Ausschreitungen von seiten der Deutschen werden so nicht zum Thema gemacht. Man weicht der Selbstkonfrontation aus, indem man sich mit den Opfern identifiziert. Das ist ein Abwehrmechanismus, wie wir ihn auch sehr häufig in der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit finden. Die Arroganz, die Gewalt und das Großmachtdenken der Deutschen oder deren Rassismus wird dabei nicht angesprochen.

Die öffentliche Diskussion über diese Kampagne hat in letzter Zeit eine neue Wendung bekommen. 'Der Spiegel‘ prangert übereinstimmend mit rechtsextremen Publikationen den neuen „Inländerhaß“ an, der Soziologe Wilhelm Heitmeyer spricht von einer „menschenüberfordernden Fremdenfreundlichkeit“...

... Das ist natürlich Unsinn. Es geht eben nicht um Fremdenfreundlichkeit. Wir sollten den Fremden gegenüber so freundlich oder unfreundlich sein, wie wir uns selbst gegenüber auch sind, denn eine forcierte Fremdenfreundlichkeit ist immer eine Abwehr, also ein Ausdruck der Verdrängung von Fremdenfeindlichkeit. Dagegen sollten wir genau und nüchtern hinschauen, wie der Rassismus, die Ausgrenzung ethnischer Minderheiten, in unserer Gesellschaft funktioniert und wie wir dem gegensteuern können.

Trotz der Vielzahl der Übergriffe und trotz Hoyerswerda ist in Politik und Wissenschaft nur höchst selten direkt von Rassismus die Rede. Bundespräsident von Weizsäcker spricht von einer „Krise der menschlichen Verständigung“, Sozialpsychologen sprechen von „natürlicher Fremdenangst“ und „normalen Streßreaktionen“, ausgelöst durch die EinwanderInnen. Warum greift man zu solchen Erklärungsansätzen?

Schon allein der Begriff Rassismus ist bei uns tabuisiert. Das hat viel mit unserer nationalsozialistischen Vergangenheit zu tun, weil damit immer daran erinnert wird, zu was Deutsche damals fähig waren. In England und Frankreich ist das ein ganz üblicher Begriff. Es geht aber nicht nur um Verdrängung, sondern auch um eine Begriffspolitik im Sinne der Verharmlosung. Ich weiß nicht, was noch alles passieren muß, wie die Verfolgung und Bedrohung von schwarzen Deutschen und den Menschen, die nicht der Norm „deutsch“ nach Aussehen, Herkunft und Religion entsprechen, noch aussehen muß, bevor man hier von Rassismus spricht. In dieser Argumentation erkennt man auch eine Umkehrung des Problems, also daß wir eigentlich diejenigen sind, die Ängste haben, denen das Verständnis, das Mitleid und Mitgefühl gehört.

Andere argumentieren, daß es natürlich wäre, vor Fremden Angst zu haben. Angesichts unserer abendländischen Geschichte könnte man tatsächlich auch zu diesem Schluß kommen. Allerdings wird dabei meistens Fremdenangst mit Aggression gegenüber Fremden verwechselt. Die Eroberungsmentalität wird mit einer Angst vor Fremden begründet — eine bemerkenswerte Umkehrung, die wir auch heute noch ständig antreffen. Zudem darf man nicht übersehen, daß es immer und überall auch friedvolle und fremdenfreundliche Kulturen gegeben hat.

Wir müssen hingegen fragen, wen bezeichnen wir hier eigentlich als fremd? Die US-Amerikaner sind für uns keine Fremden, selbst die Japaner nicht, die übrigens schon in der Nazizeit zu „Ariern ehrenhalber“ gemacht wurden. Wir sehen also, daß unsere Definition von Fremdheit sehr stark von der Art der Beziehung zu den anderen, von den Machtverhältnissen bestimmt wird. Als befremdlich werden bei uns vor allem die Menschen empfunden, die aus armen Ländern kommen beziehungsweise solchen, die international einen geringen Status haben. Fremdheit wird so vor allem zur Konstruktion von Mächtigen gegenüber auszugrenzenden Minderheiten. Was zum Beispiel derzeit über den Islam erzählt wird oder was den Juden bisher alles angedichtet wurde, da war die soziale Phantasie ja nahezu unerschöpflich.

In dieser Konstruktion von Fremdheit begegnen wir vor allem unseren eigenen Ängsten vor Statusverlust, vor Verlust an Wohlstand, Privilegien und auch der Angst davor, daß wir unser Weltbild, unser Selbstverständnis in Frage stellen oder gar revidieren müßten, wenn wir uns tatsächlich auf einen Dialog mit anderen einlassen würden.

Wo liegen denn die tieferen Wurzeln des Rassismus begründet?

Die Geschichte des Rassismus ging immer mit einer Geschichte von Eroberung und Unterwerfung einher. Dabei geht es sowohl um die Legitimation der ökonomischen wie der ideologischen Vormachtstellung. Eine ganz zentrale Wurzel unseres Rassismus ist ja der christliche Antijudaismus, der seit 2.000 Jahren unsere Geschichte prägt. Der Anspruch des Christentums, eine allgültige Wahrheit zu verkünden, wurde empfindlich gestört durch die Weigerung der Juden, sich diesem Anspruch zu beugen. Die Juden stehen am Anfang der christlichen Geschichte, und wenn die Christen nach ihrem Ursprung suchen, steht dort immer schon der Jude — und das verzeihen sie ihm nie. Rassismus im modernen Sinn hat seine Wurzeln im Kolonialismus, weil hier die vermeintliche Minderwertigkeit von Menschen mit der Biologie, in erster Linie mit der schwarzen Hautfarbe, verknüpft wurde und dann pseudowissenschaftlich begründet.

Diese Absicherungen der ökonomischen und ideologischen Vormachtstellung sind aber eingebunden in die Herrschaftstraditionen des Patriarchats. Ein Kernstück des Patriarchats ist es ja, Frauen zum Objekt zu degradieren und sie für die Interessen und Bedürfnisse von Männern zu funktionalisieren. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß die Bilder, die westliche weiße Männer auf Frauen projiziert haben, in vielen Momenten identisch sind mit denen, die sie sich von Fremden gemacht haben. Wenn Freud zum Beispiel davon spricht, das Weib sei ein „dunkler Kontinent“, ist dieser Zusammenhang offensichtlich.

Ein Blick in die Täterstatistiken der Übergriffe reicht aus, um festzustellen, daß es sich überwiegend um männliche Jugendliche handelt. Warum ist denn diese Gruppe so prädestiniert?

Die männlichen Jugendlichen sind die Projektionsfiguren für gesellschaftliche Gewaltphantasien. Das, was viele in der Gesellschaft denken, führen die Jugendlichen aus. Es wird ihnen unbewußt angetragen, so zu handeln. Die Jugend ist eine Zeit, in der den Heranwachsenden Regel- und Normverletzungen in einem gewissen Grad zugestanden werden. Daß es gerade die männlichen sind, ist auch klar, da bei ihnen ein größeres Maß an Aggressionen toleriert, wenn nicht gar erwartet oder erwünscht wird. Deshalb eignen sie sich als Projektionsfiguren.

In der Diskussion um die Ursachen des Ausbruchs rassistischer Gewalt wird immer angeführt, die Jugendlichen wären desorientiert, arbeitslos, hätten Zukunftsängste, soziale Milieus würden sich auflösen...

Die empirischen Untersuchungen zeigen, daß es sich bei den Tätern nicht in erster Linie um Jugendliche handelt, die besonders sozialen Mißständen ausgesetzt sind. Die Wirklichkeit widerspricht diesen Thesen. Das heißt natürlich nicht, daß diese Jugendlichen keine Probleme hätten. Was ich an dieser Diskussion aber so fatal finde, ist der Automatismus, der unterstellt wird, als ob Frustrationen immer zwangsläufig in Aggressionen Schwächeren gegenüber umgesetzt werden müßten. Das ist einfach falsch. In der Sozialpsychologie ist es längst erwiesen, daß die Frustrations-Aggressions-Hypothese als Automatismus nicht stimmt, sondern daß es immer der sogenannten Hinweisreize bedarf, um dem Frustrierten unbewußt oder bewußt zu signalisieren, daß Aggression als „Lösung“ gewünscht oder erwartet wird. Das öffentliche gesellschaftliche Klima, die Hetze in den Zeitungen, das Fehlen eines positiven Konzepts für den Umgang mit den Asylsuchenden und EinwanderInnen, das sind alles solche Hinweisreize. Die vermitteln dem Jugendlichen mehr oder weniger unbewußt, ihr könnt oder ihr solltet so handeln.

Übergriffe gibt es ja auch in anderen europäischen Ländern. Ist Rassismus ein abendländisches Problem? Gibt es daran etwas spezifisch Deutsches?

Es ist natürlich kein rein deutsches Phänomen. Der Rassismus, die Abwehr von EinwanderInnen und Flüchtlingen und damit von Armut, ist ein Phänomen aller entwickelten westlichen Industrienationen. Jedes Land hat trotzdem seine spezifische Geschichte. Frankreich zum Beispiel ist ganz anders von seiner Kolonialgeschichte geprägt als Deutschland. Unsere Geschichte ist viel entscheidender von Antisemitismus und vom Antislawismus bestimmt.

Wenn man von spezifisch deutschen Faktoren redet, muß man vom Nationalsozialismus sprechen. Dieser wirkt in den heutigen Rassismus insofern hinein, als die Möglichkeit der totalen Vernichtung und Entmenschlichung immer präsent ist. Die Deutschen haben mehr Angst vor den Deutschen, also vor sich selbst, als in anderen Ländern die Menschen voreinander. Die Vergangenheit wirkt in die Gegenwart hinein und je mehr sie verdrängt wird, desto unheimlicher wird sie.

Wie sehr die Vergangenheit bei uns präsent ist, sieht man ja daran, daß es kaum jemanden gibt, der souverän von sich sagt, ich bin Deutsche/r. Entweder finden wir eine starke Abwehr, nach dem Motto „Deutschland zum Kotzen“, wie kürzlich Jutta Ditfurth schrieb. Oder wir finden eine übersteigerte Selbstversicherung im Sinne von „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“, das immer etwas Trotziges und Aggressives hat. Nach der Vereinigung ist dieses verkrampfte Selbstverständnis mächtig in Bewegung geraten, und das hat meines Erachtens auch dazu geführt, daß die Übergriffe sich jetzt so brutal und offen Bahn brechen konnten.

Inwiefern?

Auch vor der Vereinigung hat es Rechtsextremisten und Übergriffe gegeben, in West und in Ost. Sie waren aber nicht so brutal und fanden auch nicht diese breite Zustimmung in der Bevölkerung. Allerdings haben diese Erscheinungen in Ost und West unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche Ursachen: In Westdeutschland brachte die Vereinigung einen enormen Auftrieb von Großmachtdenken. Unser Weg, wirtschaftlich und politisch gesehen, erwies sich als der bessere. Das löste einen starken narzißtischen Schub aus, der nun wieder die negativen Anteile des Deutschseins verdrängen helfen soll.

Auf der anderen Seite, im Osten, steht der ganze Zusammenbruch des Systems, der Glaubwürdigkeitsverlust der älteren Generation und der ganzen politischen Kaste. In einer solchen Situation der Desorientierung liegt es nahe, sich mit einer so mystischen Stärke wie dem Deutschsein zu identifizieren. Insofern ist der Rassismus hier aus einer Position der Schwäche heraus zu verstehen, im Gegensatz zum Westen. Diese gegensätzliche Situation im vereinten Deutschland hat jedoch zu den selben Erscheinungsformen geführt, die sich jetzt gegenseitig hochschaukeln.

Als akute Maßnahmen gegen die zunehmenden rassistischen Ausschreitungen werden jetzt Gelder für den Aufbau oder Erhalt von Jugendklubs und für ABM- Stellen für Sozialarbeiter losgeeist. Es wird also versucht, das Problem sozialpädagogisch anzugehen. Glauben Sie, das Problem ist so in den Griff zu bekommen?

Natürlich muß man auch sozialpädagogisch arbeiten. Ich bin keineswegs gegen eine Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen, das wäre ja sonst eine Form von Ausgrenzung und eine Kapitulation vor ihnen. Ich finde es aber sehr problematisch, daß über diese ganze Konzentration auf rechtsextreme Jugendliche die Arbeit mit den eigentlichen Opfern, mit den Flüchtlingen und EinwanderInnen, vergessen wird. Alle gesellschaftliche Sympathie, Mitleid und sozialpädagogische Energie wird auf die deutschen Jugendlichen konzentriert. Das ist eine implizite Parteinahme für sie und eine sekundäre, nicht bewußte Verfestigung vorhandener rassistischer Strukturen. Das ist ganz fatal an dieser ganzen Strategie, denn wenn wir die Situation tatsächlich ändern wollen, müssen wir den ethnischen Minderheiten sehr viel mehr Möglichkeiten schaffen, daß sie zu Wort kommen, daß sie gesellschaftlich präsent werden. Da wären unter anderem sozialpädagogische Maßnahmen auch ein Weg. Es wären dringend Gelder nötig, etwa für Beratungsstellen für Flüchtlinge. Es müßten viel mehr Unterstützungen für Bildungs- und Fördermaßnahmen für ethnische Minderheiten bereitgestellt werden. Doch es gibt dann Konkurrenzen ums Geld, und hier sind die Minderheiten natürlich wieder in der schwächeren Position.

Wie könnte denn eine solche antirassistische Arbeit aussehen?

Es geht um eine generelle Sensibilisierung für die bewußten und unbewußten Ausgrenzungsmechanismen, mit denen ethnische Minderheiten von relevanten politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Positionen ferngehalten werden. Die ethnische Quotierung halte ich hierbei für eine ganz zentrale Sache. Ich sehe an unserer Hochschule, daß von den ProfessorInnen keineR einer ethnischen Minderheit angehört, obwohl wir nach den Numerus-clausus-Bestimmungen acht Prozent nichtdeutsche Studierende haben. So sieht es auch an anderen Hochschulen aus, aber auch in der Politik, Wirtschaft und in den Medien. Im übrigen sind, soviel ich weiß, auch alle Ausländerbeauftragten weiße Deutsche. Das ist, als wenn die Frauenbeauftragten Männer wären. Das ist doch absurd.

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