piwik no script img

Ist Senator Roloff-Momin lebensmüde?

■ Indizien weisen auf akute Suizidgefahr/ taz startet Rettungsaktion

Schon der Klappentext auf der großformatigen Einladungskarte hätte mich stutzig machen sollen: »Der Senator für kulturelle Angelegenheiten Ulrich Roloff-Momin begegnet Junger Kunst in seinen Arbeitsräumen«. Der Senator eröffnet keine Vernissage, er stellt keine Künstlerin dem interessierten Publikum vor, nein, er begegnet Junger Kunst. Oder sie ihm. So was kann doch gar nicht gutgehen, so eine Begegnung, denken Sie nur an die Begegnung mit der dritten Art — einfach gruselig. Darüber prangt drohend: »KUNST-ZU-KUNFT

ZU-KUNST-KUNFT

ZU-KUNFT-KUNST.

Der Texter hat (absichtlich?) eine Zeile vergessen:

KUNST-KUNFT-ZU.

Um 14 Uhr erscheint Roloff-Momin, ich weiche einen Schritt zurück; der Mann trägt einen schwarzen Anzug. Langsam dämmert mir, das dies keine normale Reportage wird. »Ich muß nur noch meine Beerdigungskrawatte abbinden«, lacht er, »ich war bei Martin Held.« War er das wirklich? Ich denke, Martin Held ist tot. Ich bin langsam auf alles vorbereitet. Obwohl zwei Fäßlein Wein auf Entleerung warten, trinke ich Mineralwasser. Ich weiß, dies ist ein wichtiger Tag, ich darf nichts verpassen.

Roloff-Momins Arbeitsraum ist freundlich eingerichtet: der Teppich hellrosa, der Schreibtisch aufgeräumt, unter der Decke lange Neonröhren — kein Schnickschnack lenkt ab von dem harten Tageswerk eines Senators. Dann sehe ich zwei Bilder, die Hauptwerke der Vernissage, und ich bin mir langsam sicher, daß der Mann nicht mehr leben will. »der Schlaf« heißt das eine Gemälde. Ein dunkelblaues, zerfließendes Rechteck, darüber schwarze Todesahnung, daneben ein Blutfleck. Die einzige Hoffnung, schmale weiße Linien, werden aus dem Bild gedrängt. Das Ende.

Das zweite Bild »Verwandlung« beschreibt die Wiederauferstehung; aus einem Morast schwarzer, blutroter und dunkelvioletter Farben steigen drei längliche Gebilde nach oben (Amöben? Sperma?). Sie erwartet eine bessere Zukunft, Licht, Sonne, Freiheit. Die Künstlerin Bettina Schilling mag sich nicht zu den Bildern äußern. Natürlich nicht. Schwarz in Schwarz gekleidet, steht sie vor dem Senator. Ob sie wohl die Gedanken des Senators errät? Künstler sind ja sehr sensibel. Bettina Schilling hat sich eine geheimnisvolle kleine schwarze Handtasche eng an den Leib gebunden — was da wohl drin ist? Wir werden es nie erfahren.

Der Pressereferent des Senators erscheint. Endlich ein Mann, der so etwas wie Lebensfreude ausstrahlt. Über einem kariertem Hemd, dessen obere Knöpfe geöffnet sind, trägt er eine ärmellose Weste. »Haben Sie schon gelesen«, fragt er in die Runde, »die taz hat die Ausstellung angekündigt. Natürlich in ihrer hämischen Art.« Ist das der Grund, Herr Roloff- Momin, daß sie aus dem Leben scheiden wollen? Wegen zwei kleiner Notizen im Kurzmelder vom Montag? Weil wir geschrieben haben, daß Sie in der letzten Silvesternacht 336.000 Mark für Speis und Trank ausgaben? Und das Sie nun sparen, indem sie Künstlern ihre Arbeitsräume zur Verfügung stellen, anstatt ihnen teure Galerieräume zu finanzieren? Dochdoch, langsam bekommt alles einen Sinn.

Ich schaue mich um: Wo ist das kalte Buffet? Ich sehe nur kalte Teller mit allerlei Brotsorten. Trockenes Brot für den Senator für kulturelle Angelegenheiten! Ich schäme mich für die Kurzmeldung. Roloff-Momin nippt an einem Glas Wasser (!), in seiner linken Hand entdecke ich ein Mohnbrötchen. Unbelegt. Ein trockenes, unbelegtes Mohnbrötchen. Schande auf den Kurzmelder! Ich halte es an diesem Ort nicht mehr aus. Die taz hat das Leben eines wackeren Senators vernichtet. Nicht einen Schluck Wein habe ich dem Mann weggetrunken — er soll in seinem letzten Augenblick nicht alleine sein.

Doch was hat er vor? Wie will er seinem Leben ein Ende setzen? Eine Kugel? Ein Strick? Am Ausgang wird mir die ganze schreckliche Wahrheit entgegengeschleudert. An der Tür hängt ein stiller Todesbote, ein einziger Schrei nach dem Ende. Der Senator will bei lebendigem Leibe ersticken und verbrennen. Die Notausgänge sind verschlossen zu halten, damit keine Rettung möglich ist. Wir haben einen tapferen, entschlossenen Senator, der unbeirrbar an seinem Feuergrab schaufelt. Doch die taz kann und will die Verantwortung für seinen Tod nicht auf sich nehmen! Rettet Ulrich Roloff- Momin! Schreiben Sie ihm! Besuchen Sie ihn! Rufen Sie an! Sprechen Sie dem Senator Mut zu — noch ist es nicht zu spät! Bei allen politischen Differenzen — Ulli, wir lieben Dich! Werner

An den Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, Europa-Center W-1000 Berlin 30, Tel.: 030-21233204/05, Fax: 030-2123-3206/88.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen