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■ Sekte oder nicht?

Was eine Sekte ist, wissen selbst die ExpertInnen in Kirche und Staat heutzutage nicht mehr so genau. Das Aufkommen der „neuen religiösen Bewegungen“ in den 70er und 80er Jahren hat ihnen die Definition schwer gemacht. Vorher meinte „Sekte“ (nach dem lateinischen Wort secare, abschneiden) ganz einfach die Abspaltung von Teilen einer Gemeinschaft. Klassischerweise waren damit Gruppen gemeint, die die großen Kirchen verließen oder sich in deren Schoß mehr Selbständigkeit verschafften. Nachher gab es zahlreiche neue Organisationen, die eher auf dem Nährboden verschiedener Jugendbewegungen wuchsen. Hinzu kommt, daß weder protestantische noch katholische Theologen die kleinen religiösen Gruppen mit aggressiven Tönen vergrätzen wollen.

Der Begriff Sekte, so Werner Thiede von der „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ in Stuttgart, sei „negativ vorgeprägt“ und wirke wie ein „Instrument der Intoleranz“. Auch sein Kollege Baer von der „Katholischen Sozial-Ethischen Arbeitsstelle“ in Hamm hält den Begriff für „äußerst fragwürdig“. Statt dessen schlagen Theologen vor, von „neuen religiösen Bewegungen“, von „religiösen Gemeinschaften“, „Sondergemeinschaften“ oder gar „problematischen religiösen Gruppierungen“ zu sprechen.

Kein Wunder, daß angesichts dieser Schwammigkeiten auch Religiöse ins Schlingern kommen, wenn es darum geht, das katholische Opus Dei einzuordnen. Das Werk sei zwar offiziell anerkannt, aber auch in der Kirche umstritten, drückt sich der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen in der Diözese Berlin, Klaus Funke, ganz vorsichtig aus. Allerdings, so gibt der katholische Geistliche zu bedenken, „dürfen wir bestimmte Merkmale, die wir bei Sekten kritisieren, selber nicht in eigenen Gruppen praktizieren“. Aber es sei halt schwierig, im eigenen Verein rumzukritisieren. Als „Sekte“ wolle er das Opus Dei nicht bezeichnen, sagt der Referent der „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“, Thiede. Aber „sektiererische Züge“ habe es schon.

Zur Orientierung im Religions-Dschungel hat die „Evangelische Zentralstelle“ eine Liste „sektiererischer Merkmale“ aufgestellt. Dazu gehören autoritäre Leitungsstrukturen, ein exklusives und elitäres Selbstbewußtsein, extreme Glaubenspraktiken, Kommunikationserschwernisse nach außen, ein stark eingeengter Horizont der Mitglieder, Weltfremdheit und Fanatismus.

Orientierungshilfe gibt auch Monika Schipmann, beim Berliner Senat zuständig für neue religiöse Bewegungen. Sie gibt im Auftrag des Abgeordnetenhauses eine mehrere hundert Seiten starke Broschüre heraus, die neue religiöse Gruppen vorstellt und, falls nötig, auch vor ihnen warnt. Das Opus Dei ist in der Broschüre nur deshalb nicht aufgeführt, weil es in Berlin kaum bekannt ist, was wiederum an seiner geheimen Struktur liegen mag, wie Schipmann zu bedenken gibt. Aber Schipmann zögert nicht, das Opus Dei eine Sekte „per definitionem“ zu nennen. Und sollte das Opus Dei in der Haupstadt stärker in Erscheinung treten, würde sie es auch in ihre Info- Schrift aufnehmen. Schließlich habe es die nötigen „strukturellen Elemente, den Absolutheitsanspruch, die rigide Gruppenstruktur und den Totalitätsanspruch“. dora