: Seltsam, seltsam
■ Hilka Nordhausens subversive Prosa
Eines der seltsamsten Prosabücher des letzten Jahres scheint ziemlich unbemerkt an den Lesern vorbeizurauschen: Hilka Nordhausens Melonen für Bagdad wurden bisher konsequent ignoriert, einzig Diedrich Diederichsen machte den wachen Teil der Subkulturen in 'Spex‘ darauf aufmerksam. Erschienen in einem winzigen Verlag, wirkt das Buch eher wie eine konspirative Wohnung der Texte, als als Ort der Veröffentlichung. Diese Position am Rand, quasi unsichtbar, ist Hilka Nordhausens Prosa völlig angemessen. Ihre Geschichten fügen sich nicht in die Konfektionsgrößen des Feuilletons, dem dumpfen Ignorieren dieses wundersamen Buches antwortet seine eigene Bewegung des Sich-Entziehens. Diese Haltung macht seine Faszinationskraft aus.
Hilka Nordhausens Prosa ist von größter Beweglichkeit, vollkommen gelöst. Die Fassade der offiziellen Realität wird von ihr quasi selbstverständlich zersetzt, sie dient lediglich dazu, sich mit einer schnellen Bewegung von ihr abzustoßen. Die Wirklichkeitspartikel, die durch diese Prosa geistern, werden zum reinen Material, das neu strukturiert, zusammengefügt und auseinandergerissen wird, um eine eigene Wirklichkeit herzustellen. Was entsteht, ist eine äußerst schräge Angelegenheit: Ständig verliert man den Halt, Wirklichkeiten und Identitäten kippen permanent, entgleiten dem Koordinatensystem des Verstehens. Die Figuren dieser Prosa betreiben merkwürdigste und vollkommen undurchsichtige Manöver, um den Festlegungen zu entgehen, die wie ein Steckbrief die Persönlichkeit fixieren wollen. Zwischen einer Landschaft der toten Briefkästen und mißtrauischen Blicken bewegen sich Scharen von obskuren Agenten, der Normalzustand der Figuren ist das Untertauchen, ihre Orientierungshilfen sind verschlüsselte Botschaften und nicht zu knackende Codes. Figuren und der Gang der Ereignisse bevorzugen schnelle, abrupte und vor allem unvorhersehbare Manöver. Es entstehen verschlungene Labyrinthe, in denen sich der Leser verliert, der Gang der Lektüre wird torkelnd und tastend, ein Gelände ohne die geringsten Sicherheiten, kein Boden, der nicht nach wenigen Schritten einbricht. Zwischen abgedrehtem Drogen-Science-Fiction und einem geschlossenen paranoiden Wahnsystem oszillierend, entsteht ein merkwürdig faszinierendes Bild der Welt: von großer Anziehung und sich ständig entziehend, gleichzeitig unabweisbar und irritierend. Hilka Nordhausens Texte nehmen mit der nicht faßbaren Bedrohung auch die Gegenstrategien in den Blick. Dabei vermischen sich die schrillen Elemente des Spionagethrillers mit dem Beharren auf der eigenen Wahrnehmung und der Kunst, den Diskursen der Macht weniger etwas entgegenzusetzen als sich ihnen zu entziehen, sie zu unterlaufen, nicht berechenbar zu sein. Ein Projekt der Identität, das als eine von vielen Möglichkeiten auftaucht und zerplatzt, nicht realer oder irrealer als die Gewaltphantasien oder die kurzen zynisch-nüchternen Blicke auf sexuelle Karambolagen: „Sobald ich meinen Apfelsaft ausgetrunken habe, gehe ich wieder in den Nieselregen. Schade, daß man nicht mehr so einfach herumhuren kann. Liegt es an der Nüchternheit, oder daran, daß sie alle so gleich aussehen, die Großstädter?“ Neben solchen lakonischen Sätzen stehen grelle pornographische Einlagen, neben vertrackten Grübeleien stürzt man plötzlich in die prächtigsten Horrorszenarien: „Schweratmend liege ich an einen Leichnam gefesselt in der Wüste. Große Ameisen fressen erst ihn und dann mich bei lebendigem Leibe auf...“ Durch diese Vermischung, Durchdringung der Genres verwendet der Text selbst Strategien des Sich-Entziehens, er bleibt ungreifbar wie die sich in ihm bewegenden Figuren. Das wird verstärkt durch eine in den Text montierte Reihe von 236 Fotos, private, zufällig gefundene, alltägliche. Der Lust an Montage und Assoziation folgend, ist aus dem Buch eine Performance entstanden: Während über drei Monitore simultan einige hundert Dias projiziert werden, liest Hilka Nordhausen einige ihrer Texte, die sich als Elemente einer Collage im Kopf der Zuschauer bewegen. Die Performance wird unter anderem im Rahmenprogramm der diesjährigen documenta aufgeführt werden.
Mit ihrem Schreiben knüpft Hilka Nordhausen an ihre früheren Projekte des Unterlaufens offizieller Diskurse an: In den siebziger Jahren, als Betroffenheitsarien Gedichtbände füllten, betrieb sie mit ihrer Hamburger „Buchhandlung Welt“ die energische Störung der offiziellen und alternativen Gemütlichkeit und unternahm mit wenigen anderen (Jürgen Ploog, Kiev Stingl und Jörg Burkhardt zum Beispiel) Streifzüge durch die härteren Bereiche des Undergrounds zwischen Beat und Cut-Up, einem literarischen Vorposten des Punk. Während ein Großteil der deutschen Autoren dieser Avantgarde in der Versenkung verschwunden ist oder, wie der Musterschüler des literarischen Punks, Rainald Goetz, über das Älterwerden und seine verheerenden Folgen für das Schreiben klagt, scheint Hilka Nordhausen seit zwanzig Jahren mit wachsender Kraft entschlossen, sich der bundesrepublikanischen Wirklichkeit mit literarischen Mitteln zu entziehen. Peter Laudenbach
Hilka Nordhausen: Melonen für Bagdad. Verlag Peter Engstler (Oberwaldbehrungen 13, 8745 Ostheim/Rhön), 124Seiten, 29,80DM.
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