: SHORT STORIES FROM AMERICA
■ Wie AbtreibungsgegnerInnen die amerikanische Wirtschaft retten könnten
Ich sags nicht gerne, aber all das bringt ja nichts. All diese wohldurchdachten Artikel, wie die USA ihre Wirtschaft in Gang bringen könnten, sind nichts als schwarze Farbe auf toten Bäumen, ohne Sinn und Zweck. Nicht daß die Vorschläge, die seit Bushs Japan-Reise aus jeder Zeitung, bei jeder Talkshow hilfsbereit in die Öffentlichkeit gesetzt werden, immer schlecht wären. Viele waren sogar großartig.
James Bovard, der Autor des Buches Der Preisbindungs-Betrug, machte sehr einsichtig darauf aufmerksam, daß in zwei amerikanischen Autozeitschriften die Liste mit den zehn besten Autos nur Wagen aus Japan oder Deutschland aufführt. Zehn Jahre protektionistische Autopolitik haben in den Vereinigten Staaten eine künstliche Autoknappheit geschaffen, wodurch die Kosten eines neuen Wagens von 1980 bis 1989 um 33Prozent gestiegen sind. Bovard kam zu dem Schluß, die Antwort auf Detroits Probleme bestehe darin, kostengünstiger einen besseren Wagen zu bauen. So weit, so gut.
Damit dieser bessere Wagen zustandekommt, empfahl Chalmers Johnson, Professor für politische Ökonomie an der University of California, Steuernachlässe, falls zur gleichen Zeit neue Forschungsinvestitionen getätigt würden. Er schlug auch vor, die Gehälter der amerikanischen Spitzenmanager zu kürzen. Schließlich empfahl er den USA, was schon der eingefleischte Kapitalist Adam Smith Regierungen in einer Marktwirtschaft gepredigt hatte: Sie sollten genug Steuern eintreiben, damit sie die Arbeitskräfte ausbilden, eine Infrastruktur bauen und unterhalten und in neue Technologien investieren könnten. So weit ebenfalls gut. Wegen dieser Art zu denken glauben Tschechen und Polen an Amerika.
Richard Preston, der Autor von American Steel, unterstützte Johnsons Vorschläge mit Beispielen, wie Firmen in neue Technologien investierten und dabei Gewinne erzielten. Während die großen Stahlfirmen wie USX Corporation vor Stahlimporten geschützt werden wollen, haben kleine Stahlfirmen ihre Umsätze hier und im Ausland erhöht, weil sie ein besseres Produkt günstiger herstellen. Birmingham Steel zum Beispiel verkauft 20Prozent seiner Produktion nach Japan, Taiwan, Südkorea und Mexiko. Mit neuen Maschinen braucht New Jersey Steel, ein Hersteller von Stahlbetonbewehrungen, eine Arbeitsstunde pro Tonne gegenüber drei in Japan. Die Nucor Corporation mit ihrer brandneuen Maschinerie stellt Stahlblech viermal so schnell her wie ein japanisches Stahlwerk, mit einer fünfmal höheren Arbeitsproduktivität.
Das sind vernünftige Beispiele, denen der Rest unseres Landes folgen sollte, aber nicht folgen wird. Ein paar Beispiele mögen zeigen, woran das liegt.
Gestern kaufte ich mir in Manhattan eine Münze für eine U-Bahn und wartete auf den Lokalzug. Es kam aber keiner, obwohl mehrere Expreßzüge durchfuhren. Nach sehr langer Zeit — der Bahnsteig wurde immer voller — fragte ich den Polizisten neben dem Münzschalter, ob es mit den Lokalzügen Schwierigkeiten gebe. Er antwortete, die Lokalzüge führen nicht wegen eines Problems mit der Elektrizität. Er wußte es; der Mann am Schalter wußte es auch und verkaufte trotzdem in der Stoßzeit weiterhin Münzen an Hunderte Passagiere, damit sie direkt vor seiner Nase auf einem Bahnsteig herumstehen konnten, der nicht in Betrieb war — ohne daß er den Lautsprecher oder die Tafel benutzt hätte, die die New Yorker U-Bahn zur Information der Passagiere in solchen Fällen angebracht hat. Ich war kein bißchen frustriert.
Mit wie ich glaube sehr sanfter Stimme erwähnte ich gegenüber dem Polizisten, in der dicht gedrängten Menge auf dem Bahnsteig wisse niemand, daß kein Zug kommen würde. Und er antwortete: „Oh.“ Ortsfremde glauben, die New Yorker kauften Revolver, um Sekretärinnen aus Staten Island in der U-Bahn die Halskette zu klauen. Das ist nicht der Grund. Sie kaufen Revolver für solche Augenblicke. Ich trat zurück und brütete Rache.
Vergessen wir also die Konkurrenz mit den Japanern. Siehe Adam Smith, weiter oben: Ausbildung der Arbeitskräfte.
Dies ist nicht der beste Zeitpunkt, um so etwas zu schreiben, wo doch gerade Yoshio Sakarauchi, der Sprecher des japanischen Unterhauses, öffentlich gesagt hat, Amerika könne auf dem Weltmarkt nicht mithalten, weil seine Arbeiter „faul“ seien und ein Drittel von ihnen „noch nicht einmal lesen kann“. Ich bin nicht so patriotisch wie die Stadtverwaltung von Los Angeles. In Reaktion auf Herrn Sakarauchis Bemerkungen kündigte Los Angeles der Sumitomo Corporation, die ein Nahverkehrssystem bauen sollte, einen Auftrag über 122 Millionen Dollar. Macht nichts. Siehe oben: Ich kaufte mir eine Münze für eine U-Bahn in Manhattan...
Letzte Woche protestierten auch Arbeiter von den Ford-Montagewerken bei Detroit gegen die Äußerungen von Herrn Sakarauchi. Auf dem handgeschriebenen Schild eines Arbeiters stand: „Japan sagt ihr faul/Keine Importe aus Japan“. Siehe oben, Herr Sakarauchi — sowie Adam Smith.
Es gibt noch ein Problem, mit dem Amerika nicht fertig wird: die Abtreibung. Mit seinem Beschluß aus der letzten Woche, das Abtreibungsgesetz Pennsylvanias zu überprüfen, wird der Oberste Gerichtshof darüber entscheiden, ob ein US-Bundesstaat das Recht hat, bei Minderjährigen die Zustimmung der Eltern zur Abtreibung zu verlangen, ob Frauen, nachdem sie wegen einer Abtreibung zu einem Arzt oder in eine Klinik gegangen sind, erst 24 Stunden warten müssen, ob schwangere Frauen verpflichtet werden dürfen, Filme über die Entwicklung von Embryos und Alternativen zur Abtreibung anzuschauen, und ob verheiratete Frauen ihren Ehemann von ihrer Entscheidung zur Abtreibung informieren müssen.
In einem Land, in dem die Fahrkartenverkäufer die Fahrgäste nicht uninformiert auf verspätete Züge warten lassen, wäre wohl auch klar, daß es die Lösung für das Abtreibungsproblem längst gibt: Implantationen. Mit der neuen Föten-Implantations-Technologie können Frauen, die gegen die Abtreibung sind, die Embryos aufnehmen, mit denen andere Frauen sich nicht abfinden können. Sie können dann die Kinder austragen und aufziehen, deren Leben ihnen so am Herzen liegt. Keine akademischen Diskussionen mehr über den Zeitpunkt des Beginns des Lebens, keine politischen Streitereien mehr.
Bei einer neueren schwedischen Untersuchung, bei der 120 Kinder zwanzig Jahre lang beobachtet wurden, nachdem ihren Müttern die Abtreibung verboten worden war, zeigte sich, daß die Jugendlichen häufiger psychisch gestört waren, Alkoholiker waren oder kriminelles Verhalten an den Tag legten als in der Bevölkerung allgemein. Auch die Mütter waren mit größerer Wahrscheinlichkeit Alkoholikerinnen oder litten unter Depressionen. Mit Föten-Implantationen läßt sich das alles aus der Welt schaffen.
Wenn man bedenkt, wieviele Frauen eine Abtreibung brauchen, dann ist auch klar, daß Abtreibungsgegnerinnen ihre Dienste mehr als einmal anbieten müssen. Da sie ja dem Leben an sich verpflichtet sind, dürfte die Einrichtung eines ständigen Dienstes keine besonderen Probleme bieten.
Männliche Abtreibungsgegner werden sich natürlich durch diese Lösung benachteiligt fühlen, aber es gibt einen Weg, wie auch sie ihre Verpflichtung gegenüber dem Leben unter Beweis stellen können: Kinderpflege — bei Kindern, die ihren Frauen implantiert werden, oder bei Kindern, die sie selbst adoptieren. Die Hälfte seiner Zeit sollte ein Kind mit seiner Vaterfigur verbringen. Männliche Abtreibungsgegner, die dann keine Abtreibungskliniken mehr in die Luft jagen müssen, werden sich fragen, was sie mit der so gewonnenen Zeit anfangen können. Ich weiß, daß sie meinen Vorschlag begeistert begrüßen werden.
Leider bleiben ihnen nach wie vor die neun Monate der Schwangerschaft versagt, was ihnen, wie ich höre, tiefen Kummer bereitet. Deshalb setzen sich männliche Abtreibungsgegner so vehement für die Entwicklung einer Gebärmutter für Männer ein. Diese Erfindung wird nicht nur die Abtreibungsfrage lösen, sondern auch die amerikanische Wirtschaft retten. Denn das gab es bei den Japanern noch nicht — jedenfalls noch nicht letzte Woche.
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