: Auf dem Horn eines Stiers
Zum Filmforum Israelisches Kino in Arnoldshain ■ Von Mariam Niroumand
Die hitzigen Diskussionen zum Jahrestag des Golfkriegs, über die Ausstellung Jüdische Lebenswelten oder den Film Hitlerjunge Salomon haben gezeigt, daß das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen sich nach wie vor in einem prekären Schwebezustand befindet, der jederzeit in Funkstille oder Schlimmeres auszuschlagen droht. Dabei geht es nicht zuletzt um das Problem der medialen, musealen oder kinematographischen Repräsentation: Wessen Tote zählt CNN, wer zeigt wen, und wie?
Die Evangelische Akademie Arnoldshain hat, in Zusammarbeit mit dem Israel Film Institute und dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, versucht, Israelis selbst zu Wort kommen zu lassen, indem sie Filmkritiker und Regisseure mit Filmen aus den letzten zehn Jahren auf den Berg nach Arnoldshain bei Frankfurt eingeladen hat.
In Arnoldshain wurde sehr schnell klar, daß das israelische Kino von Anfang an unter der Zerreißprobe divergierender Interessen stand. Wie sollte es auch anders sein bei einer Gesellschaft aus Sepharden und Ashkenasen, aus Juden, Christen und Moslems, aus Sabras (in Israel geborenen Juden) und Immigranten, Israelis und Arabern, Männern und Frauen, Orthodoxen, Zionisten und Laizisten?
Jud Néeman von der Universität Tel Aviv hatte einige frühe Filmbeispiele aus dem Jischuv, den Siedlungen vor der Staatsgründung 1948, mitgebracht. Die Auspizien standen nicht gut in einer Kultur mit Bilderverbot und Wortgewaltigkeit. Die ersten Produktionen sind dementsprechend didaktisch-propagandistischer Art. Mit Zwischentiteln in Bauhaus-Graphik wird gezeigt, wie das biblische Land urbar gemacht wird, wie Sümpfe trockengelegt, Korn gemäht, Häuser gebaut und Kinder unterrichtet werden.
Beeinflußt von der Montagetechnik des russischen Revolutionsfilms (und mit demselben agitatorischen und didaktischen Impetus) werden Thorarollen, biblische Landkarten und Kibbuzszenen gegeneinander gesetzt. Ein amerikanischer Tourist fragt ein kleines Mädchen im Kibbuz: „Do you love me?“ Und sie antwortet stolz: „Hebrew only!“ So bebildert sich die zionistische Pioniergesellschaft, die den Diaspora-Juden ablehnt und sich einerseits als universalistisch-egalitär (Befreiung des Einzelnen im Kollektiv der Gleichen), andererseits als national-partikular versteht. Zu der Verleugnung des Diaspora-Juden kommt die Ausklammerung der arabischen Einwohner Palästinas. „Wir sind der neue Orient“ verkünden die Filme Baruch Agudatis und konstruieren ein Bild vom „good Arab“, von Beduinen als den Vorfahren der Juden, das dem europäischen Orientalismus des 19.Jahrhunderts à la Delacroix in nichts nachsteht. In den frühen dreißiger Jahren kommen Aufklärungsfilme über körperliche Ertüchtigung hinzu, deren Ästhetik sich erschreckend wenig von der Leni Riefenstahls unterscheidet.
Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, daß die Überlebenden des Holocaust, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg ins Land strömten, nicht in diese jugendlich- enthusiastische Aufbaustimmung paßten. Sie wurden zum zweiten weißen Fleck auf der Landkarte des israelischen Kinos neben den Arabern. Es dauerte Jahre, bis sich eine neue Generation diesen Themen stellen konnte. Zunächst gruppierten sich alle Produktionen um zwei Pole: einerseits harmlos folkloristische Melokomödien im levantinischen Lokalkolorit, die „Burekas“, so benannt nach gemischt gefüllten Blätterteigtaschen; andererseits der anspruchsvolle Autorenfilm, der sich an der französischen Nouvelle Vague, der amerikanischen Independent-Produktion und dem Film Noir orientierte.
„Wir mußten erst über 30 Jahre alt werden, bevor wir uns mit dem Thema Holocaust und was er für unser Verhältnis zu unseren Elten bedeutete, befassen konnten“, meint die Regisseurin Orna Ben Dor-Niv. In The Summer auf Aviya (Eli Cohen, 1988) wird die Geschichte der Tochter einer Partisanin erzäht, die einen Sommer auf dem Dorf verbringt, in dem ihre Mutter von allen abgeschieden lebt. Das Wort „Holocaust“ fällt kein einziges Mal, aber die Mutter schert der Tochter sofort nach ihrer Ankunft den Kopf, hat rasende Kopfschmerzattacken und wird von den anderen Dorfbewohnern gemieden als „meschuggene Partisanke“, ein Pariah im Israel der fünfziger Jahre. Ihr Haus liegt einsam, auch die Kamera hält Abstand. Ein Kindergeburtstag, zu dem keiner kommt... Eines Nachts klopft ein hohlwangiges Gespenst mit Augen wie Brunnenschächten an ihr Fenster: Es ist ein Freund aus Majdanek. Sie sprechen leise Jiddisch, er steckt sich heimlich Brot ein. Als die Mutter schließlich nicht mehr weiß, ob sie die Fenster aufreißen soll, weil sie erstickt, oder verriegeln, weil sie Angst hat, und als Aviya sie auch nicht mehr beruhigen kann, wird sie in eine Anstalt gebracht.
Auch in Orna Ben Dor-Nivs eigenem Film Because of that War (1988) wird in Interviews beschrieben, wie die Kinder von Überlebenden zu Eltern ihrer Eltern werden; was es bedeutet, statt mit Märchen mit Erzählungen von Abschieden in Treblinka oder Zugfahrten von Warschau nach Majdanek aufzuwachsen. („Wenn ich schlechte Noten nach Hause brachte, sagte meine Mutter: ,Wie schade, daß ich aus Auschwitz rausgekommen bin und mein Kind jetzt nicht wird wie eines von deutschen Eltern.‘“) Yehuda Poliker, ein bekannter israelischer Musiker, macht jetzt Rocksongs über den Holocaust, und der Film zeigt, wie sich Jugendliche zu den rasanten Bassläufen wiegen, daneben die Eltern im Publikum mit angespannten Gesichtern.
Bis in die achtziger Jahre dauerte es auch, daß der israelisch-arabische Konflikt thematisiert werden konnte. Es entstand ein neues Genre von Filmen, in denen sich, auch in Folge der postmodernen Werte-Entropie in der Literatur, die nationalen Lager und Identitäten aufzulösen beginnen. In einer der Schlußsequenzen von Avanti-Popolo (Rafi Bukai, 1986) wandern drei Israelis mit ihren beiden arabischen Gefangenen im Sonnenuntergang über einen Hügel. Das warme Abendlicht zeigt nur noch die Silhouetten der Männer, keine Uniform und kein Palästinensertuch sind mehr zu erkennen. Eine Utopie scheint auf, von vornherein zum Scheitern verurteilt, und doch immer wieder beschworen: Der Konflikt löst sich auf in einer supranationalen Gang aus Good Old Boys, Gruppenbilder gänzlich ohne Damen. Die Filmwissenschaftlerin Mihal Friedman wies darauf hin, daß in fast jedem dieser Filme Blut, Sperma, Schweiß, Kot und Erbrochenes vorkommen, die Regression der Jungs ins Prägenitale aufzeigend. Ein israelischer Bauer und sein arabischer Gehilfe duschen sich gegenseitig auf dem Feld, nachts im Zelt liegen Soldaten aneinandergekuschelt, liebevoll den Duft ihrer Socken einsaugend.
Interessanterweise werden die Araber in diesem wie in vielen anderen Filmen (auch dem auf der Berlinale zu sehenden Cup Final) oft zu den besseren Israeli, zum zionistischen Ideal eines Mannes, der an seinem Land hängt, mit der Natur verbunden ist und seine Vernunft und seinen Kampfgeist einem Kollektiv zur Verfügung stellt (Marriage of Convenience, 1988, Hamsin, 1982). Die Utopie des friedlichen Zusammenlebens wird gleich in den Filmen selbst denunziert: Die Männerfreundschaft in Hamsin endet auf dem blutigen Horn eines Stiers.
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