: Joachim Walther:
■ Ein „Brief an Salman Rushdie“
Lieber
Salman Rushdie,
Hans Magnus Enzensberger meinte, einen Mordaufruf mit öffentlicher ausgelobter Kopfprämie wie den gegen Sie hätte es selbst bei den Nazis nicht gegeben. Doch, es hat, und es blieb nicht bei der Drohung.
Am 30.August 1933 wurde im tschechischen Exil dem deutschen Philosophen und Schriftsteller Theodor Lessing, auf dessen Kopf die Nationalsozialisten eine Prämie von 80.000Reichsmark ausgesetzt hatten, in seinem Arbeitszimmer zweimal in den Kopf geschossen. Wenige Tage vorher hatte er in dem Feuilleton Mein Kopf geschrieben: „Mein Gott! Was habe ich ein langes Leben über meinen Kopf hören müssen. Auf der Schule hieß es, er sei kein Lernkopf. Auf der Universität, er sei ein Wirrkopf. Die Kollegen sagten, er sei ein Querkopf. Ein Kritiker schrieb, er sei kein politischer Kopf. Ein anderer: kein historischer Kopf. Wieder andere: meinem Kopfe fehlten gewisse Organe. Das Organ für Metaphysik. Für den Mythos. Für das Kosmische. Für Mathematik. Kurz: Alles an meinem Kopf war negativ. Ich zerbrach mir den Kopf und verdiente nichts damit. Und nun achtzigtausend Reichsmark! Und dies Glück haben andere mit meinem Kopf. Nie hätte ich für möglich gehalten, daß mit meinem Kopf so viel zu verdienen wäre.“
Galgenhumor des Opfers. Die Mörder, zwei gläubige und, nebenbei, geldbedürftige Mitläufer, der eine Chauffeur, der andere Forstarbeiter, erhielten statt der erwarteten Summe zwar nur 50Reichsmark, doch dafür neue Namen. Sie überlebten Auftraggeber und Krieg. Der Forstarbeiter wohnte später in der Bundesrepublik Deutschland, der Chauffeur bis zu seinem natürlichen Ende in der DDR: deutsch-deutsche Gemeinsamkeit auch hier, unteilbare Geschichte. Die Auftraggeber Hitler, Goebbels, Röhm feierten ihren Sieg auf dem Nürnberger Parteitag, und der Beifall der Brülldeutschen brandete die Mördertribüne hinauf. Makabrer als dieser Jubel ist, was Thomas Mann, den Lessing einst eine „Goldschnittseele“ genannt hatte, damals in sein Tagebuch schrieb: „Mir graust vor einem solchen Ende, nicht weil es das Ende, sondern weil es so elend ist und einem Lessing anstehen mag, aber nicht mir.“
Was aber hatte denn Lessing Unverzeihliches begangen? Sich zwischen alle Stühle zu setzen. Niemandes Parteigänger zu sein. Und mit seiner Philosophie der Tat, die er, um Brot kaufen zu können, in „hundert Feuilletons zerschnitt“, so ziemlich alle politisierten Geister zu reizen. Lessing, der deutsche Jude, der Kritisches auch zu den Juden schrieb und deshalb von der Spezies ohne Nachwuchsprobleme weltweit, die differenziert Geschriebenes nicht differenziert zu lesen vermögen, des jüdischen Antisemitismus geziehen ward. Lessing, der die Geschichte eine Mythe nannte und die großmächtig in ihr Agierenden Illusionsfassaden, der früh genug den Nationalsozialismus einen Fasel-Trank nannte und Hitler, den er überdies in einer Satire als Tarzan auftreten ließ, einen völlig leeren Nullpunkt, der aber, wie der Mittelpunkt jedes Orkans, auf Sturm deute. Satire aber wird in Diktaturen zum Sakrileg. Reichspräsident Hindenburg beschrieb er vor dessen Wahl als ein Zero, hinter dem, so lehre es die Geschichte, immer ein künftiger Nero verborgen stehe. Lessing lupfte ein Geheimnis der Macht, das da heißt, die Politik zu ästhetisieren, mit einem großen Aufgebot an Symbolen und Fahnen, Ikonen und Idolen, Phantasmen und Allegorien alle Mächte zu fördern, die das Nachdenken entweder hemmen oder betäuben, und einen Rausch des Blutes zu erzeugen mit Fahnen der Volkheit, Glockenliedern des Glaubens und Orgien der Romantik. In einem Brief kurz vor seinem Ende schreibt er: „... die Gewalt spürt insgeheim, daß sie auf Flußsand gebaut hat, und hinter allen ihren Reden, allen ihren Schreckenstaten steht die Angst vor der Zukunft.“
Damals die Endlöser des Dritten Reiches in Deutschland, heute die Religionsfanatiker des Gottesstaates im Iran? Sind beide tatsächlich von gleich extrem eindimensionaler Denkungsart, deren gruslige Globalphantasie über Leichen geht? Unserem glorreichen 20.Jahrhundert wird ohnehin das Verdienst bleiben, das Panoptikum der Politverbrecher bedeutend bereichert zu haben: Stalin, Hitler, Pol Pot, um nur einige der Wahnfiguren zu nennen. Verwandte sie alle, Brüder im Ungeist, zum Verwechseln ähnlich von Statur, nur verschiedenfarbig bemalt: rot, braun oder schwarz. Soll nun das geachtete Grün des Islam diese geächtete Pandora-Palette bereichern?
Ich schreibe Ihnen aus Ostberlin. Wir Ostdeutschen sind, hoffe ich, aus Erfahrung sensibel für die ewigen Simplifikateure, welche die Vielfalt des Lebens über ihren ideologisch-religiösen Einheitsleisten ziehen wollen. Wäre deren Weltbild nur öde, genügte ein Gähnen, wäre es machtlos, genügte Gelächter, da es aber tödlich ist und tötet, braucht es öffentliches Widerstehen und die Verbundenheit der Andersdenkenden.
Nicht zufällig schreibe ich derzeit an einem Hörspiel zu Theodor Lessing. Ich habe mir erlaubt, es Ihnen, lieber Salman Rushdie, zu widmen.
Mit solidarischen Grüßen
Ihr Joachim Walther
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