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Riesa will nicht die Löffel abgeben

Im Industrieknoten an der Elbe brachen zuerst die Arbeitsplätze für Frauen zusammen/ Die Löffelproduktion ist eingestellt/ Die Männer schaufeln Platz für Investoren und hoffen auf die Zukunft  ■ Aus Riesa Detlef Krell

So könnten die Potemkinschen Dörfer auch ausgesehen haben. Die Fassade des 100jährigen Stahlwerks leuchtet frisch getüncht und verheißungsvoll. Das Pförtnerhäuschen in dem entlang der schmalen Werkstraße hingestreckten Bau ist leer. Dahinter öffnet sich weit das Gelände. Steine, Schlamm und Schutt; rostdunkle Stahlträger bedecken das platte Land. Verloren schaufeln einige Arbeiter das Geröll herum, ein Kipper tuckert ungeduldig der nächsten Fuhre entgegen. Nur am Rande der fußballfeldgroßen Brache stehen noch einige Anlagen des früheren Stahl- und Walzwerkes Riesa. Ein gußeisernes Uhrtürmchen, Rohrlabyrinthe, museale Reste eines der ältesten deutschen Stahlstandorte.

Doch ein Museum entsteht hier nicht. Über dem Stahltor einer Werkshalle prangt der Name einer Schweizer Firma. Die Halle dröhnt, drinnen schweißen und schrauben Männer an Maschinen. Einer stellt sich schlicht als „Werkzeugmacher, 45“ vor. Früher arbeitete er als Kranführer. „Das war hier mal die Löffelbude. Aber mit Besteck ist ja nun nichts mehr.“ Von der Schiffsschraube bis eben zum Löffel reichte einst das Sortiment des Volkseigenen Kombinates. Nun hat die Schweizer Arbonia Forster GmbH einen Teil des Geländes übernommen. Bevor in Riesa Heizkörper aus der Schweiz produziert werden können, schaffen die Stahlwerker Platz für die neuen Anlagen, bauen sie Maschinen auf, richten sie sich ihre neuen Arbeitsplätze ein. „30 sind in der Schweiz zum Lehrgang“, berichtet der Arbeiter. Für ihn und seinen jüngeren Kollegen ist „Hauptsache, ein fester Job“. Andere, die nicht das Glück hatten „und nur von ABM hörten“, sind in den Westen gegangen.

Hoffen auf Heizungen

Die Schweizer Heizungsfirma hatte für Riesa, den traditionellen Industriestandort an der Elbe, schon vor zwei Jahren Interesse angemeldet. Zwischen 700 und 1.100 Leute werde sie beschäftigen. Bis jetzt sind etwa 100 einstige Stahlwerker untergekommen. Als Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) kürzlich mit großem Gefolge die Region besuchte, führte sein Protokollweg folgerichtig zu Arbonia als dem einzigen Ort auf dem 770.000 Quadratmeter großen Stahlwerksgelände, wo nicht nur plattgemacht, sondern bereits aufgebaut wird. Im nahen Zeithain übernahm Mannesmann das Röhrenwerk mit 1.500 Ex-Stahlwerkern. Hoffentlich eine „Initialzündung“ für weitere Investoren, sagt Betriebsrat Gert Vieweger. Anfang 1991 arbeiteten noch 9.500 Leute in der Stahl- und Walzwerk AG; heute sind es 4.000. Davon sind 1.300 mit dem Abriß alter Anlagen beschäftigt, als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im besten Sinne des Wortes. Ob sie sich nicht doch nur in eine Sackgasse schaufeln? Vieweger verbreitet gedämpften Optimismus. „Wenn alles, was wir auf dem Papier stehen haben, zustande kommt, dann stehen am Ende tatsächlich Arbeitsplätze.“ Der Betriebsrat weiß von fortgeschrittenen Gesprächen mit Investoren, möchte sich dazu aber nicht äußern. „Wir haben die Erfahrung gemacht, daß alles, was zu früh in den Zeitungen stand, nichts geworden ist.“

Am Erfolg der Gespräche hängen auch die Arbeitsplätze von 1.200 UmschülerInnen. Weitere 1.000 arbeiten noch in Werkstätten, im Bereich Stahlbau und im Stabwalzwerk. „Dort ist Kurzarbeit Null angesagt, die Leute gehen mit 750 Mark nach Hause. Wir sind aber nicht bereit, einer Schließung zuzustimmen, wenn dann alle auf die Straße fliegen“, stellt der Betriebsrat klar. Die meisten der bisher Entlassenen gingen in Vorruhestand, oder sie kamen in einer der privatisierten Firmen unter. 800 sind es aber dennoch, die am 1. Januar ihren blauen Brief bekamen. „Und wir haben eine sehr große Fluktuation. Junge, fähige Leute gehen in den Westen, und sie bekommen dort meist Arbeit.“ Lukrative Angebote hängen gleich im Vorzimmer des Betriebsrates. Ein Esslinger Unternehmen winkt mit Arbeitsplätzen im Raum Stuttgart, „und später auch in Sachsen“. Wäre Betriebsrat Vieweger zum großen Bahnhof beim Staatsminister eingeladen worden, hätte er ihm gesagt, daß „die unstrittig großen Bemühungen im Landratsamt und in der Unternehmensleitung eine hohe Arbeitslosigkeit in Riesa nicht verhindern werden. Wenn es nicht gelingt, auf diesem Standort wieder industrielle Kernbereiche aufzubauen, dann werden wir von den Ballungsgebieten Dresden, Leipzig und Cottbus zur Wüste trockengelegt. Dann fahren die Leute eben 50 Kilometer auf Arbeit.“

Der Alexander-Puschkin-Platz im Riesaer Zentrum ist ein kleiner Park. In seiner Mitte steht ein Mahnmal für die Opfer des Faschismus. Es ist scherbenübersät. „Sieg Heil“, brüllt ein Schriftzug von den roten Ziegeln. Am Puschkin-Platz hat das TAP seine Räume. Vier Treppen hoch müssen die Leute steigen, um in den „Treff am Puschkinplatz“, die Sozialberatungsstelle des Diakonischen Werkes, zu gelangen. „Wer sozial gerade ganz unten ist, kann hier für einige Zeit über die Dächer der Stadt aufsteigen“, bringt Andreas Näther noch etwas Symbolik in den Zufall, daß sein Treff unters Dach des Ärztehauses gezogen ist. „Wer hier auf der Treppe gesehen wird, kann zum Zahnarzt wollen oder zum Arbeitslosentreff, das ist schön anonym.“ Als er wieder einmal VorruheständlerInnen zur Rechtsberatung im Haus hatte, kam eine Ärztin hinzu. In ihrer Sprechstunde würden sich diese knapp Sechzigjährigen oft mit Symptomen melden, die sonst erst mit 65 oder 70 Jahren auftreten. „Diese Menschen sitzen oft nur noch vor dem Fernseher, sie bauen gesundheitlich rapide ab“, habe die Ärztin berichtet.

Die Arbeitslosenquote im Landkreis Riesa stieg innerhalb eines Quartals von 7,8 auf 12,5 Prozent. 67 Prozent der neuen Arbeitslosen sind Frauen. Frauenbetriebe waren die ersten, die in Riesa zusammenbrachen. Nahezu lautlos; nur die Entlassungswelle im Elektronikwerk sorgt für überregionales Aufsehen. Als der von der Treuhand bestellte Geschäftsführer zwar nicht mit einem Sanierungskonzept, dafür aber mit einer einsamen Kündigungsaktion brillierte, gingen die Frauen mit ihrem Betriebsrat auf die Barrikaden. Nun prüft die Treuhand, aber bei der Halbierung der Belegschaft wird es wohl bleiben. „Neben Frauen sind jugendliche Teilfacharbeiter als erste betroffen“, erklärt der Sozialdiakon. Sein bescheidenes Angebot für diese „kriminell besonders anfälligen Menschen“ ist das Projekt „Arbeiten und Lernen“. 15 Jugendliche mit Abschlüssen zwischen der fünften und achten Klasse lernen dort nicht nur Maurern oder Tischlern, „sie werden überhaupt erst einmal sozialisiert“.

Minister Schommer versprach den Riesaern am kalten Büfett des Park-Hotels, dem einstigen Haus der Stahlwerker, daß die Töpfe mit den Fördermitteln des Landes weiterhin weit geöffnet bleiben. Selbstverständlich werde der Staat nicht „regulierend eingreifen“, aber „eine Art Bestechung“ sei es schon, wenn Investoren nicht mehr in den Ballungsgebieten, sondern in dieser und einigen anderen Regionen die höchsten Fördermittel erwarten können. Das Kabinett habe die „Förderprioritäten“ in der Gemeinschaftsaufgabe Ost neu festgelegt. 500 Millionen Mark stehen derzeit zur Verfügung. „Das ist nicht viel. Wöchentlich gehen in meinem Ministerium 400 Anträge ein.“ Und die rührigen Wirtschaftsförderer des Landkreises forderte Schommer auf, „wenn etwas schiefläuft mit der Treuhand“, sofort in Dresden anzurufen. „Dann werden wir uns einschalten.“

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