Britische Regierung im Fall Rushdie untätig: Dritter Jahrestag des Mordaufrufs gegen Salman Rushdie
■ Gestern wurde im Iran der Mordaufruf bekräftigt, den der Ayatollah Khomenei am 14. Februar 1989 gegen den Schriftsteller Salman Rusdhie..
Britische Regierung im Fall Rushdie untätig Gestern wurde im Iran der Mordaufruf bekräftigt, den der Ayatollah Khomenei am 14. Februar 1989 gegen den Schriftsteller Salman Rushdie verhängt hatte. Seit drei Jahren hält sich der Autor der „Satanischen Verse" versteckt. Dennoch unternehmen weder die britische noch andere Regierungen der EG Schritte gegen diese Menschenrechtsverletzung.
In radikalen iranischen Zeitungen wurde gestern der Mordaufruf gegen den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie bekräftigt, der heute vor drei Jahren vom verstorbenen Ayatollah Khomeini verhängt worden war. In einem Aufruf an „mehr als eine Milliarde Moslems in der ganzen Welt“ heißt es, die Fatwa sei ein „göttliches Gebot, den Teufel zu Tode zu steinigen“. Das Urteil erstrecke sich auch auf die Herausgeber und Übersetzer der Satanischen Verse.
Rushdie, ein britischer Bürger indischer Abstammung, hat sich in den vergangenen drei Jahren nur selten aus seinem Versteck gewagt. Zwar haben sich seitdem zahlreiche SchriftstellerInnen mit dem verfemten Autor solidarisch erklärt, doch offizielle Stellen üben Zurückhaltung. Der Einsatz der britischen Regierung beschränkte sich weitgehend auf Protestnoten. Als London im September 1990 die diplomatischen Beziehungen zum Iran in begrenztem Umfang wiederaufnahm, einigten sich beide Länder darauf, sich „nicht in die Angelegenheiten des anderen Landes“ einzumischen. Peter Willis vom britischen Außenministerium macht einen Unterschied zwischen dem Mordaufruf selbst und der Ausführung. Also wird man konkret erst etwas unternehmen, wenn es zu spät ist? „Wir haben der iranischen Regierung unseren Standpunkt auf höchster diplomatischer Ebene übermittelt“, sagte Willis gestern zur taz. „Wir sehen das Todesurteil als unakzeptable Beeinträchtigung der Rechte eines britischen Bürgers.“
Das vorsichtige britische Verhalten im Fall Rushdie hat natürlich politische Gründe. Die Rolle des internationalen Bösewichts ist längst wieder an Libyen zurückgefallen, wie auch die britischen Ermittlungen zum Lockerbie-Anschlag zeigen: Sie ziehen eine Verwicklung des Iran nicht in Betracht. Schließlich hat sich Teheran im Golfkrieg durch Wohlverhalten ausgezeichnet. Zudem wollte man die britischen Geiseln im Libanon nicht durch zu ungestümen Einsatz für Rushdie gefährden.
Bereits zu Kolonialzeiten hat die britische Regierung des öfteren die Meinungsfreiheit eines einzelnen zugunsten der Ruhe in den Kolonien geopfert. 1923 veröffentlichte Pandit Kalicharan Sharma, der Herausgeber einer indischen Zeitung, ein Buch mit dem Titel Einige merkwürdige und mysteriöse Begebenheiten aus dem Leben des Mohammed Sahib. Darin wurden Details aus dem Sexualleben des jungen Propheten beschrieben. Die britische Kolonialregierung klagte Sharma aufgrund des Paragraphen 153a an, der eigentlich die Aufhetzung zu Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen Klassen im indischen Kastensystem verhindern sollte. Der englische Richter verurteilte Sharma zu einer Gefängnisstrafe und einem Bußgeld. 1927 wurde der hinduistische Schriftsteller Devi Sharan Sharma wiederum von englischen Richtern zu einem Jahr Haft verurteilt, weil er in seinem Buch Eine Fahrt zur Hölle behauptet hatte, daß die Hölle genau der richtige Ort für Mohammed wäre.
Aber auch englische Autoren bekamen Schwierigkeiten mit ihrer Regierung, wenn sie den Islam kritisierten. Als G. K. Chesterton in seinem Buch der englischen Geschichte schrieb, daß Frauen laut Islam keine Seele hätten, forderte ihn der Geheimdienst auf, diese „beleidigende Passage“ zu streichen. Chesterton tat, wie ihm geheißen.
Auch von der Labour Party kann sich Rushdie kaum Unterstützung erhoffen. Auf die Frage, was die Partei nach einem eventuellen Wahlsieg im Fall Rushdie unternehmen werde, sagte eine Sprecherin gestern zur taz: „Eine Fatwa kann nicht aufgehoben werden. Also kann sowieso niemand etwas machen.“ Das stimmt allerdings nicht: Eine Fatwa ist lediglich ein Rechtsgutachten, das durch ein neues Gutachten zwar nicht aufgehoben, aber doch praktisch außer Kraft gesetzt werden kann, wenn es mehr Anhänger in der moslemischen Glaubensgemeinschaft findet.
Das bedeutet allerdings auch, daß es eine Rückkehr zum normalen Leben für Rushdie nicht geben kann. Denn selbst wenn sich die überwältigende Mehrheit der Moslems hinter eine neue Fatwa stellen würde, die ihm das Recht auf Leben zubilligt, so muß er doch weiterhin mit einem Anschlag moslemischer Fundamentalisten rechnen, die der alten Fatwa anhängen. Rushdie wäre keineswegs das erste Opfer: Morde im Auftrag des Islam hat es wegen blasphemischer Bücher bereits früher gegeben. 1924 veröffentlichte der Buchhändler Mahashay Rajpal in der damaligen britischen Kolonie Indien das Buch Rangila Rasul — Der fröhliche Prophet. Darin beschreibt ein anonymer Autor auf satirische Art die sexuellen Beziehungen des Propheten. Nach einem dreijährigen Prozeß wurde Rajpal, der des Lesens unkundig war und den Inhalt des Buches kaum verstanden hatte, von einem britischen Richter wegen „Anstachelung zu religiösem Haß“ zu sechs Monaten Haft verurteilt, im Berufungsverfahren von einem indischen Richter jedoch freigesprochen. Das Urteil löste Massendemonstrationen und Pogrome gegen Hindus in Nordwest-Indien aus, da man hinter dem Autor des „Fröhlichen Propheten“ einen Hindu vermutete. Doch einigen war das nicht genug: Rajpal wurde 1929 von zwei jungen Moslems ermordet. Die Täter wurden gefaßt und hingerichtet.
Rushdie ist längst zum Spielball politischer Interessen geworden. Als er sich Weihnachten 1990 zum Islam bekannte und die Taschenbuchausgabe der Satanischen Verse stoppte, warfen ihm ehemalige Freunde Feigheit und Verrat vor. Nach seiner erneuten Wende — er will die Taschenbuchausgabe jetzt in Eigenregie herausgeben — wandten sich die moderaten britischen Moslems, die ihn bis dahin trotz scharfer Kritik ihrer radikalen Glaubensgenossen unterstützt hatten, von ihm ab.
Richard Gott, Literaturredakteur des 'Guardian‘, forderte Rushdie gestern auf, von der geplanten Taschenbuchausgabe der Satanischen Verse abzusehen. „Ich würde es vorziehen, wenn Rushdie von seiner Barrikade herunterkommt, seine Rolle als Politiker aufgibt und einfach nur schreibt“, sagte Richard Gott. „Das wichtigste für ihn ist, zu überleben, und nicht zu einem Märtyrer zu werden.“ Ralf Sotschek, Dublin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen